Feuerzeug 1946
Reisshaken für Förster
Von Erich Haldorn (Teil 1)
Ich hatte bereits in einem anderen Bericht meinen Arbeitsplatz bei der Firma Heinz Bokelmann in Landwehrhagen teilweise geschildert. Es waren Vorkommnisse, die ich dort erlebt habe, die heute, nach fast 80 Jahren, unvorstellbar sind. Als ich am 16. Oktober 1945 bei Bokelmann als Dreher eingestellt wurde, war ich vier Wochen vorher als 18 jähriger aus der amerikanischen Gefangenschaft entlassen worden. In Landwehrhagen waren die vom Krieg zerstörten Häuser noch nicht wieder aufgebaut. Die öffentlichen Ämter, wie Landratsamt mit Nebenabteilungen, waren erst im Aufbau. Die amtlichen Bekanntmachungen wurden von der Britischen Militärregierung veröffentlicht. Man sah wie die Menschen in Landwehrhagen nach verwendbarem Baumaterial für den Neubau in den Trümmern suchten. Der alte Hartmann ging morgens als Schweinehirte mit seinem Hund und das Horn blasend durch das Dorf; und die Schweine kamen von den Höfen, um zur Hute zu laufen. Erstaunlich war, wenn der Hirte zurück kam, lief jedes Schwein ohne Einweisung vom Hirten auf den Hof, wo es hin gehörte. Vom Begriff „Dummes Schwein“ konnte man nicht sprechen. Hühner und Gänse liefen auf der Straße.
Die wöchentliche Arbeitszeit 1945 betrug 48 Stunden, von Montag bis Sonnabend 13.00 Uhr. Urlaub gab es 12 Arbeitstage einschl. Samstag Der Stundenlohn betrug 85,00 Reichspfennig. 1944 erhielt ich als Dreher bei Junkers Flugzeugbau in Kassel als jugendlicher Facharbeiter mit 17 Jahren im Werkzeugbau bei 72 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit, in Wechsel bei Tag- und Nachtschicht, 49,00 Reichspfennig pro Stunde. Ein Jugendschutzgesetz und Urlaub gab es nicht wegen „Totalen Kriegseinsatz“, ausgerufen von Joseph Goebbels.
Die Werkstatt hatte Bokelmann von Gustav Coß in einem alten Bauernhof gemietet. Es war ein früherer Pferdestall mit zwei Räumen. In dem kleineren Werkstattraum hatte Bokelmann vom Flugzeugwerk Gerhard Fieseler Kassel, wo er bis Kriegsende in der Konstruktions-Abteilung Abteilungsleiter war, eine Drehbank, eine Fräsmaschine, eine Ständerbohrmaschine und eine Flächenschleifmaschine, sowie einen Schleifbock aufgestellt. In dem größeren Raum standen vier Werkbänke, Bohrmaschinen, sowie eine Handspindelpresse (Balance). Wie Herr Bokelmann, und auf welchem Wege er die Maschinen und wenigen Werkzeuge beschafft hat, hat er nie verraten. Im hinteren Teil an der Wand vom großen Raum, standen die Krippen für die Fütterung der Pferde. Die Krippen waren noch bei meinem Ausscheiden 1948 vorhanden. Wir benutzten die Krippen als Ablage für alles Mögliche. Im September 1945 hatte Herr Bokelmann den Betrieb für Fertigung von Schnitt- und Stanzwerkzeuge bei der Militärregierung in Hann. Münden angemeldet. Als ich am 16. September 1945 eingestellt wurde, waren bereits Christian Krause aus Uschlag und Otto Kiehl aus Spiekershausen als Werkzeugmacher beschäftigt. Zwei Wochen später hatte ich meinen Freund Willi Kater aus Nienhagen, der auch Dreher gelernt hatte, als Werkzeugmacher zu Bokelmann vermittelt. Wir waren nun zu zweit, die den gleichen schlechten Weg von Nienhagen nach Landwehrhagen hatten. Bokelmann selbst stand täglich mit einem gelblichen Arbeitskittel an der Werkbank mit der Feile in der Hand und arbeitete mit. Als Toilette hatten wir ein kleines Häuschen draußen auf dem Hof Coß. Ein sogenanntes Plumpsklo, das Papier musste man immer als Zeitungspapier mitbringen. Somit konnte man bei längeren Sitzungen alte Zeitungen lesen.
Besonders 1945 wurde öfters das gesamte Stromnetz in Landwehrhagen ausgeschaltet. Auch bei uns in der Werkstatt war alles „duster“. In dieser Zeit räumten und putzten wir den Schmutz und Dreck zusammen, soweit man ohne Licht in den alten Ställen sehen konnte. Diese Zeit wurde bezahlt.
Auf dem Hof Coß im alten Kuhstall war Adolf Spohr sen., ein kleinerer Landwirt, mit seinen Kühen im alten Stall untergebracht. Das Geschirr der
Kühe hing draußen an der Wand unter einem größeren Vordach. Die Miste von Spohr war auf der anderen Seite auf dem Hof. Das alte Haus mit Stallungen von Adolf Spohr war durch Artilleriebeschuss der Amerikaner 1945 abgebrannt. Da Gustav Coß Mitglied der Sturmabteilung war, wurden die Stallungen für Spohr durch die Militärregierung beschlagnahmt. In einem anderen Nebengebäude auf dem Hof Coß hatte ein Malermeister einige Räume gemietet. Es war immer Bewegung auf dem Hof.
