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Der Gemeindespiegel (Breuna)
Ausgabe 17/2025
Aus dem Rathaus wird berichtet
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Aus dem Rathaus wird berichtet

Ortsgerichtsvorsteher André Cöster übt das Ehrenamt seit 25 Jahren aus. Er ist zuständig für Oberlistingen und Niederlistingen.

Urkunde zum Jubiläum: Bürgermeister Jens Wiegand (von links), der Vizepräsident des Amtsgerichts Kassel, Dr. Philipp Gescher, André Cöster sowie die Ortsgerichtsschöffen Heiko Hanisch und Otto Fritze.

„Du musst einfach menschlich sein“

Ortsgerichtsvorsteher André Cöster über ein ganz besonderes Ehrenamt

Oberlistingen - In seinem Ehrenamt geht es immer um Menschen. André Cöster ist seit 25 Jahren Ortsgerichtsvorsteher und zuständig für Oberlistingen und Niederlistingen. Klickt man sich im Internet durch die Aufga-

ben, die in den Zuständigkeitsbereich eines Ortsgerichts fallen, verfängt man sich in Schlagworten wie Beglaubigungen, Schätzungen und Sterbefallanzeigen. Hinter den sperrigen Themen verbergen sich oft berührende Schicksale. Am Tisch in seiner kleinen Amtsstube seien schon viele Tränen geflossen, sagt Cöster, der für viele Jahre Hessens jüngster Ortsgerichtsvorsteher war.

„Viele Dinge sind nicht mehr so leicht zu verstehen.“

André Cöster, Ortgerichtsvorsteher

Cöster war 28 Jahre jung, als er das Ehrenamt für sich entdeckte. Seine Mutter, die damals im Rathaus in Breuna beschäftigt war, hatte ihm den vakanten Posten schmackhaft gemacht. Der Oberlistinger fing sofort Feuer. Als Steuerfachangestellter hatte er schon damals viel mit Menschen zu tun. Sie bei Problemen zu beraten und zu unterstützen, das ist sein Ding. „Und wenn ich das dann noch für die Menschen in meinem Heimatort machen darf, umso besser", sagt Cöster. Jetzt hat er im Beisein des Vizepräsidenten vom Amtsgericht Kassel, Dr. Philipp Gescher, im Rathaus in Breuna sein silbernes Dienstjubiläum gefeiert.

Gemeinsam mit seinen vier Ortsgerichtsschöffen, je zwei aus Niederlistingen und Oberlistingen, erhält er pro Jahr etwa 40 Anfragen und Aufträge.

„Die Fälle gehen zurück", sagt Cöster. Gleichzeitig steigt der Beratungsbedarf. Und: Der zeitliche Aufwand pro Fall wächst. Das hat seine Gründe. Die gesetzlichen Regelungen würden zum einen immer komplizierter. Zum anderen würden die Menschen auch älter, „viele Dinge sind nicht mehr so leicht zu verstehen". Zugenommen haben in den vergangenen Jahren Anfragen von Menschen, bei denen ein naher Angehöriger gestorben ist. „Die Leute wollen von mir wissen, was sie nun machen müssen."

Generell ist Cösters Aufgabengebiet breit gefächert. Ein eher reibungsloser Akt sind Beglaubigungen von Unterschriften. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand bei seiner Bank eine Grundschuld eintragen oder löschen

möchte, die Bank aber keine Filiale vor Ort hat. „Früher machte das 70 Prozent meiner Arbeit aus", sagt der 53-jährige. Das habe aber nachgelassen. In eine ähnliche Kategorie fallen Beglaubigungen von Kopien wichtiger Dokumente wie Geburtsurkunden und Abschriften. Noch bis vor einigen Jahren mussten Bewerber für eine Stelle etwa im öffentlichen Dienst beglaubigte Zeugniskopien einreichen. „Heute werden nur noch PDF-Dateien verschickt."

Stark nachgefragt sind zudem Schätzungen von Häusern und Grundstücken. In den zurückliegenden 25 Jahren sei er 140 Mal aufgefordert worden, zusammen mit seinen Schöffen den Wert von Land und Immobilien in Nieder- und Oberlistingen zu bestimmen. In beiden Orten leben 1400

Menschen. Wer ein Haus verkaufen möchte, kann dessen Vermögenswert von einem amtlich bestellten Gutachter bestimmen lassen. Er kann sich aber auch für die günstigere Variante entscheiden und auf die Ortsgerichte zurückgreifen, die dafür eine Aufwandsentschädigung berechnen. Seine Erfahrung über den Wert von Gebäuden: Für Bestandsgebäude aus den 1930er- bis 1960er-Jahren hat er abgenommen. An vielen Häusern gebe es einen Sanierungsstau. Ganz anders sieht die Situation bei Immobilien jüngeren Datums aus. Deren Wert sei gestiegen. „Es wird immer teurer, einen Kubikmeter umbauten Raum herzustellen", sagt der Experte. Die Baukosten würden steigen, Kredite hätten sich verteuert.

Und weil Cöster als Ortsgerichtsvorsteher die Befugnisse eines Ehrenbeamten hat, werde er regelmäßig um Amtshilfe gebeten. „Oft geht es dabei ums Geld", sagt er. Und dann würden schon mal Tränen der Verzweiflung fließen. Wenn etwa die Rente der Seniorin nicht ausreicht, um die Kosten fürs Heim zu tragen, sind die Kinder unterhaltspflichtig. Dabei zählt nicht nur das, was an Geld auf dem Konto liegt. Auch der Wert einer lmmobilie wird betrachtet, etwa des Wohnhauses, in dem die Kinder leben. Dann geht es schnell um existenzielle Fragen. „Die Vermögenswerte werden mit einbezogen und von uns geschätzt", erläutert der Oberlistinger die Aufgabe des Ortsgerichtes, die es so nur in Hessen und in keinem anderen Bundesland gibt.

Ähnlich brisant wird es zuweilen bei Todesfällen. Wenn nicht offensichtlich ist, wer von den Hinterbliebenen erbberechtigt ist, werden die Ortsgerichte bei der Recherche mit eingebunden. Nicht immer wechselten mit einer Erbschaft große Geldbeträge den Besitzer. Mitunter gehe es auch um Schulden, die ein Verstorbener etwa seiner Enkelin hinterlassen habe. Die entfernten Angehörigen reagierten oft geschockt, insbesondere dann,

wenn es zu Lebzeiten kaum Kontakt gegeben habe. Und so erhalte er hin und wieder auch Anfragen von Bürgern, die ein Erbe ausschlagen wollen und von ihm wissen möchten, was zu tun ist. „Dann musst du einfach menschlich sein." Wer sich für dieses Ehrenamt interessiert, sollte aus seiner Sicht mit beiden Beinen im Leben stehen, in seinem Ort gut verwurzelt sein und einen guten Draht zu den Menschen haben, die einem ihr Vertrauen schenken.

Bislang nur zwei Mal in den vergangenen 25 Jahren kam es vor, dass André Cöster den Nachlass von Verstorbenen sichern musste. „Dann gehe ich ins Haus und sehe nach dem Rechten." Er sorgt dafür, dass im Gebäude keine Schäden entstehen und kümmert sich um möglicherweise vorhandene Haustiere. Wenn es keine Erben gibt, ist es wahrscheinlich, dass das Gericht einen Nachlassverwalter einsetzt. Bis der gefunden ist, übernimmt André Cöster dessen Aufgaben.

Quelle Text und Foto:

Wolfhager Allgemeine vom 16.04.2025

Antje Thon