Robert Heinemann erinnert sich an das Kriegsende 1945, das er als Zehnjähriger in seiner Heimatgemeinde Wellerode erlebte. Der Bericht wurde etwa 1995 geschrieben. Der Verfasser ist in 2006 verstorben.
Ostern 1945 -Die Amerikaner kommen
Die näher kommende Front war nicht zu überhören. Es war ein unheimliches Grollen. Täglich überflogen große Verbände amerikanischer Bomber unser Dorf. Oft schoss unsere Flack aus allen Rohren. Mir ist nur ein Flugzeug bekannt, das abgeschossen wurde und in Kaufungen abstürzte. Selbst da musste ich mit meinen Freunden Noske und Annacker hin, wo mich eine Hornisse in den Backen stach. Ein großer Granatsplitter unserer Flack, durchbohrte das Jauchefass von Onkel Jean. Ein guter Grund, die Jauchegrube nicht zu leeren.
Bei Zinkenschusters herrschte fürchterliche Angst, als die Amerikaner schon in Marburg waren. Die Mädchen holten den Schulatlas, um den Fluchtweg festzulegen. Sie wollten allen ernstes mit dem Pferdefuhrwerk abhauen. Die Amis waren schneller. Am 3. April 1945 ging es mit Handwagen, Federbetten, eingekochten Rippchen und Ostereiern in den Diebgraben. Mit großen Schlagtüchern, die sonst für die Getreideernte benutzt werden, wurde zwischen den Tannen eine Art Zeltdach gespannt. Die Noskes hatten ein richtiges kleines Zelt. Ich sollte mit darin schlafen. Als Nachts von Wattenbach her das Maschinengewehrgeratter immer näher kam, flüchteten meine 14-jährigen Zeltkumpels zu Mutter unters große Zeltdach. Mir blieb nichts anderen übrig, ich lag neben meiner Mutter auf einer Baumwurzel, ohne ein Auge zu schließen. Eine unvergessliche Nacht.
Am nächsten Tag war der Ami über den Schorn kommend schon in Wellerode. Der Volkssturm hatte die großen Tannen in den Kurven der Wattenbacherstraße umsonst als Panzerhindernis abgesägt. Welche Naivität. In Wellerode schlugen nur zwei Panzergranaten ein. Gott sei Dank. Die geflüchteten deutschen Soldaten ließen Stahlhelme, Munition und sonstiges Kriegsgerät im Wald zurück. Porsch Willi kam mit Stahlhelmen an. Wir liefen bis ins Knickchen. Mit aufgesetzten viel zu großen Stahlhelmen kletterten wir auf die Bäume, um zu gucken, wo der Feind nun eigentlich war. Ein Jeep mit voll bewaffneten Soldaten kam angefahren. Hätten sie nur ein mal in die Bäume geguckt, würde ich heute dies nicht mehr schreiben können.
Nach 3 Tagen waren wir wieder in unserer Wohnung. Ein amerikanischer weißer Soldat, kam die Treppe hoch und rief nur das eine Wort „Eggs“ (Eier). Meine Mutter machte die Schranktür auf und präsentierte ihm die ganze Schüssel voll Eier, die wir vom Diebgraben wieder mit zurückgebracht hatten. Der Mistkerl nahm alle Eier mit, obwohl ich ihm was vorheulte. Am nächsten Tag sollte das ganze Dorf geräumt werden. Wir sollten alle auf den Belgerkopf. Plötzlich, wir waren fast letzte, nur bis an den Fahrenbachsteichen gekommen, mussten wir wieder umkehren. Jetzt ging es mit unserem voll besetzten Handwagen an die Söhrebahn nach Wellerode-Wald, wo wir in die Eisenbahn-Waggons gepfercht wurden. Die Füße von Edith links und von Lisa rechts kitzeln mir heute noch im Gesicht, denn wir lagen wie die Heringe in der Sardinenbüchse auf den Sitzbänken der Personenwagen.
Es ging damals das Gerücht um, die ausländischen Zwangsarbeiter, die während des Krieges in einem Barackenlager in Wellerode untergebracht waren, sollten aus Rache das Dorf plündern. Es stimmte nicht. Die sehr jungen 15-17 jährigen Russen, Polen und Franzosen, die den Welleröder Landwirten als Helfer im Krieg zugeteilt wurden, zeigten jetzt ihren ehemaligen Herrn ob sie gut oder schlecht behandelt wurden.