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Der Gemeindespiegel (Breuna)
Ausgabe 49/2023
Gestaltung Innenteil
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Die Lichterkette der Erinnerungen...

Lieschen sagt, früher war Weihnachten schöner, ohne Hektik und Gerenne nach passenden Geschenken. Sie ging als Kind mit ihrem Bruder Klaus und ihrem Vater vor Heiligabend in den Wald, um einen passenden Baum auszusuchen, den sie dann gemeinsam mit roten glänzenden Schleifen und selbst gebastelten Strohsternen schmückten. Echte weiße Kerzen wurden in eine Halterung gesteckt und Engelshaar lag wie fein gesponnene Watte darüber. Vater hatte die Gans vom Bauern schon morgens für den ersten Weihnachtstag vorbereitet. Mit Salz und Pfeffer gewürzt und Äpfeln und Mett gefüllt, ein altes Familienrezept.

Eine polnische Gans, die qualvoll gestopft wurde, wäre bei Vater nie in den Bräter gekommen. Einmal sollte es zu Weihnachten Karpfen geben. Vater setzte ihn in die Badewanne, damit er sich sauber schwimmen sollte. Lieschen taufte ihn auf den Namen Hugo und fütterte ihn fett mit Brotkrumen. Vor der Bescherung ging die ganze Familie zum Gottesdienst. Danach gab es wie jedes Jahr Kartoffelsalat mit Würstchen. Lieschen konnte es kaum abwarten, bis das Glöckchen für die Bescherung klingelte. Jedes Kind bekam einen Weihnachtsteller mit Äpfeln und Nüssen und Plätzchen, die ihre Mutter vorher gut versteckt hatte. Es gab zu viele neugierige Weihnachtsmäuse im Haus, die sich sonst darüber hergemacht hätten. Einmal hatte ihr Vater eine Puppenstube aus Holz mit kleinen elektrischen roten Lämpchen gebastet. Sogar Tapeten und Teppichboden waren darin und vor dem winzigen Fenster hingen rote Gardinen mit Blütenmuster, die seitlich an kleinen Haken mit Kordeln befestigt waren. Zwei kleine Püppchen aus biegsamer Gummimasse lagen in den mit weißen Leinenresten und Spitze bezogenen Betten. Ein rosa Badezimmer, das WC hatte einen weißen Deckel aus Plastik und ein Wohnzimmer mit Möbeln, in dem man die Schränke öffnen konnte, hatte es auch. Darüber hatte sich Lieschen so sehr gefreut, dass es immer in ihrer Erinnerung blieb. Unter dem Baum lag noch eine Überraschung. Das Christkind schenkte ihr zusätzlich zwei Ausschneide-Puppen aus bunter Pappe und schöne Kleider zum Anziehen, Hüte und Schuhe lagen mit dabei. Sie hießen Betti-An und Lindi-Lu.

Ihr Bruder wünschte sich immer einen kleinen Zinnsoldaten für seine Sammlung. In diesem Jahr freute er sich zusätzlich über eine kleine Dampfmaschine, die man mit Esbitwürfeln zum Dampfen und Pfeifen brachte. Solche Geschenke waren schon etwas Besonderes. Meist bekam die Puppe nur ein gehäkeltes neues Kleid oder der alte Schlitten stand mit einem neuen Anstrich unter dem Baum. Die Kurven hatte Vater mit Speckschwarte glatt gerieben. Für teure Sachen fehlte das Geld. Viel wichtiger war für alle, die gemeinsame Zeit, die man zusammen an den Weihnachtstagen verbrachte. Früher gab es kein Hightech, Handys oder Laptop. Keine Lauferei nach passenden Geschenken vor dem Fest, die größtenteils ohnehin später wieder umgetauscht wurden. Bei schlechtem Wetter spielte man Hütchen, Mensch ägere dich nicht, Mundharmonika, Halma oder Mikado usw. Überwiegend traf man sich aber bei jedem Wetter draußen mit seinen Freunden und kam est um sechs nach Hause, wenn die Kirchturmglocke schlug. Wehe, wenn man sie ignorierte, die Mutter rief erbost, ich zähle jetzt bis drei, dann seid ihr drin.

Wenn man als Kind gewusst hätte, dass gar nichts Schlimmes nach der drei passieren würde, hätten wir auch bis vier gewartet und länger gespielt. Als Mutter wärst du dann aufgeschmissen. So rannte man immer schön nach der drei ins Haus. Viel später durfte es auch nicht sein, dann ging der Dorflehrer seine Runde. Heute sind die Zeiten, als Peter Lustig die Welt erklärte, längst vorbei, geht alles digital.

von Erika Reinecke, Oberlistingen