Fleischbeschauer
Schwein Rasieren
Großschlachttag sechziger Jahre
Von Erich Haldorn
Teil 3
Schwein schlachten
In den dreißiger Jahren wurden in Nienhagen im Winter in fast jedem Haus ein Schwein oder auch mehrere geschlachtet. Öfters wurde auch von einem Bauern ein Rind geschlachtet. Hier konnte man dann ein Stück Rindfleisch kaufen. Die Suppe vom Rindfleisch war natürlich eine Abwechselung und besser im Geschmack wie die Schweine Suppe. Das Schlachten eines Schweines war mit hohem Aufwand an Arbeit und Organisation verbunden. Der Schlachttag musste mit dem Schlachter abgesprochen werden. Der Fleischbeschauer musste informiert werden. Die Hausfrauen hatten die Hauptlast zu tragen. Einige Tage vorher wurde Kuchen gebacken. Der große Kupferkessel wo vorher Schweinekartoffeln gekocht waren, musste so sauber sein, dass man nur noch blitzblankes Kupfer sah. Der Pfeffer musste gemahlen werden, hier hatten wir eine alte Kaffeemühle dazu. Die Därme für die Wurst musste vorher in Kassel gekauft werden. Später brachte der Hausschlachter die Därme mit. Das unangenehme war, wir sagten das „Schlachtezeug“ holen. Es war das Werkzeug vom Hausschlachter, dieses musste meistens aus dem Haushalt geholt werden wo der Schlachter vorher geschlachtet hatte. Das schwierigste war, das Brühfass. wir sagten das „scheibe Fass“ es war etwa 1,8 -2 Meter lang, 80 cm hoch und 1 Meter breit und war schwer. Später hatten die Hausschlachter einen Brühtrog der wesentlich leichter war. Bei trockenen Wetter konnte man einen Handwagen oder Schiebekarren benutzen, wenn hoher Schnee lag, wurde ein größerer Schlitten geliehen. In das „scheibe Fass“ wurde das Schwein nach der Tötung mit Kraftaufwand rein geschoben, Eimerweise wurde kochendes Wasser über das Schwein gegossen um die Borsten aus dem Körper zu lösen.
Mit sogenannten Schellen wurde von mehreren Helfern die Borsten abgeschabt. Ich möchte noch einfügen, wenn der Hausschlacht morgens kam, war meistens die erste Frage, „kocht das Wasser“. Meine Mutter musste um 5 Uhr morgens
Feuer unter den Kessel anzünden damit um 7 Uhr der große Kessel mit Wasser kochte. Um 7.00 Uhr war es ja noch dunkel. Eine Lampe mit hohen Watt Zahlen der Birne musste angebracht werden. Nach dem abschaben der Borsten, wurde das Schwein auf den Schlachte Tisch gezogen mit scharfen Messern vom Schlachter, wir sagten rasieren, es wurden die letzten Borsten am Schwein so gut es ging entfernt. Dann musste das Schwein an einem Haken, der meistens am Wohnhaus in 2 Meter Höhe eingemauert war, aufgehangen werden. Der Schlachte Tisch mit Schwein wurde nah an die Hauswand getragen und die stärksten Männer, meistens der Schlachter mit dabei, stiegen auf den Tisch und hoben das Schwein wo an den hinteren Beinen ein sogenanntes Krummholz angebracht war an den Haken. Später nahm man ein Seilzug und zog das Schwein hoch. In sechziger Jahren wurde auch ein Schlepper mit Frontlager benutzt. Nach dem Öffnen vom Bauch des Schweines vom Schlachter, wurden die Därme und alle Innereien in eine Molle getan. Der Magen
vom Schwein wurde vom Schlachter von innen nach außen gewendet. Jetzt musste man den Magen meistens im Garten, im Schnee legen und den Magenschleim mit den Schuhen oder Stiefel kräftig treten, damit der Schleim sich vom Schweinemagen löste. Dieser Magen wurde, wenn man wollte, später mit allerlei Zutaten gefüllt und gekocht. Für viele Menschen war es ein Leckerbissen. Aber nicht für mich, ich aß gern die Bratwurst, Diese ist nicht zu vergleichen mit der die man heute Kaufen kann. Da das Schwein auch von einem Fleischbeschauer, damals war es August Scheidemann, später Sohn Kurt, der mit einem Mikroskop einige Stücke Fleisch nach Trichinen untersuchte. Wenn alles einwandfrei war, nahm er ein Stempel und setzte diese an mehreren Stellen vom Schwein auf das Fleisch.
