Das hatte sich der Ackerer Hugo Detzel anders vorgestellt. 1924 hatte er die Herxheimerin Klara Detzel geheiratet und in der Unteren Hauptstraße 130 eine Familie gegründet. Bald danach kam im Dezember des gleichen Jahres der Sohn Arnulf auf die Welt. Ein gutes Jahr später wurde die Familie mit einem weiteren Kind gesegnet. Am 17. September 1926 wurde Erhard geboren. Die Eltern von Arnulf und Erhard konnten optimistisch in die Zukunft schauen. Die Nachfolge des großen landwirtschaftlichen Betriebs für die nachfolgende Generation schien gesichert. Es kam dann doch anders, wie nachfolgend dargelegt werden kann.
Als der Zweite Weltkrieg begann, hatte Sohn Arnulf die Volksschule schon hinter sich und arbeitete fest und verantwortlich in der Landwirtschaft mit. Der zweitgeborene Erhard hatte gerade die Schulpflicht hinter sich und arbeitete ebenfalls auf dem elterlichen Betrieb. Die Arbeit auf dem Acker oder im Stall war er, wie alle Bauernbuben in jener Zeit, gewohnt. Seine freie Zeit verbrachte er zu Teilen in der Herxheimer Hitlerjugend, der er in der Volksschulzeit beigetreten war. Als der Krieg dann ins dritte Jahr ging kam der Einberufungsbefehl für Erhards Bruder Arnulf zu den Soldaten. Ein Jahr später kam für Erhard dann der Ruf zum Reichs-Arbeitsdienst (RAD).
Am 14. Dezember 1943 finden wir ihn als Arbeitsmann im RAD-Lager Hassel/Saar und schon drei Monate später ist er ab 29. März 1944 Soldat des Flack Ersatz- und Ausbaubataillon 66 Mainz. In einem vom 6. Mai datierten Brief eines Freundes fragt ihn der Briefschreiber: „Nun, wie gefällt dir das Soldatenleben? Am Anfang fällt es einem immer ein bisschen schwer; das gibt sich dann aber mit der Zeit.“ In einem anderen Briefabschnitt bringt er die gemeinsame Zeit als Heranwachsende in Erinnerung: „Bei mir war es jetzt am 1. April schon ein Jahr, dass ich in Russland bin. Wie doch die Zeit vergeht, nicht wahr? Oft muss ich dran denken, als wir noch in eurem Hof zusammen Fußball spielten. Ich glaube, man würde noch so manchen Ball zwischen den Dachkandel finden.“
Als ein Brief der Eltern mit Datum vom 25. Oktober 1944 Sohn Erhard erreicht, da sind die deutschen Verbände nach der Invasion der Alliierten in der Normandie schon weit in Richtung Reichsgrenze zurückgedrängt worden. Wir erfahren im Brief nicht nur die Sorge um die beiden an der Front befindlichen Söhne, sondern auch von den kriegsbedingten Umständen zu Hause in Herxheim. Die Mutter schreibt: „…Würde dir gerne neuen Wein schicken. Aber wie? Vielleicht bekommst du doch mal Urlaub, dann kannst du aber saufen. Ich kann nicht verstehen lieber Erhard, dass du nicht mal einen Tag Urlaub bekommst. (…). Ich meine, du sollst doch mal mit deinen Vorgesetzten sprechen. Vielleicht geht es doch. Fahre aber ja morgens in der Frühe. Während dem Tag hat man immer Angst mit den Angriffen - die Sauköpf! Gehen im Tiefflug runter. Wir haben im Feld schon manche Schrecken erlebt und haben uns schon öfters verstecken müssen. Aber Gott sei Dank, es ist bis jetzt noch nichts passiert. Lieber Erhard, bei uns wird eben fest gebetet zum Schutz unserer Heimat. Ich glaube wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir noch fort müssen. Denn abends pilgern viele Leute in die Kapellen, um fest zu beten. Es wurde mit ausgebreiteten Armen gebetet zum Schutz unserer Heimat, für die Soldaten im Felde und für besondere Anliegen. Nach jedem Gebet wurde ein schönes Lied gesungen. Es war so feierlich und so ergreifend, dass einem alle Angst gewichen ist. Drum lieber Erhard, vergiss auch du nicht zu beten, denn du weißt, Gott verlässt die Seinen nicht. … Wir