Rodelschlitten 1935
Großer Gemeinde Schneepflug für Pferdegespanne
Alte Jippe vom Vater, etwa 1905
Von Erich Haldorn
Teil 4 und Schluss
Die Winter waren öfters sehr Schneereich und kalt. Es gab einen Gemeinde-Schneepflug. Die Pferdebauern spannten zwei Pferde, manchmal auch drei vor den Schneepflug und wenn möglich noch mehrere Menschen mussten sich auf den Pflug setzen, damit der Pflug möglichst bis auf die Straße den Schnee zur Seite räumen konnte.Wir sagten, er muss gut Bahne gemacht werden. Die Dorfstraße aber auch die Straße nach Sichelnstein musste geräumt werden. Es kamen öfters die Pferdegespanne mit Schneepflug von Benterode und Escherode die machten dann vor den Gasstätten Karl Sauer oder Karl Gerwig Einkehr. Den Pferden wurden Decken auf gelegt und die Besetzung vom Schneepflug tranken in der Kneipe den üblichen Grog, manchmal bis es dunkel wurde standen die Pferde vor der Gaststätte. Mein Vater hatte noch aus seiner Kindheit eine alte „Jippe“, sie wurde nie genommen. Irgendwann wurde die Jippe zerschlagen und als Brennholz in der Küche verbrannt..
Trotz Schneepflug blieb immer noch genügend Schnee auf der Dorfstraße liegen um zu rodeln. Für uns Kinder war die Dorfstraße Ideal zum Rodeln bedingt durch die Hanglage. Sehr oft zum Ärger der Anlieger. Verschiedene Anwohner streuten Asche oder Sägespäne auf die Straße, damit die Schlittenbahn stumpf wurde. Der Bürgermeister machte durch den Ausrufer mit der Dorfschelle bekannt, dass das Rodeln auf der Dorfstraße verboten sei. Wir rodelten trotzdem. Die Dorfstraße war Ideal zum Schlitten fahren, bedingt durch die Hanglage. In den Gossen am Straßenrand auf dem Eis konnte man gut Schlittschuh laufen Auch wenn das Eis in den Gossen öfters durch das Schlachten der Schweine mit Blut rot gefärbt war. Hier war Schulkamerad Willi Stöbener ein Speziallist, der Fuhr mit hohem Tempo mit seinen Schlittschuh von der Landstraße bis zur Ingelheim im Unterdorf. Wir hatten alle Schlittschuhe. Die Schlittschuhe wurden meistens von älteren Brüder oder verwandten übernommen. Mit einem kleinen Schlüssel
wurden die Schlittschuhe an den Schuhsohlen und dem Absatz angeschraubt. Oft war der Absatz durch die Krallen der Schlittschuhe abgefallen. Wir gingen dann nach Sichelnstein zum alten Vogeley der Schuster war, hier wurde der Absatz wieder fest genagelt. Die Rechnung wurde später den Eltern vorgelegt, da bereits einige Wochen vergangen waren, wurde von den Eltern geschimpft, aber es gab keine Schläge mehr.
Die älteren Jungen und Mädchen nach der Schulentlassung bis 20 Jahre fuhren spät Abends mit 5-10 Personen mit großen alten Stein Schlitten, wo man früher größere Steine für den Hausbau aus dem Wald holte und diese Schlitten standen an den Häusern, man holte sie einfach ohne den Eigentümer zu fragen. Sonntags haben wir oft im Knick gerodelt, dass ist ein stark abfallende Wiesenhang, damals sagten wir „in Surs Knick“ (Sauers Gastwirtschaft). Jetzt Familie Schulte. Und da ist mir folgendes passiert. Es könnte 1938 gewesen sein. Ich war 11 Jahre alt. Da kamen junge Leute vom Steinberg die nach Kassel wollten und sahen uns rodeln an den steilen Hang. Da kam ein Junger Mann und fragte mich, kann ich deinen Schlitten mal kriegen, ich will auch mal darunter fahren. Ich gab ihm den Schlitten, zurück musste man den Schlitten am Seil hochziehen. Er kam und hatte den Schlitten vorn am Holm in der Hand und drückte mir 5 Pfennig in die Hand, setze mich auf den Schlitten, gab mir einen Schubs das ich
den Hang runter fuhr, dann sah ich das Malheur, die linke vordere Leiste zum Hufen war zerbrochen. Ich musste nach Hause und Großvater hat dann Leisten von oben und unten angeschraubt, aber es war ein geflickter Schlitten. Auch an Ulrichs „Öhwer“ an der Ingelheim, oder auf der alten Bergstraße konnte man rodeln, aber am besten ging es immer auf der Dorfstraße.
