Zigarettenspitze Echthorn mit Restzigarette, 1947
Packung 1995
Von Erich Haldorn (Teil 3)
Und so sind wir alle in die Gewerkschaft der IG Metall eingetreten. Schumann war in der KPD und im Stadtrat Hann. Münden. Das muss man sich heute, in 2024, mal vorstellen, dass ein Arbeitgeber sich 1946 bemüht hat, dass seine Belegschaft in eine Gewerkschaft eintreten möge.
Heinz Bokelmann hatte natürlich auch Vorteile von seinem Einsatz. Bei einer Auftragsvergabe von Behörden und Betrieben an die Firma Bokelmann, hätte Schumann eine Empfehlung für ihn abgeben können.
Der Sommer 1947 war ein gutes Heidelbeerjahr. Heinz Bokelmann sagte zu Willi Kater und mir: „Ihr könnt morgen zu Hause bleiben und für meine Frau Heidelbeeren pflücken“. Für Willi Kater war es kein Problem. Er musste als Kind für seine Mutter fast täglich Heidelbeeren sammeln, die dann verkauft wurden. Für mich war es grauenvoll. Willi hatte einen fast vollen Wassereimer und ich nur einen halben.
Herr Bokelmann kam im Herbst 1946 zu mir und fragte: „Können Sie eine Ölpresse fertigen? Ich kann Rübsamen kriegen und daraus kann man Speiseöl pressen“. Wir machten eine kleine Zeichnung und ich fertigte aus Stahl Drehteile für eine Ölpresse. Es fehlte lediglich ein Kugeldrucklager. Mein Freund Robert Rohde aus Benterode war beim Dianawerk in Kassel beschäftigt und besorgte das Drucklager. Herr Bokelmann sagte: „Das Ölpressen können wir aber hier in der Werkstatt nicht machen. Sie haben doch einen elektrischen Motor und könnten doch das Öl zu Hause pressen“. Ich baute ein Gestell, in dem die Ölpresse befestigt wurde. Der Antrieb erfolgte durch einen Motor mittels eines Flachriemens. Abends vorher brachte Bokelmann den Rübsamen zu uns nach Nienhagen und ich blieb am anderen Tag zu Hause und presste Öl. Natürlich blieb auch etwas Öl für meine Mutter übrig. Die Arbeiten musste ich öfters wiederholen.
Willi Kater und ich erfuhren, dass in Landwehrhagen der Horndrechsler Karl Liese Zigarettenspitzen anfertigte. Wir fuhren nach Feierabend zu Herrn Liese und fragten, ob wir eine Zigarettenspitze kaufen könnten. Er fragte: „Wo kommt ihr denn her“. Als er den Namen Bokelmann hörte, sagte er: „Ja, ihr könnt jeder eine bekommen“. Dann sagte er: „Ich habe einen Tabakkopf, der ist gerissen, hier müsste ein Aluminium Ring drum, dann ist die Pfeife wieder in Ordnung. Könnt ihr das machen?“ Wir sagten: „Klar können wir das!“. Als Herr Bokelmann außer Haus war, habe ich den Ring gedreht, auf der Pfeife befestigt und nach Feierabend zu Onkel Liese gebracht. Zwei Tage später fragte mich Herr Bokelmann: „Sie hatten doch keinen Auftrag mit Aluminium zu drehen, wo sind denn die Aluspäne in der Wanne her?“ Natürlich habe ich die Wahrheit gesagt und er antwortete: „Sie müssen mich doch vorher fragen“. Dann meinte er: „Wenn Sie wieder zu Herrn Liese gehen, dann fragen sie ihn, ob er für mich auch eine schöne Spitze hat.“ Das war natürlich klar, dass Opa Liese eine besonders schöne Spitze für ihn anfertigte. Mit der Absicht, dass wir jetzt bei Heinz Bokelmann öfters kleine Aufträge für ihn erledigen könnten, ja, und so war es dann auch. Ich habe oft Aluminium Ringe für kaputte Pfeifen drehen müssen.