haben so Angst um dich. Vielleicht können wir dich noch mal sehen. (…) Dein Bruder Arnulf steckt eben bös drin. Vielleicht beschützt uns unser lieber Herrgott doch und schickt uns unsere lieben Kinder wieder gesund heim. Lieber Erhard, wir sind schon ganz fertig mit Dickrüben weg zu machen. Papa braucht nur heute noch das letzte Loch zu decken. Wir haben den Wingertsacker mit Kartoffeln auszumachen und den Straßenacker mit Zuckerrüben. Die Bauern haben einige Tage frei bekommen und brauchen nicht zu Schanzen. Da kommt man ganz gut seiner Arbeit nach. Im Herxheimer Feld wurde auch schon geschanzt. Hoffentlich geht alles gut vorüber. Heute kam die Nachricht, dass Ethelbert Detzel (Hunnich Seppel) gefallen ist.“
Das letzte Lebenszeichen von Erhard Detzel ist ein Brief vom 7. Dezember 1944. Als Erhard Detzel diesen Brief schrieb, waren die Alliierten schon teilweise bis an den Westwall vorgedrungen. Er erklärt, warum er so lange nicht geschrieben hat und berichtet: „Waren die ganze Zeit vorn am Bach gelegen und immer war was anderes. Entweder haben wir geschanzt, dann hat es geregnet und nachher musste man Wache stehen. Wenn das Wetter nur mal etwas besser würde. Wenn man so vorne am Bach liegt und es immer so regnet und mit dem Wind, da ist man den ganzen Tag nichts wie verkältet. Habe auch schon manches Mal Glück gehabt, wenn einem die Kugeln so über den Kopf hinweg pfiffen. Waren auch schon schwer im Artilleriefeuer gelegen. Von Trauth Emil habe ich auch schon lange nichts mehr gehört, waren immer beisammen gewesen. Sind einmal versprengt gewesen und haben uns nimmer getroffen. Liegen jetzt in der Nähe Völklingen. Hoffentlich geht der Krieg bald zu Ende, dass wir wieder heim können in unsere Heimat. Wenn ich dürfte, täte ich von hier bis heim laufen und daheim von morgens bis abends arbeiten, als hier das mitmachen. (…) Wie geht es euch daheim, macht euch ja nicht so viel Arbeit. Wenn der Kriegsschauplatz näher rückt, geht doch alles kaputt. Habe immer die Hoffnung, dass es dieses Jahr noch ausgeht.“ Drei Tage nach Verfassen dieses Briefes starb Erhard in Klein Rösseln in Lothringen nahe der Grenze zum Saarland. Der Splitter einer Granate hatte ihn am Hinterkopf getroffen und sofort getötet. Er wurde auf dem Gemeindefriedhof in Kleinrösseln von seinen Kameraden beigesetzt. Er war nur 18 Jahre alt geworden. Der Pfarrer des lothringischen Dorfes hat das Grab gesegnet und die Eltern in einem Brief davon informiert. Angesichts des Zeitpunktes Ende 1944 ist aus heutiger Sicht jene Passage des Briefes seines Kompaniechefs an die Eltern völlig unverständlich, wenn da zu lesen ist: „Möge die Gewissheit, dass Erhard für die Zukunft und die Sicherheit des Reiches, für die Heimat, die Erhard wie wir alle unaussprechlich liebte, sein junges Leben gab, den Schmerz lindern.“
Sein endgültiges Grab fand der Gefallene auf dem Soldatenfriedhof in Niederbronn/Elsass. Wiederholt suchten die Eltern, Bruder Arnulf und weitere Verwandte die Grabstätte auf und legten Blumen nieder.
Als das Kriegsgeschehen für Herxheim am 23. März 1945 vorbei war, da warteten die Eltern noch immer auf die Rückkehr ihres Sohnes Arnulf. Dieser war zuletzt in Jugoslawien im Einsatz, dort in die Partisanenkämpfe verwickelt und geriet dort auch in Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1948 zurückkehrte. In Erinnerung an seinen gefallenen Bruder nannte Arnulf Detzel einen seiner Söhne Erhard. In seinem Besitz waren jene Dokumente, welche diese Biografie erst ermöglichten. Erinnert wird an Erhard Detzel auch auf dem Grabstein seiner Eltern auf dem Herxheimer Friedhof.