Kurpension für Nervöse und Erholungsbedürftige!
Alte Häuser wissen interessante Geschichten zu erzählen und machen Zuhörer aufmerksam
Alte Häuser wissen interessante Geschichten zu erzählen - gelebte Geschichte. Deshalb war auch der zweite Vortrag in der Reihe des Stadtarchivs Felsberg wieder gut besucht.
Rolf Fröhlich berichtete von den umfangreichen Recherchen die ihn und seinen Mitautor Heinz Körner lange Zeit beschäftigt hatten. Die Sucharbeit in Archiven war zwar zeitaufwendig aber doch hoch interessant. Aber nicht zu vergleichen mit den Gesprächen, die mit mehr als 100 Personen aus Gensungen geführt wurden. Dabei waren den beiden Autoren immer wieder bisher unbekannte Dokumente und Fotos zur Verfügung gestellt worden.
In seinem Vortrag rückte Rolf Fröhlich dann einzelne Gensunger Häuser mit besonderen Geschichten in das Interesse der Zuhörer.
So zum Beispiel das Haus Kühnel (ehemals Haus Nr. 49), das dem Neubau des EDEKA-Marktes weichen musste. Erste bekannte Eigentümer waren die Herwigs - Vorfahren des ehemaligen Bürgermeisters Adolf Herwig. Bei den Bauarbeiten wurde eine fast vollständige Tasse - etwa 2.750 Jahre alt - gefunden, ebenso an einem Stallgebäude die gut erhaltenen Mauersteine mit dem eingepressten Logo „High Level Co. Gensungen“. Diese Steine stammen aus der Zeit um 1880/1881 und waren in der Nähe der Braunkohlenzeche Heiligenberg hergestellt worden. Auch im Hessischen Mannschaftsregister von 1639 werden die Herwigs bereits genannt. Ebenso in der Canton-Liste von 1824. Darin werden Vater und Söhne mit ihren Vor- und Zunamen, Geburtsdatum und Geburtsort Gensungen genannt. Die beiden Töchter werden nur in ihrer Anzahl und den Geburtsjahren erwähnt.
Eine bemerkenswerte und weitsichtige Persönlichkeit muss der Bürgermeister Johann Heinrich Clobes gewesen sein. Unter dessen Regie wurde die Molkerei gegründet - ein Unternehmen, das unter seinem späteren Eigentümer Heinrich Prinz Weltruhm mit seinen Käseprodukten erreichen sollte. Legendär war der Prinz-Camembert. Aber auch der Schloss-Käse und der Kronen-Käse gehörten zum Sortiment. Bereits auf der Weltausstellung in Paris im Jahre 1900 konnte die Firma Prinz mit ihren Produkten im Wettbewerb mit der internationalen Konkurrenz gut bestehen und eine silberne Auszeichnung erringen. Exportiert wurde in die deutschen Kolonien, nach USA, Ostasien und auf die Südseeinseln. 1943 waren nach der Bombardierung der Edertalsperre die Keller der Molkerei überflutet und hatten einen falschen Schimmel hinterlassen. Dadurch wurde die weltberühmte Camembert-Produktion für immer zerstört.
Ein ebenso wagemutiger aber leider erfolgloser Initiator war Dr. med. Herrmann Nicolai. Er erbaute 1903 das Haus Nr. 37 ¾ und gründete darin eine Kurpension für Nervöse und Erholungsbedürftige. Zu seiner Villa gehörte ein Kurpark mit Wandelhalle und Tennisplatz. Während des Ersten Weltkrieges diente das Haus als Erholungsheim für verwundete Soldaten. Die Wirtschaftskrise nach dem Krieg und die Inflation zwangen ihn zum Verkauf.
Auch der neue Eigentümer hatte große Pläne. Die Villa wurde zum Fremdenheim „Haus Margarete.“ Gensungen sollte ein Kneippkurort werden. Wie man weiß, wurde daraus nichts.
Juden lebten über 200 Jahre in Gensungen. 1726 siedelte sich mit Moses Hammer-schlag der erste Jude in Gensungen an und erwarb das Haus Nr. 44. Er war ein sogenannter Schutzjude, d.h. er musste für seine Bürgerrechte Abgaben an die Obrigkeit in Kassel leisten. Die Familie Hammerschlag blieb im Besitz dieses Hauses bis sie in der NS-Zeit das Haus (zwangsweise unter Wert) verkaufen musste. 1937 sind sie nach Argentinien ausgewandert. Das Haus erwarb die Gemeinde Gensungen und richtete dort ihr Bürgermeisteramt ein.
1934 wohnten noch 12 jüdische Familien mit 39 Personen in Gensungen. Am 2. August 1939 meldete Nazi-Bürgermeister Heinrich Mumberg an den Landrat in Melsungen: „Gensungen ist seit dem 25. Juli 1939 judenfrei.“
Montag, 18. November 2024:
„Gensunger in Amerika“ Auswanderer im 19. Jahrhundert und Soldaten im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg