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Amtsblatt VG Herxheim
Ausgabe 47/2025
Amtlicher Teil
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Volkstrauertag 2025

Am vergangenen Sonntag fanden anlässlich des Volkstrauertages Gedekfeiern statt. Dieser Tag erinnert daran, wie wichtig Frieden, Toleranz und Solidarität sind. Wir gedenken nicht nur der Opfer vergangener Kriege, sondern auch all jener, die unter aktueller Gewalt und Terror leiden.

Gerne drucken wir an dieser Stelle die Ansprache von Ortsbürgermeister Sven Koch in voller Länge ab.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

ich darf Sie recht herzlich im Namen der Ortsgemeinde Herxheim zu dieser Gedenkstunde anlässlich des Volkstrauertages begrüßen. Besonders freue ich mich, dass neben den vielen politischen Vertretern, auch die die kirchlichen Vertreter der katholischen sowie der protestantischen Kirchengemeinde anwesend sind. Es ist ein guter Brauch, dass wir in Herxheim diese Gedenkfeier gemeinsam begehen. Und deshalb freue ich mich auch, dass eine Ehrenabordnung der Freiwilligen Feuerwehr Herxheim uns später bei der Kranzniederlegung begleiten wird und die Kolpingskapelle sowie der katholische Kirchenchor diese Gedenkfeier musikalisch begleitet.

Und ich möchte zu Beginn Ihnen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, danken – dafür, dass Sie heute hier sind, dass Sie an diesem stillen Novembertag innehalten und Ihre Zeit, Ihre Gedanken und Ihre Anteilnahme schenken.

Ihre Anwesenheit ist ein Zeichen: Ein Zeichen des Respekts gegenüber den Opfern von Krieg und Gewalt, ein Zeichen gegen das Vergessen – und, das möchte ich ausdrücklich betonen, ein Zeichen von Verantwortung.

Wer heute hier steht, bekennt sich dazu, dass Frieden nicht selbstverständlich ist, dass Freiheit kein Automatismus ist und dass Erinnerung Teil unserer demokratischen Kultur bleibt. Sie alle tragen dazu bei, dass die Opfer von Krieg, Terror und Gewaltherrschaft nicht namenlos bleiben, dass ihr Leid nicht verstummt und dass ihre Geschichte uns mahnt. Dafür danke ich Ihnen von Herzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vielen von Ihnen, die Jahr für Jahr an dieser Gedenkveranstaltung teilnehmen, wird aufgefallen sein, dass der Volkstrauertag in den vergangenen Jahren immer weniger Menschen angezogen hat.

Nicht nur hier in Herxheim – das ist ein bundesweiter Trend. Veranstaltungen wie diese, die einst selbstverständlich waren, finden heute in der Breite der Gesellschaft weniger Raum. Das mag daran liegen, dass persönliche Erinnerungen verblassen, dass viele keinen direkten Bezug mehr zu Kriegserfahrungen haben. Vielleicht liegt es auch daran, dass Themen wie Trauer, Krieg und Verantwortung schwerer Platz finden in einer Zeit, die nach Leichtigkeit und Ablenkung verlangt.

Und so stellt sich die Frage: Ist der Volkstrauertag noch zeitgemäß? Braucht es einen solchen Tag in einer Generation, die Krieg nur aus Geschichtsbüchern oder von Fernsehbildern kennt?

Diese Frage ist berechtigt – und notwendig. Denn nur, wenn wir sie stellen, verstehen wir, warum wir heute hier stehen und was dieser Tag für uns bedeuten soll.