Die Beschau musste man selbst zahlen. 1939 hatten wir ein Schwein welches Trichinen hatte. Entweder es musste alles vom Schwein gekocht werden oder man konnte das Schwein zum Schlachthof nach Hann.Münde bringen. Man sagte es kommt auf die Freibank. Meine Eltern hatten entschieden, es wird nicht gekocht, sondern wir bringen es nach Münden zum Schlachthof. Vater musste zur Arbeit und so habe ich mit Freund Theo Landefeld, mein kleiner Bruder war krank, am anderen Tage mit dem Handwagen das Schwein zum Schlachthof nach Münden gefahren. Meine Mutter hat bis zum Hühnerfeld den Handwagen geschoben und ging dann wieder nachhause. Vom Hühnerfeld ging es ja nur Bergab. Das Schwein wurde uns auf dem Schlachthof abgenommen und wir sind zurück nach Hause. Man sagte früher „Schlachte Fest“. Für die Hausfrau war es kein Fest sondern viel Arbeit. Bei uns kam unsere Großmutter aus Sichelnstein und blieb einige Tage bei uns. Über die Tätigkeiten vom Schlachten des Schweines die draußen auf dem Hof abliefen möchte ich nicht erwähnen, denn es waren oft 25 Grad Minus draußen. Eine Arbeit die man heute sich nicht mehr verstellen kann, Handschuhe konnte man nicht benutzen. Wenn nun das Schwein ins Haus getragen wurde, nahmen jeweils eine Schweinehälfte auf den Rücken, die stärksten Helfer. Im Haus wurde zuerst ein gutes Stück Fleisch für gehacktes mit dem Fleischwolf, natürlich ohne Motor, sondern mit Manneskraft durch den Fleischwolf gedreht. Dieses war notwendig, denn zum Frühstück war stets gehacktes gefragt. Ich selbst konnte nie rohes gehacktes Essen. Es wurde von Mutter immer vorher gebraten. Nach vollständiger Verarbeitung vom Fleisch wie Mettwurst, Blutwurst, Weckewerk und Kopfwurst, wurden wir Kinder beauftragt an Verwandte und Bekannten im Dorf ein Stück Wellfleisch, Gehacktes und Weckewerk zu bringen, für die
Kinder eine kleine Wurst. Dieses war allgemein üblich im Dorf. Anderseits erhielt man nach dem Schwein Schlachten von Verwanden gleiches zurück. Beim entfernen vom Fleisch an den Knochen, sagte oft die Hausfrau, „lasst aber noch etwas Fleisch an den Knochen, ich will noch eine gute Suppe kochen“. Denn der Hausherr wollte viel alte Wurst haben und das Fleisch an Knochen wurde hierfür auch benötigt. Auch gab es beim Schlachten ein Schabernack. Besonders wenn Stadtkinder beim Schlachten dabei waren. Der Schlachter oder Helfer sagte dem Kind, geh doch mal zum Nachbar, der weis schon Bescheid und hol die Speckschere oder auch der Begriff Därmenhaspel wurde genannt. Beide Gegenstände gab es es nicht. Meistens hatte der Nachbar auch Spaß dabei und steckte in einen Sack einige schwere Gegenstände, wie Pflaster-oder Mauersteine. Band den Sack zu und gab dem Kind den Sack auf den Rücken. Schwer beladen kam er zurück. Oft wurde der Sack unter den Schlachtetisch gelegt mit der Ausrede, das wird später gebraucht. Oder man öffnete den Sack unter Gelächter der Anwesenden, zum erschrecken des Kindes. Es war nicht die feine Art, aber man hatte Spaß an solchen Schabernack. Auch war es üblich, was ich selbst mitgemacht und erlebt habe. Das man sich Abends verkleidete mit alten Kleidungsstücken mit einem Tuch vor dem Gesicht, damit man nicht erkannt wurde und einen Zettel im Korb und ging Abends wenn das Schlachten vorbei war zu dem Haus wo geschlachtet war. Ich habe folgendes erlebt, nach der Gesangstunde im Gasthof Schulte saßen wir in froher Runde und Otto Sausmekat sagte, „Bretthauers haben heute geschlachtet, wollen wir uns nicht mal verkleiden“ Vier Sänger sagten ja, dass machen wir. Frau Änne Schulte sagte, „das Brot oder wenn gebraten werden soll mache ich“. Mit alter Kleidung von Schultens und Gehstock sowie einen Zettel mit entstellter Schrift wurde folgendes geschrieben, wir sind arme hungrige alte Menschen und bitten um eine milde Gabe. Natürlich durfte kein Wort bei diesen Besuchen gesprochen werden, man wollte ja nicht erkannt werden. Bretthauers gaben sich alle Mühe und rätselten, wer könnte es sein? Auch die Hände mussten wir zeigen. Wir hatten aber Handschuhe über die Hände gezogen. Es wurde allerlei eingepackt und bei Schultens wurde gut gegessen und natürlich bei Bier und Spaß war es ein fröhlicher Abend.
Bei uns zuhause waren sogar aus Escherode verkleidete mit Zettel und baten um eine Gabe. Wir haben sie dann beobachtet und sahen das sie zur Landstraße Richtung Escherode gingen. Später sagte uns Heinrich Abel, dass er und andere sich den Spaß erlaubt hätten.
Abends wurden die Verwandten und Bekannte zum Abendessen eingeladen. Hier hatten die Hausfrauen schon eine Schlachte Suppe mit Klößchen gekocht. Es gab Kartoffeln, Sauerkraut, gekochtes Fleisch und Gehacktes auf den Tisch. Für die Gäste war es ein Schlachtfest, für die Hausfrau ein böser Tag. Nach dem Krieg 1945 wurden diese Schlachte Feste allmählich abgeschafft, war auch gut so. Am anderem Tage nach dem Schlachten wurde von Mutter und Großmutter von den Flommen vom Schwein und Bauchfett das Schmalz, man sagte ausgelassen. Der Schmalz wurde in große Tontöpfe aufbewahrt. Im Laufe des Jahres wurde dann der Schmalz zum Brot gegessen, aber auch für viele Speisen zum Schmelzen genommen.
Fortsetzung und Schluss folgt.