„Sehr geehrter Herr Pfarrer Vogt, werte Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Herxheim, liebe Musikerinnen und Musiker der Kolpingkapelle Herxheim, liebe Sängerinnen und Sänger des katholischen Kirchenchors, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich danke Ihnen, dass Sie zu unserer Gedenkstunde und zur Kranzniederlegung hier an die Kriegergedächtniskapelle in Herxheim gekommen sind, um der Opfer von Krieg, Gewalt und Terrorismus in der Vergangenheit wie in der Gegenwart zu gedenken.
Der Volkstrauertag erinnert an die beiden Weltkriege und die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten. An die viele Millionen Menschen, die ihr Leben für ein verbrecherisches Regime während der Zeit des Nationalsozialismus verloren haben. Er soll aber auch an den Völkermord, die sechs Millionen in der Shoah ermordeten Juden erinnern und gleichzeitig ermahnen. Ermahnen vor dem Vergessen und aufrütteln, dass solche Verbrechen an der Menschlichkeit nie wieder geschehen dürfen.
Wir blicken auf den Schmerz, den zwei Weltkriege und viele kriegerische Auseinandersetzungen und Ausbrüche von Gewalt mit sich gebracht haben, und wir trauern um die Toten.
Der Volkstrauertag ist ein Tag des Gedenkens, der stillen Einkehr und der Trauer, aber er ist auch ein Tag der kritischen Reflexion sowie der Erinnerung. Die Generation vor mir sowie meine Generation und die darauffolgenden Generationen sind wahrlich nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber wir sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird und was in der Zukunft geschieht.
Im vergangenen Jahr standen wir hier zusammen, zur gleichen Zeit, am gleichen Ort. Wir haben nicht nur der Opfer der beiden Weltkriege und der Gewaltherrschaft unter den Nationalsozialisten gedacht, sondern auch der Menschen, die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als Zivilisten oder in der Verteidigung ihres Heimatlandes ihr Leben ließen. Zum ersten Mal seit Kriegende, zum ersten Mal seit 77 Jahren gab es auf europäischen Boden nicht nur eine kriegerische Auseinandersetzung, sondern einen menschenverachtenden Angriffskrieg.
Heute, ein Jahr später, stehen wir hier, nicht nur im Wissen, dass der Krieg in der Ukraine immer noch andauert, sondern auch mit dem Faktum, dass in Israel die islamistische Hamas am 07. Oktober 2023 eine terroristische Aktion und damit den größten Massenmord an den Juden nach Ende des Zweiten Weltkrieges begangen hat. Ein weiterer Konflikt, der die Welt in Atem hält und unsägliches menschliches Leid auslöst.
Durch Krieg und Gewalt mussten Millionen Menschen allen Alters ihre Heimat verlassen und haben auch in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Zuflucht gefunden.
Bisweilen scheint es, als ob Menschen und Gesellschaften nicht aus der Geschichte lernen würden.
Doch meine Damen und Herren,
unsere eigene Geschichte, die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, zeigt uns, dass Geschichte kein Schicksal ist und dass wir sie im Guten mit unseren Nachbarn gestalten können.
Erlauben Sie mir, weil wir uns in diesem Jahr im 60. Jubiläumsjahr des Élysée-Vertrages befinden, beispielhaft den Ansatz der deutsch-französischen Freundschaft aufzugreifen.
Die deutsch-französische Annäherung nach 1945 darf wohl als eines der größten politischen Wunder der Weltgeschichte genannt werden, weil aus Erzfeinden beste Freunde wurden. Und weil die europäische Einigung und die Tatsache, dass Europa heute in weiten Teilen befriedet ist, auch auf die deutsch-französische Annäherung zurückzuführen ist. Aus vormaligen Konfliktregionen wurden nachhaltig stabile, prosperierende und demokratische Friedensregionen. Vorausgesetzt Nationalismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit kehren nicht zurück an die Macht.
Geschichte ist kein Schicksal. Aus Erzfeinden können beste Freunde werden. Freilich begünstigte vor 60 Jahren der geopolitische Kontext des Kalten Krieges die Annäherung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Und anders als in Osteuropa waren in Frankreich genozidale Gewaltexzesse Ausnahmen der deutschen Besatzungspolitik, die auch von Kollaboration gekennzeichnet war. Der Weg zur Zusammenarbeit, ja, zur Freundschaft mit Frankreich war vor diesem Hintergrund für die Bundesrepublik nach 1945 um ein Vielfaches einfacher als beispielsweise die Annäherung an die Volksrepublik Polen. Doch waren es nicht nur Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer, die am 22. Januar 1963 mit dem Élysée-Vertrag eine bilaterale Vereinbarung unterzeichneten. Die Annäherung beider Regierungen war auch eine Folge des zivilgesellschaftlichen Engagements ungezählter mutiger Bürgerinnen und Bürger aus Deutschland und Frankreich. Ein zivilgesellschaftliches Engagement, das Städtepartnerschaften, den Austausch von Schülerinnen und Schülern, eine neue bilaterale Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich bildete und so den langanhaltenden Frieden sicherte.