Es entwickelte sich mit Familie Liese eine gute Freundschaft. Da ihr Sohn Richard noch in Gefangenschaft war, wurde ich aufgenommen wie ihr eigener Sohn. Ich musste versprechen, wenn ich Hilde Richter heirate, dass ich Lieses als Gäste einlade. Ich hab meine spätere Ehefrau, die als Hausgehilfin bei Frau Bokelmann beschäftigt war, kennengelernt und 1952 geheiratet. Das Ehepaar Karl Liese wurde natürlich eingeladen. Unsere Ehe hat 68 Jahre bis zum Tod von Hilde gehalten. In den drei Jahren, in denen ich bei Bokelmann beschäftigt war, hatte sich mit vielen Landwehrhäger Einwohnern eine Freundschaft entwickelt.
Nach Arbeitsschluss, besonders im Sommer, fuhren Willi Kater und ich zur Familie Hartmann. Otto Hartmann und Adolf Spohr waren Arbeitskollegen von meinem Vater an der Autobahnmeisterei Kassel Ost. Otto Hartmann war nach dem Krieg bei der Bundesbahn als Zugführer beschäftigt. Er trug eine schmucke Uniform. Therese und Otto Hartmann besuchten uns in Nienhagen. Die Tochter Minna war 1939 bei uns ein Jahr als Pflichtjahrmädchen angestellt. Willi Kater und ich fühlten uns wie zu Hause bei Hartmanns. Bei der alten Frau Hartmann wurden wir oft zum Kaffee in die Wohnstube eingeladen. Der Kaffee war natürlich Malzkaffee. Das ganze hatte nur einen Nachteil: der Kaffee schmeckte öfters stark nach Ziege. Wir saßen auf der Bank vor der Haustür, viele Menschen gingen vorbei und die Nachbarin Frau Müller kam zum „Schnüttelchen“ dazu. Man kannte uns als die Leute vom Bokelmann. Der Stellmachermeister Süßmann aus Landwehrhagen und der Zimmermeister Waldmann aus Lutterberg, sowie der Tischler Reuß, waren Kunden bei Bokelmann und kamen mit kleineren Aufträgen, die normalerweise Schlosserarbeiten waren und nicht in das Fachgebiet von unserem Betrieb passten. Vermutlich wollte Bokelmann ein gutes Verhältnis mit den einheimischen Handwerkern haben. Süßmann fertigte Holzschiebekarren in größeren Stückzahlen. Christian Krause und ich mussten für Süßmann ein Gestell mit Antrieb für eine Säge anfertigen. Christian Krause erledigte die Schlosserarbeiten und ich fertigte zwei Riemenscheiben. Allerdings wurde nur einmal für Süßmann ein Auftrag ausgeführt. Vermutlich hatte Bokelmann eine "scharfe" Rechnung geschrieben. 1947 musste ich zu Dr. Günther in die Praxis fahren. Dort musste ich Maß nehmen für eine Anfertigung eines Tankdeckels, den er von seinem Auto verloren hatte. Später traf mich Dr. Günther und sagte: „Den Tankdeckel, den Du gedreht hast, hätte ich auch für den Preis in der Apotheke kaufen können“.
Wenn es auf unserer Heimfahrt regnete, machten wir in Benterode bei Stellmacher Otto Wagner in seiner Werkstatt halt. Wenn Otto Wagner lange Stangen für Leitern längs mit der Kreissäge trennen wollte, sagte er einen Tag vorher: „Morgen kommt ihr mal rein und helft mir die langen Stangen zu sägen“. Nach getaner Arbeit wurde in der Werkstatt eine selbst gedrehte Zigarette geraucht.
Der Bruder von Otto Wagner, Adolf Wagner, war im Sommer Maler und im Winter Hausschlachter. Er hatte auch Kundschaft in Landwehrhagen. Öfters wartete Adolf Wagner mit seinem Handwagen und Schlachterwerkzeug in der Bruchhöhle auf uns. Wir schoben dann, einer links und einer rechts, an den Wagenrungen, den Wagen bis zur Höhe hinauf.