Ja und unsere Dorfschule, das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Es war eine einklassige Volksschule, vom ersten bis zum achten Schuljahr gemeinsam in einem Klassenzimmer. Die Schule etwa 35-40 Kinder, mussten täglich von Montag bis Samstag zum Unterricht. Es gab die Oberstufe ab den 5 ten Schuljahr, Mittelstufe ab 3. ten Schuljahr und die Unterstufe war 1 und 2. Schuljahr. Jede Stufe hatte ein anderes Lesebuch. Von der Prügelei hatte ich ja schon im Mitteilungsblatt berichtet. Niemand von den Nienhäger Kindern ging auf eine Mittelschule oder Gymnasium. Ich bin 1933 Eingeschult worden. Wir waren ein starker Jahrgang mit 8 Kinder, 3 Mädchen und 5 Jungen. Die Mütter brachten uns am 1.April 1933 in die Schule. Allerdings gab es keine wie heute, eine Zuckertüte. Wir kannten so etwas gar nicht. Es gab ein Buckel-ranzen mit Schiefertafel, ein Holzkasten mit Griffel und an der Tafel hing ein Schwarm und eine Brotbüchse die man umhängen konnte. Dieses war die Grundausstattung die wir mitbringen mussten. Lesebuch, Rechenbuch wurden meistens von älteren Geschwister oder von Nachbarskinder geliehen. Im erstem Schuljahr wurde uns von älteren Mädchen die neben sitzen taten, dass Lesen gelernt.
Die Nazizeit
Ich hatte schon einmal aus der Nazizeit von 1933 bis 1945 berichtet. Ich möchte auch vom Jungvolk aus dieser Zeit der dreißiger berichten. Wenn man 10 Jahre alt war konnte man bis zum 14 zehnten Lebensjahr ins Jungvolk eintreten, sogenannte Pimpfe. Alle Junges aus Nienhagen waren dabei. Die Mädchen gingen in die BDM. (Bund Deutscher Mädchen) Dann wurde man als Pimpf in die Hitlerjugend (HJ) ab dem 14 zehnten Lebensjahr aufgenommen. Die Mädchen waren eine Jungmädchenschaft. Wir Jungens wartete mit Sehnsucht darauf das man 10 Jahre alt wurde. Jahrgang 1927 wollten und waren alle beim Jungvolk. Man erhielt eine Uniform. Eine schwarze Cordhose, Braunhemd, eine Gürtel oder auch Koppel genannt und ein Tuch um den Hals mit Knoten zusammengehalten und ein Schulterriemen. Wenn die Eltern Geld hatten bekam der Pimpf noch ein Fahrtenmesser welches am Gürtel bezw. Koppel getragen wurde. Man hatte vor 1937 noch einen Tag Schulfrei für den sogenannten Dienst. Leider wurde der freie Schultag als wir mit zehn Jahren 1937 eingetreten sind abgeschafft. Unsere Dienste fanden dann nur Nachmittags statt. Es wurden Geländespiele, Völkerball oder auch andere Spielarten durchgeführt, oder auch Lindenblüten gesammelt. Auch wurde mit einem größeren Luftgewehr mit Spitzen und Büschel hinten als Munition. (ich habe den Namen vergessen) Wir mussten das Gewehr von Speele holen und wieder zurück bringen. Es wurde auf eine Zielscheibe mit aufgezeichneten Ringen und Zahlen geschossen. Je nach größer des Dorfes hatte man eine Jungschaft, so war es auch in Nienhagen. Meistens war der älteste Pimpf Jungschafts Führer. Der nächste Dienstgrad war der Jungzug Führer, dann kam der Fähnlein Führer. Im Obergericht gab es nur ein Fähnlein und somit ein Fähnlein