Wir leben – Gott sei Dank – ohne Krieg in unserem Land. Viele von uns kennen keine Front, keine Bombennächte, keinen Hunger. Und doch erleben wir Krieg – wenn auch auf andere Weise. Wir sehen ihn täglich: in der Ukraine, im Nahen Osten, an vielen Brennpunkten dieser Welt. Wir sehen Menschen, die fliehen müssen, Familien, die auseinandergerissen werden, Kinder, deren Zukunft in Trümmern liegt. Die Welt ist unsicherer geworden, Gewalt, Fanatismus und Extremismus werden wieder lauter. Darum ist dieser Tag nicht überholt – im Gegenteil: Er ist wichtiger denn je.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vor wenigen Wochen hatte ich die große Ehre als Abgeordneter des rheinland-pfälzischen Landtages und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Europa und Eine Welt einer Reise nach Prag beizuwohnen. Im Rahmen dieser Reise besuchten wir die Gemeinde Lidice. Eine kleine Gemeinde mit etwa 560 Einwohnern, unweit von Prag. Ein Ort, der 1942 nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, Tatort eines unvorstellbaren Racheakts der Nationalsozialisten wurde.

Auf der Grundlage der fälschlichen Behauptung, die Dorfbewohner hätten die Attentäter beherbergt, entschieden die Nazis den Ort dem Erdboden gleich zu machen. Sie umstellten das Dorf, trieben die Dorfbewohner zusammen, erschossen 173 Männer, trennten die Mütter von ihren Kindern und verschleppten sie. Sie steckten das Dorf in Brand, sprengten es weg und um wirklich jede Erinnerung an diesen Ort auszulöschen, gruben sie sogar die Gebeine und Leichen auf dem Friedhof aus, um jeglichen Ort der Trauer verschwinden zu lassen.

Nach Trennung von ihren Müttern wurden die Kinder zunächst in ein Lager deportiert und wenige Tage später in einem SS-Wagen vergast. 82 Kinder verloren ihr Leben. Lediglich 17 Kinder, die zu diesem Zeitpunkt unter einem Jahr alt waren, wurden zwecks „Germanisierung“ – wie es die Nazis nannten - ausgesondert und überlebten.

Wir hatten als deutsche Delegation die große Ehre, mit einem Überlebenden, der zum damaligen Zeitpunkt 7 Wochen alt war, die Gedenkstätte zu besichtigen und in einen Austausch zu kommen.

Auf der Gedenkstätte befindet sich ein Denkmal für die Kinder von Lidice, bestehend aus 82 Bronzeskulpturen. Skulpturen die Kinder darstellen, die dem Alter und Geschlecht der damals ermordeten Kinder entsprechen. Als wir an diesem Denkmal Rosen für die Opfer niederlegten, zeigte der Zeitzeuge auf eines der Kinder und sprach:

„Das ist meine Schwester, unschuldig ermordet. Und wenn ich nur ein Jahr älter gewesen wäre, würde ich jetzt bei ihr stehen und sie meine Hand halten. Lassen Sie so etwas nie wieder geschehen.“

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

wenn ich Ihnen dieses Geschehen erzähle, neige ich dazu, Sie aufzufordern, sich vorzustellen, wir würden diese 82 Kinder kennen – sie kämen vielleicht sogar aus unseren eigenen Familien.

Aber dabei müssen wir uns die Frage stellen, ob Empathie wirklich erst dann einsetzen darf, wenn wir uns persönlich betroffen fühlen? Oder ist das dann nicht vielmehr eine Form des Selbstschutzes?

Wenn wir heute gedenken, dann tun wir das aus Respekt und Demut – aber auch, um Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung dafür, dass so etwas nie wieder geschieht. Und um diese Verantwortung tragen zu können, bedarf es keine persönliche Betroffenheit – sie muss Teil unseres Selbstverständnisses sein.

Ein Volkstrauertag darf nicht nur ein Tag des stillen Erinnerns sein. Er muss uns fragen lassen:

Was bedeutet Frieden heute für uns?

Wie gehen wir miteinander um?

Und was heißt es, Verantwortung zu tragen?

Rituale allein bewahren keinen Frieden. Nicht das Gedenken schützt unsere Werte, sondern die Haltung, die daraus erwächst. Viele von uns kennen das Zitat: „Frieden ist nicht bloß die Abwesenheit von Krieg – er ist ein Zustand, der täglich neu errungen, gepflegt und verteidigt werden muss.“

Diese Worte verdeutlichen: Frieden entsteht nicht von selbst. Er muss von jedem Einzelnen von uns immer wieder neu erarbeitet werden – in Politik, in unserer Gesellschaft und im persönlichen Miteinander.