In der Bundesrepublik Deutschland bestehen heute mehr als 2.200 Städtepartnerschaften, die aus dieser Motivation heraus gegründet wurden. Und auch die 1979 geschlossene Partnerschaft, die unsere Ortsgemeinde Herxheim mit St. Apollinaire pflegt, entstammt diesem Friedensprozess.
Und dieser Friedensprozess trägt bis heute Früchte. Anders als in der Ukraine oder im Nahen Osten geht für junge Menschen in Deutschland und Frankreich heute die größte Bedrohung nicht mehr vom Nachbarland aus.
Meine Damen und Herren,
nur, wer sich erinnert, kann aus der Vergangenheit lernen, um eine bessere Zukunft zu gestalten. Jede Geschichte verdient es daher, erzählt zu werden und jedes Opfer verdient es, dass man sich seiner erinnert.
Nur Versöhnung, Kooperation und Verständigung schaffen einen dauerhaften Frieden. Glücklicherweise durften wir diese Erfahrung in den letzten gut 79 Jahren, der längsten Friedensperiode in der deutschen Geschichte, machen. Diese Errungenschaft müssen wir bewahren, gerade in Zeiten, in denen Nationalismus und Extremismus zu neuen Spaltungen unserer Gesellschaft führen.
Für viele von uns scheint Frieden allgegenwärtig, weil der Krieg und das menschliche Leid so vermeintlich fern sind. Doch Gewalt und Krieg durchziehen die gesamte Menschheitsgeschichte, sodass die fast acht Jahrzehnte Frieden, auf die wir heute in Westeuropa zurückblicken können, historisch eher als eine Ausnahme betrachtet werden müssen. Und wenngleich inzwischen mehrere Generationen keinen Krieg erlebt haben, ist Gewalt leider auch heutzutage präsent.
So dürfen wir es nicht hinnehmen, dass in Deutschland Antisemitismus offen und ohne Scharm propagiert wird, und wit müssen gegen Hass und Extremismus handeln. Auch die weltweiten Konflikte zeigen uns an diesem Volkstrauertag, wie nah und dringlich die Friedensaufgabe tatsächlich ist. Der Weg der Versöhnung und des Friedens ist nie abgeschlossen.
Kriegsgräber oder Mahnmale wie unsere Kriegergedächtniskapelle sind Symbole für Vergebung und Versöhnung. An den Gräbern der Opfer von Krieg und Gewalt wird greifbar, wie wertvoll Frieden und wie schrecklich Krieg und Gewalt sind.
Kriege sind keine Naturkatastrophen, sie brechen nicht einfach aus. Sie werden gemacht - und durch Feindbilder, autoritäre Denkmuster und Propaganda werden sie vorbereitet.
In Europa und der Welt erstarken leider nationalistische Ideologien. Rechtspopulisten erobern die Parlamente und Regierungsbänke. Oft liefern Anhänger dieser Bewegungen keine konstruktive Politik, keine Lösungen, sondern schüren Ängste und wirken gegen Minderheiten.
Diese vermehrt autoritären Denkmuster und EU-kritischen Tendenzen in den Parlamenten gefährden den europäischen Zusammenhalt sowie die internationale Stärke der Europäischen Union.
Gerade die deutsche Vergangenheit sollte uns eine Warnung sein vor diesen politischen und gesellschaftlichen Bewegungen. Wir sollten wachsam sein und entschlossen gegen Ausgrenzung und Rassismus einstehen, gegen jeglichen Extremismus!
Wir alle gemeinsam müssen wachsam sein und Demokratie und Freiheit erhalten! Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg!
Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde in Europa überwiegend eine Einigkeit und Gemeinschaft geschaffen, der mit Blick auf die derzeitigen Krisenherde weltweit eine immer wichtigere Rolle für uns zukommt.
Vom Astrophysiker Stephen Hawkings stammt das Zitat:
‘Die größten menschlichen Errungenschaften sind durch Kommunikation zustande gekommen- die schlimmsten Fehler, weil nicht miteinander geredet wurde.’
Miteinander statt übereinander reden – damit in unserer Gesellschaft, in Deutschland, in Europa und in der Welt Friede gewahrt wird und Menschen eine sichere Heimat haben.
Meine Damen und Herren,
der Volkstrauertag bleibt eine stete Mahnung und Herausforderung.
Halten wir das Andenken der Opfer in Ehre! Gedenken wir auch Jenen, die den Mut bewiesen haben, sich für die Versöhnung unserer Völker einzusetzen und sich weiter engagieren! Üben wir Frieden, im Gespräch wie im Umgang! Versuchen wir, einander zu verstehen in Toleranz und Geduld! Verlangen wir diese Werte von uns allen, von Jedem, der bei uns zu Gast ist, oder dauerhaft bleiben möchte!“
Das Totengedenken in der 2020 durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aktualisierten Fassung und die Segensworte sprach Pfarrer Arno Vogt vor der Kranzniederlegung in der Kapelle.
Wir danken der Freiwilligen Feuerwehr Herxheim, dem Kirchenchor und der Kolpingskapelle Herxheim für die Unterstützung der Gedenkfeier.
Besonderer Dank geht an das Facility Management für die Pflege der Kriegergedächtniskapelle.
Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gedenkstunde und denen, die sich jeden Tag gegen das Vergessen, gegen Hass und Gewalt engagieren.