Neben Haus Coß war der Landwirt Büthe mit mehreren Kühen. Zwischen
den Häusern war ein Tor, es wurde aber nie geschlossen. Eine größere Miste von Büthe befand sich gleich rechts am Eingang. Wenn morgens entmistet wurde, bekam man die Düfte in vollen Zügen mit. War aber nicht tragisch. Herr Büthe hatte eine schöne Tochter.
Familie Bokelmanm hatte eine Wohnung bei Förster Oskar Müller. Herr Bokelmann kam morgens zu Fuß in die Werkstatt. Etwa 1946 wurde eine Wohnung im Hause Coß ausgebaut und an Fam. Bokelmann vermietet. Wir nahmen an, dass Bokelmann sich an dem Ausbau mit den Kosten beteiligt hat. Auch ein kleines Büro im Haus wurde hergerichtet. Die Büroarbeiten erledigte Frau Bokelmamn. 1945-46 hatten wir wenige Aufträge für den Werkzeugbau. Förster Müller, wo die Familie Bokelmann wohnte, hatte den Chef darauf aufmerksam gemacht, dass die Förster Anreiss-Werkzeug benötigten, um die zu fällenden Bäume kenntlich zu machen; damit die Waldarbeiter wussten, welche Bäume sie einschlagen sollten. Christian Krause erhielt den Auftrag diese Geräte zu entwickeln und herzustellen. Der Griff des Werkzeuges wurde aus Holz gefertigt. Eine größere Anzahl wurde gefertigt und den Förstern angeboten. Leider blieben einige dieser Haken in einer Kiste liegen. Ich habe mir einen als Erinnerungsstück mitgenommen. Ich wurde 1946 beauftragt eine Serie Feuerzeuge anzufertigen. Hier mussten die meisten Einzelteile auf der Drehbank gefertigt werden. Die verzahnten Rädchen wurden gefräst und gehärtet. Die größte Schwierigkeit war, wo bekommen wir die Feuersteine her. Karlchen Hartmann aus Landwehrhagen hatte Beziehungen zum Schwarzmarkt und hat diese günstig beschafft. Natürlich erhielten wir jeder ein Feuerzeug von Bokelmann geschenkt. Das Ding war etwas groß und schwer, aber man war froh ein Feuerzeug zu besitzen. Die Feuersteine sind rund, etwa 2 mm dick und etwa 5-6 mm lang. Und hier gab es Schwarzmarkt-Händler die alte Fahrradspeichen auf Länge geschnitten hatten und verkauften. Man konnte den Betrug erst feststellen wenn man zuhause den Stein ins Feuerzeug einlegte. 5,00 Mark musste man auf dem Schwarzmarkt zahlen. Das Rauchen war sehr oft ein Thema in der Werkstatt. Jeder hatte ein anderes Rezept, wie man am besten dem selbst gezogenen Tabak einen guten Geschmack beibringt. Das Zollamt Münden kontrollierte in den Gärten die festgelegte Stückzahl der Tabakpflanzen, die man anbauen durfte. Man tauschte gegenseitig zur Probe seinen Tabak, auch Bokelmann beteiligte sich. Der einzige, der nicht rauchte, war Otto Kiehl.
Die Lagerhaltung von Material und Werkstoffen, sowie Bereitstellung von Messwerkzeugen für die Mitarbeiter war eine Katastrophe. Wir brachten, soweit jemand eine Schieblehre hatte, sie mit zur Arbeit. Bedingt durch den „totalen Krieg“, waren alle Firmen und Lieferanten von Rohmaterial und Werkzeugen mit einem Neuanfang beschäftigt. Und so musste auch Herr Bokelmann, als Neuling in der Branche, sich bemühen, für den Betrieb mit hohem Aufwand und persönlichem Einsatz, Material zu bekommen.
Bokelmann hatte Freunde bei Stiebel Eltron in Holzminden und bei Brown Boveri in Braunschweig, und hier erhielt er seine Aufträge für Schnittwerkzeuge und Bohrvorrichtungen. Für die Stempel und Schnittplatten musste man Stahl haben, welches man härten konnte. Am Hühnerfeld lag ein zerschossener Panzer aus den letzten Kriegstagen der Deutschen Wehrmacht. Hier fuhren wir mit einem Handwagen hin und mit Schweißgerät brannten wir Werkstoff aus dem Panzer, in der Annahme, dass man dieses Material härten konnte. Oft hat es geklappt. Es war für Bokelmann sehr schwierig Sauerstoff und Gas zu beschaffen. Auch hier mussten wir sehr sparsam mit umgehen. Ein Elektro- Schweißgerät hatten wir nicht Die Schnittstempel und Schnittplatten der gefertigten Werkzeugteile mussten gehärtet werden. Normalerweise hat man einen Härte-Ofen, wo die entsprechende Temperatur, die notwendig ist, angezeigt wird. Wir hatten nur eine Feldschmiede, die mit Schmiedekohle bestückt und mit Fußantrieb angetrieben wurde.
(Fortsetzung folgt)