Im Winter 1947 gab es außer starker Kälte auch viel Schnee. Als das Tauwetter einsetzte, hatte sich der Schnee auf dem Dach unserer Werkstatt am Nebengebäude vom Bauer Schäfer an einer Wand aufgestaut. Das Tauwasser sickerte in unsere Maschinenwerkstatt. Die Lehrlinge Horst Richter und Gustav Plinke mussten auf einer Leiter von außen durch eine Luke (kleine Holztür) auf den Boden und durch ein Dachfenster auf das Dach steigen und den Schnee mit Eimern nach unten schütten. Der Eigentümer und Gustav Coß arbeiteten häufig im Wald. Er kam öfters in die Werkstatt und ließ seine Waldäxte, so nannte er die Äxte, schärfen. Auch an diesem Tag kam Coß mit seinen Äxten und wollte sie schärfen lassen. In der Zwischenzeit war Heinz Bokelmann zu unseren Lehrlingen auf den Boden gestiegen. Gustav Coß sah die Leiter stehen und kletterte auch auf den Boden. Dann war ein großes Geschrei zwischen
Bokelmann und Coß. Coß hatte eine laute Kommandostimme und war auch einen Kopf größer als Bokelmann. Frau Bokelmann hatte das Geschrei gehört und kam in die Werkstatt und rief zu uns: „Geht auf den Boden, der Coß schlägt meinen Mann tot!“. Kollege Kiehl sagte mit ruhiger Stimme, "lass die sich man ruhig austoben, der schlägt ihn nicht tot". Vermutlich hatte Bokelmann sich bei Coß wegen dem Wasser in der Werkstatt beklagt. Gustav Coß kam nach diesem Krach nie wieder, um seine Waldäxte zu schärfen.
Eines Tages sagte Christian Krause zu uns: „Ich habe mit der Lotte in der Gaststätte Zur Ecke gesprochen, wir können dort unsere Mittagspause machen. Dort sitzen wir warm und am Tisch und nicht hier in der Werkstatt um den Ofen“ Wir nahmen unser Brot, gingen über die Straße, etwa 100 Meter bis zur Kneipe. Hier konnte man Heißgetränke oder Fliegerbier (ohne Alkohol) oder auch Sprudel bekommen. Als Lotte später nicht mehr Wirtin war, gingen wir zur Gasstätte Pötter. Allerdings mussten wir einige Meter weiter gehen. Von Pötter erfuhren wir alle Neuigkeiten aus Landwehrhagen.
1947 wurde ein Meister bei Bokelmann eingestellt. Herr Stoll, früher bei Fiesler, kam aus Kassel, fuhr morgens mit dem Fahrrad über die Autobahn nach Landwehrhagen. Außer einigen amerikanischen Autos war die Autobahn leer. Die Amerikaner warfen die Reste der Zigaretten auf die Fahrbahn. Herr Stoll sammelte die “Ümpel“ und legte sie dann auf die Ofenplatte in der Werkstatt zum Trocknen. Den gewonnenen Tabak rauchte er in der Pfeife oder drehte sich eine Zigarette.
Wir rauchten alle in der Werkstatt. Der Tabak war meistens von selbst angebauten Tabakpflanzen. Da die Dreharbeiten immer mehr wurden, hatte Heinz Bokelmann eine alte Drehbank aus Kassel von einem Freund gekauft. Mit dem Lastwagen von Georg Schäfer aus Landwehrhagen fuhren Heinz Bokelmann, ich und ein Kollege nach Kassel in die untere Königsstraße. Unter großen Umständen, Schwierigkeiten und ohne Kran, wurde die alte Maschine auf den Lastwagen geladen.
Dann wurde ein Dreher, Ernst Klipp und ein älterer Schlosser, Martin Klein aus Sichelstein, eingestellt. Beide waren Vertriebene aus Schlesien. Die Familie Klipp hatte Verwandte in Amerika und bekam oft Pakete. Natürlich auch Rauchwaren. Wenn Ernst gute Laune hatte, sagte er: „Kannst eine Pfeife bei mir stoppen“. Das war ein Genuss! Opa Klein, so nannten wir ihn, kam öfters mit der Tabakspfeife in der Hand zu Ernst und sagte: „Lass mal eine „stuben“. (war schlesisch) Wenn wir Jüngeren das wollten, sagte er: „Später“.
(Fortsetzung folgt)