Führer, dieser war stets ein älterer im letztem Schuljahr, er hieß Willi Lappe aus Landwehrhagen. In Landwehrhagen gab es auch ein Jungstammführer Luttrop der über das Obergericht hinaus zuständig war. Wir mussten des öfteren auch in andere Dörfer wo z.B. nach Benterode im Saal der Gastwirtschaft Löwer wo die sogenannte Jugendweihe stattfand. Mit großen Reden von der Kreisleitung wurde die Jugendweihe vollzogen. Meistens waren die Eltern der Pimpfe überzeugte Nationalsozialisten. Diese Jungen und Mädchen hatten keine Konfirmation in der Kirche. Aus Nienhagen ging nie ein Pimpf zur Jugendweihe. Wir Nienhäger 8 Konfirmanden vom Jahrgang 1941 wurden in der Kirche von Nienhagen konfirmiert. Wir waren ein starker Jahrgang mit 8 Konfirmanden. Wenn es weniger wie fünf Konfirmanden in Nienhagen waren, fand die Konfirmation in Escherode statt.
Da möchte ich noch ein Erlebnis bei den Pimpfen aus Nienhagen berichten. Es könnte 1938 gewesen sein. Wir waren 5 oder 6. Pimpfe 11 oder 12 Jahre alt. Der Jungchaftsführer war Franz von Lahrbusch. Franz war Pflegekind bei Familie Adolf Gerwig. Franz war 14 Jahre alt. Natürlich abgesprochen mit den Eltern, wollten wir übers Wochenende ins Steinberghaus übernachten. Das Haus wurde von der SA benutzt. Franz hatte die Genehmigung für ein Wochenende für uns eingeholt. Am Samstag Nachmittag marschierten wir in Uniform mit einem geliehenen Tornister, wir sagten einen Affen, dazu, mit einen Leib Brot und etwas Butter und Wurst, auch wollten wir selbst Kochen und nahmen Kartoffeln mit zur Jugendherberge. In den Raum waren Betten aus Stahlgestellen mit zwei Wolldecken. Der Herd war aus Ziegelsteinen gemauert und ein Tisch mit Stühlen war die Ausstattung der Jugendherberge. Am Sonntag marschierten wir zum alten Zechengelände Steinberg, wo bis 1931 ein größerer Betrieb mit über 100 Arbeitern beschäftigt waren und durch die damalige Weltwirtschaftskrise 1929-30 in Insolvenz gingen. Die Wohnhäuser standen leer und das gesamte Fabrikgelände wurde gerade abgebrochen von der Mündener Firma Bischoff. Mit Geländespielen konnten wir einige Stunden dort verbringen. Dann ging es zurück zur Jugendherberge zum Mittagessen. Wir wollten unsere Kartoffeln kochen und mit Brot und Wurst Essen. Aber es klappte mit dem gemauerten Herd nicht. Die Kartoffeln wurden nicht weich. Wir haben dann die Kartoffeln nur halb weich trotzdem gegessen. Am Montag sehr früh sind wir dann zurück nach Nienhagen, denn wir mussten ja in die Schule. Natürlich haben wir gegenüber den anderen geschwärmt die nicht mit wollten. In Wahrheit war es ein Erlebnis das nicht so schön war wie wir es uns vorgestellt hatten.
Diese Jahren waren nicht die schöne Alte Zeit, wie oft gesagt wird. Es war eine Diktatur die dann 1939 mit einem Krieg begann und mit viel Kummer und Elend für die Menschen 1945 endete. Darum nie wieder eine Diktatur.
Fotonachweis: 650 Jahrbuch Nienhagen, E. Haldorn, G. Sausmekat, Internet.
Für Robert Primer Danke für die Korrektur