Der diesjährige Volkstrauertag in der Aula der Wilhelm-Leuschner-Schule Niestetal fand unter dem Motto: „Gemeinsam in Frieden leben“ statt. Die Musikschule Söhre-Kaufunger Wald eröffnete den Tag mit musikalischer Untermlung, nachdem bereits die Ev. Kirchengemeinde unter der Beteiligung von Pfarrer Runzheimer und die Kath. Kirche, vertreten durch Diakon Glomb, den Sonntagsgottesdienst mit gleichem Thema abhielten.
Frau Homann, die stellvertretende Schulleiterin der WLS, leitete in die Hauptveranstaltung über und begrüßte gleich die Schülerinnen und Schüler der WLS, unter der Leitung von Herrn Hödl. Gemeinsam wurden eindrucksvoll Texte und Gedichte rezitiert und in einen modernen Kontext gerückt. Aus Kriegsberichten in Zeitungen und dem Radio wurde TikTok und Youtube. Die Kriege im 20. Jahrhundert vernichten genauso Menschenleben, wie der Krieg in der Ukraine und dem nahen Osten, die beide nur zerbombte Städte und Leid hinterlassen. Die alten Texte waren plötzlich zum greifen nah.
Gespannt hörten die fast 100 Personen der Hauptrednerin Frau Johanna Kindler, von der Demokratie-Initiative Offen für Vielfalt e.V., zu, die einst selbst an der WLS zur Schule ging. Hier ein Auszug aus ihrer Rede:
Vielleicht sagt Ihnen „Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung“ noch nichts. Aber mit großer Sicherheit sind Sie unserem Markenzeichen schon begegnet. Dem Wende-Türschild mit der Aufschrift: „Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung“
Unsere Türschilder hängen in Klassenzimmern und Hörsälen, im VW-Werk in Büros bei B.Braun, im Pausenraum bei SMA, sogar bei meinem Zahnarzt und in einigen Fenstern hier im Ort habe ich sie auch schon gesehen.
Als wir 2018 zur Landtagswahl das erste Mal mit einer Zeitungsanzeige für das Wende-Türschild geworben haben, hatten wir nicht damit gerechnet, dass wir sechs Jahre später eine Demokratie-Initiative mit 36 Kooperationspartnern, ehrenamtlichen Unterstützern, einer Geschäftsstelle und einem VW-Bulli sind.
Und wir haben nicht damit gerechnet, dass wir innerhalb von sechs Jahren mehr als 40.000 Türschilder verschicken.
Ich könnte Ihnen noch von den vielen anderen Dingen berichten, die wir jedes Jahr auf die Beine stellen. Von Schulprojekten, Konzerten, Kampagnen und Gedenk- und Bildungsveranstaltungen.
Aber ich möchte heute über das Türschild sprechen, weil es für mich mit dem diesjährigen Trauertag und dessen Motto „Für Frieden und Völkerverständigung“ zusammenhängt.
Es hat mich zum Schreiben dieser Rede motiviert.
Die Hürde dazu war recht hoch. Mir ist das nicht gerade leichtgefallen ist. Denn: Die Konflikte dieser Welt sind so groß. So verschieden und so omnipräsent.
Wo soll ich da anfangen?
Beim 06. November? Als Donald Trump erneut zum Präsidenten der USA gewählt worden ist. Dem „Ampel-Aus“, das Deutschland in eine Regierungskrise geführt hat.
Am 7. Oktober 2023? Als die Hamas Israel angriffen und damit unermessliches Leid für Hunderttausende Israelis und Palästinenser begann.
Oder am 24. Februar 2022? Als Putins Angriffskrieg auf die Ukraine den Krieg zurück nach Europa gebracht hat. Und Grundfeste unserer Überzeugung erschütterte.
Oder schon im Frühjahr 2020? Als die Corona-Pandemie den Alltag, wie wir ihn bisher kannten, beendete. Und Millionen Menschen auf der ganzen Welt das Leben kostete.
Ich sage Ihnen, wo ich anfange:
Bei dem, was uns durch all die Krisen getragen hat. Und was wir bei all den Konflikten nicht aus den Augen verlieren dürfen:
Unseren Werten!
All die Menschen, die sich eines dieser Türschilder an die Haustür, ins LKW-Fenster oder den Friseursalon gehängt haben, zeigen etwas:
Sie stehen für Werte ein. Für demokratische Werte. Für Freiheit, für Vielfalt, für Zusammenhalt, für Mitmenschlichkeit. Aber auch für anderes: Sie stehen „Geschlossen gegen Ausgrenzung“! Wir bleiben nicht still, wenn jemand seine Manieren vergisst und menschenfeindliche Parolen am Tisch laut werden Wir zeigen Haltung. Und treten für die unsere Werte ein. Das klingt vielleicht etwas pathetisch. Aber das soll es gar nicht sein. Das ist es auch nicht. Es ist nur das, was wir in der Kindheit und der Schule gelernt haben.
Anstand. Menschlicher Anstand.