Es geht um eine Geisteshaltung. Wer Frieden bewahren will, muss ihn leben – jeden Tag, in seinem Denken, in seinem Handeln, in seinem Umgang mit anderen.

Wir leben in einer Zeit, in der Konflikte lauter werden. In der Streit oft aggressiv ausgetragen wird, in der Kompromissbereitschaft schwindet und Grenzen – geistige wie gesellschaftliche – sichtbarer werden.

Der Dialog, der unsere Demokratie stark gemacht hat, wird zunehmend von schnellen Urteilen verdrängt. Menschen werden in Schubladen gesteckt – „links“ oder „rechts“, „wir“ oder „die“, Freund oder Feind. Doch eine Gesellschaft kann nicht gedeihen, wenn sie sich selbst zum Gegner macht. Demokratie lebt vom Zuhören, vom Respekt, vom Willen zur Verständigung.

Und gerade deshalb dürfen wir diesen Tag nicht als Relikt der Vergangenheit betrachten, sondern als Fundament unserer Gegenwart. Erinnerung ohne Bezug zur Gegenwart wird Routine. Erinnerung mit Bewusstsein wird Verantwortung – und diese Verantwortung tragen wir alle.

Unsere Geschichte zeigt, wohin es führt, wenn Sprachlosigkeit und Misstrauen überhandnehmen. Und wenn wir in die Vereinigten Staaten schauen, sehen wir, wie gefährdet selbst stabile Demokratien sein können.

Deshalb brauchen wir Tage wie diesen – Tage, die uns daran erinnern: Frieden beginnt im Inneren einer Gesellschaft, im Inneren eines jeden von uns.

Frieden endet nicht an nationalen Grenzen. Wir haben gelernt: Gewalt kennt keine Grenzen – und Frieden, Stabilität, Wohlstand entstehen nur, wenn Menschen bereit sind, Verantwortung über Grenzen hinweg zu übernehmen.

Menschen wie der Zeitzeuge aus Lidice, der trotz unvorstellbaren Leids für Verständigung eintritt. So wie er uns Deutschen die Hand reichte, reichten sich auch Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, Helmut Kohl und François Mitterrand die Hand – um Mauern einzureißen, nicht aufzubauen.

Und aus diesem Geist ist mit der Europäischen Union etwas ganz Wunderbares entstanden. Nämlich das wohl größte und längste Friedensprojekt unserer Zeit. Entstanden – weil Menschen Vorurteile überwanden, Werte verteidigten und in den Dialog traten.

Darum ist der Volkstrauertag mehr als ein Tag des Gedenkens. Er ist ein Tag der Mahnung – und zugleich ein Tag der Hoffnung. Ein Tag, an dem wir uns bewusst machen, was Frieden uns abverlangt, und an dem wir uns fragen müssen: Was können wir tun, damit unsere Kinder und Enkel in Frieden leben können?

Frieden beginnt nicht in Institutionen oder Gesetzen, sondern in uns – in unserem Denken, in unserem Umgang miteinander, in unseren Entscheidungen. Er entsteht dort, wo wir bereit sind zuzuhören, Brücken zu bauen und Verantwortung zu übernehmen – für unser Land, für Europa, für unsere Gemeinschaft.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

lassen wir diesen Tag nicht einfach verstreichen. Nehmen wir ihn mit in unseren Alltag. Sehen wir ihn als Auftrag – für Verständigung, Mitgefühl und ein Europa des Miteinanders.

Wir gedenken heute der Opfer von Krieg und Gewalt. Wir danken für die Jahre des Friedens, die wir erleben dürfen. Und wir verpflichten uns, dazu beizutragen, dass dieser Frieden bleibt. Denn: Trauer ohne Handeln ist Vergangenheit. Gedenken mit Verantwortung ist Zukunft.

Vielen Dank.