Deshalb ist diese Aula heute auch der richtige Ort für den Volkstrauertag. Wir haben doch alle gelernt, dass man nicht schlecht über andere Reden soll. Wir haben gelernt, dass man freundlich und geduldig sein soll. Hilfsbereit und höflich. Oder wie der Sportjournalist und Sohn eines Holocaustüberlebenden, Marcel Reif, in seiner bewegenden Rede im deutschen Bundestag sagte:
„Sei ein Mensch“.
Und genau das ist gerade wichtig in einer Zeit, in der der politische Streit so allgegenwärtig ist. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauk hat gesagt: „Austausch und Diskussion sind der Sauerstoff der offenen Gesellschaft: Streit ist ihr belebendes Element“.
Ganz ehrlich, wenn Sie mich fragen: Lebhaft war es für mich in letzter Zeit genug. Deshalb mache ich heute einen Gegenvorschlag zu Joachim Gauck.
Ich verzichte auf den Streit.
Denn der Streit ist in den letzten Jahren von den Feinden unserer offenen Gesellschaft missbraucht worden, um demokratische Spielregeln in Frage zu stellen. Missbraucht, um Legitimität bewährter Institutionen zu untergraben. Missbraucht, um den politischen Gegner zu diskreditieren. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich sage nicht, dass wir nicht auch hart diskutieren müssen. Die Konflikte unsere Zeit lassen es nicht anders zu.
Aber wollen wir wirklich in einem politischen Klima leben, in dem Mandatsträger*innen ihre Ämter niederlegen, weil sie Bedrohungen und Beleidigungen nicht mehr aushalten? In dem Spitzenpolitiker*innen Polizeischutz brauchen, weil sie mit dem Tode bedroht werden?In dem hohe Beamte dieses Staates nachts auf ihrer Veranda in Wolfhagen von einem Rechtsextremisten erschossen werden. Weil sie für Werte einstehen?
Demokratische Werte sind unsterblich.
Demokratien nicht.
Nur wenn wir alle das Gespür für unsere gemeinsamen Ziele wieder entdecken, können wir Lösungen finden.
Wir alle, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Einzelinteressen,
Die Mütter und Väter der Bundesrepublik haben miteinander diskutiert. Sie haben auch gestritten. Aber sie haben vor allem eins: Kompromisse gefunden! Deshalb mahnt uns der Volkstrauertag nach den Erfahrungen der Weltkriege: „Lasst uns wieder mehr zusammenkommen!“ Und gemeinsam Lösungen finden.
Lassen Sie uns nicht hinnehmen, dass unsere Freiheit und Ordnung infrage gestellt wird – von jenen Kräften, die uns Spalten wollen.
Lassen Sie uns lieber über die Kräfte sprechen, die uns zusammenbringen. Sprechen wir über die Mitmenschlichkeit der Freiwilligen, die seit dem 7. Oktober jede Woche vor der Kasseler Synagoge zum „Wächterdienst“ kommen. Und den Jüdinnen und Juden bei uns einen sicheren Gottesdienst ermöglichen.
Sprechen wir über den Mut der Bürger*innen in Wesertal. Nachbarn, die gemeinsam verhindert haben, dass ein Rechtsextremist einen Begegnungsort für Neo-Nazis eröffnet. Denken wir an die Solidarität der Menschen von den großen Demonstrationen für Demokratie und Vielfalt auch hier in Nordhessen. Als Rechtsextremisten Pläne schmiedeten, um unsere Freunde, Kollegen und Mitbürger*innen auszuweisen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Der Volkstrauertag mahnt uns!
Er mahnt uns, unsere Menschlichkeit nicht zu verlieren.
Mensch zu sein. Und er mahnt uns, für unsere Werte, unsere demokratischen Werte einzutreten. Die große Mehrheit in unserem Land teilt diese Werte. 40.000 Bürgerinnen und Bürgerzeigen es mit diesem kleinen Türschild.
Ich lade Sie ein, dabei zu sein. Bestellen auch Sie sich ein kostenloses Türschild auf offenfuervielfalt.de. Und zeigen Sie, dass Sie für Werte einstehen.
Das Schöne: Demokratie und Vielfalt sind - anders als bei Romeo und Julia – eine glückliche Liebesgeschichte. An der wir alle mitschreiben können.
Den Abschluss umrahmte Bürgermeister Brückmann, zusammen mit Herrn Heilmann und Herrn Schneider von der Musikschule, die diese Veranstaltung jedes Jahr aufs Neue bereichern. Im Anschluss wurden die Kränze an den Friedhöfen und dem Gedenkstein am Schwalbesberg von unseren Mandatsträgern niedergelegt und eine Gedenkminute abgehalten.
Spenden an Offen für Vielfalt und den Volksbund sind immer willkommen und helfen der Demokratie und dem Friedensprozess.
Volksbund Landesverbandes Hessen
Postbank Frankfurt am Main
IBAN: DE52 5001 0060 0034 4646 06
Verwendungszweck: Niestetal 24
Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung e.V.
Für weitere Informationen nehmen Sie gern Kontakt zum Verein auf.
E-Mail: kontakt@offenfuervielfalt.de
Telefon: 0561 499 44 258