Bericht in der Mündener Zeitung 1903
Gedenkstein vom Arbeitsdienst 1932-1933 an der ausgebauten Straße
links Göttens Tannen, rechts Passmanns Koppel, 2017
Nienhäger Waldhütte 1978
Ich wurde sehr oft gefragt, wie ist es möglich, dass ein erfolgreicher Film- und Theaterschauspieler wie Christian Gollong und die Tänzerin Erika Gollong, geb. Axmann, Nienhäger Bürger wurden und dort bis zum Tode in Nienhagen lebten und wohnten. Am Ende ihres Lebens einen größeren Geldbetrag von über einer halben Million DM dem Dorf Nienhagen vererbten. Aus diesem Erbe wurde dann die Stiftung Gollong gegründet und ein Dorfmuseum im Haus Gollong errichtet. Bevor ich die Frage beantworte, möchte ich mit Historischem aus der Geschichte von Nienhagen beginnen. In Teil 2 werde ich die Antwort geben, warum die Familie Gollong ihre Liebe zu Nienhagen fand.
Vermutlich 1850-1870 hatte ein Rauchwarenhändler Rocholl aus Kassel eine nicht mehr benutzte Hutefläche von der Realgemeinde Nienhagen gekauft. Man bezeichnete die Fläche später mit „Rocholls Koppel“. Es war die jetzige Fläche von der Waldhütte Nienhagen bis zum nächsten Forstweg zur Abteilung 6. Das Tabakwaren-Geschäft mit Name Rocholl ist zur Zeit in der Königsstraße in Kassel noch vorhanden. Allerdings nur der Name. Auf Rückfrage im Geschäft sagte man mir, „wir kennen keine Familie Rocholl“.
Diese zum Teil Wüste Fläche mit Büschen, Fichten und Buchen, verkaufte Rocholl etwa 1895 an den Ackermann Karl Götte in Nienhagen, Hs. Nr. 9. In alten Unterlagen wird die Fläche auch Göttens Fichten oder Tannen bezeichnet. Das Wohnhaus Götte brannte am 2. Weihnachtstag 1903, durch Unachtsamkeit von Götte in der Scheune mit der Sturmlaterne, bis auf die Grundmauern nieder. Götte verkaufte 1904 das Grundstück an Schäferei Karl Müller I. Karl Götte war mit Familie nach Kassel verzogen und eröffnete dort eine Gastwirtschaft. Eine Gaststätte mit Namen Götte gibt es noch in Kassel. Die Flächen im Nienhäger Wald wurden in meiner Kindheit entweder als Göttens Tannen oder Rocholls Koppel bezeichnet. Später wurden diese Koppel und die gesamte ehemalige Huteflächen der Realgemeinde Nienhagen von der Forstgenossenschaft Nienhagen übernommen. Die jetzige Bezeichnung der Genossenschaft lautet: „Realgemeinde und Forstgenossenschaft Nienhagen“.
Im Rezess von 1894 wurde die Hutefläche zur Realgemeinde Gemeinde Nienhagen übertragen, die noch eingetragen ist; obwohl sie von der Forstgenossenschaft Nienhagen bepflanzt und bewirtschaftet wird. Diese gesamte ehemalige Fläche der Realgemeinde betrifft den Bereich von Abt.6 an Abt 4 und 2 vorbei bis zum Ingelheimtal. Wann die Huteflächen von der Forstgenossenschaft Nienhagen von der Realgemeinde übernommen wurden, ist in den von mir eingesehenen Unterlagen noch nicht ersichtlich gewesen.
Eine größere Fläche rechts von der Arbeitsdienststraße hatte die Firma Passmann aus Duisburg gekauft.
Passmann war ein Freund vom Jagdpächter Hitzbleck. Diese Passmann-Flächen hat die Forstgenossenschaft Nienhagen 1956 zurück gekauft und mit Fichten bepflanzt. Leider mussten diese Fichten, bedingt durch Sturm und Borkenkäferbefall 2020-23, wie in allen anderen Abteilungen, eingeschlagen werden.
Aus der Forstbezeichnung „Strake Bahne“ wurde durch den Ausbau 1932-33, die „Arbeitsdienststraße“. Die Bezeichnungen Schlagsäule, Fliegenstall, Köderwelz, Kutze Grube, Lattengehege sind im Nienhäger Sprachgebrauch nur noch den älteren Menschen bekannt. Die Strake Bahne wurde von einem freiwilligen Arbeitsdienst der Gemeinde Nienhagen mit 20-25 jungen arbeitslosen Menschen 1932-33 zu einer befestigen Straße umgebaut. Der Tagelohn betrug 5,00 Mark, aber man hatte Arbeit und war mit Kranken- und Invalidenversicherung abgedeckt. Von diesem Straßenbau blieben zwei größere Hütten aus Fichtenhölzer mit Büschen eingedeckt lange Zeit stehen. Die Hütten dienten den Arbeitern als Schutzhütte bei Regen und zur Einnahme von Frühstücks- und Mittagessen. Eine Hütte stand in Göttens Tannen und eine in Scheidemanns Wäldchen in der Schwarzbach. Hier wurden die Pflastersteine für die Arbeitsdienststraße gebrochen.
Den Transport der Steine vom Schwarzbach zur Arbeitsdienststraße hatten Nienhäger Bauern mit den Pferdegespannen übernommen. Diese Fuhren wurden von der Gemeinde bezahlt.
Wenn ich an meine Kinderzeit denke, hatten wir, im Gegensatz zu 2025, vor 90 Jahren auf dem Dorf außer der Schule, die man ohnehin nicht ernst nahm, und der Hilfe zuhause, in der Landwirtschaft eine grenzenlose Freiheit. Wir kannten keine Realschule oder Gymnasium, es gab keinen Musik- oder Reitunterricht. Wir kannten kein Smartphone, Fernsehapparat. Radio hatten nur wenige, auch ein Bad oder Toilette im Haus hatten wir nicht. Feld, Wald und das Dorf war unser Leben. Hütten wurden im Wald oder Feldmark gebaut. Im Dorf hatten wir an verschiedenen Stellen, wir sagten "Schesseren" zu Murmeln, einen Schesserplatz. Mit selbstgebauten Flitzbogen oder Zwille wurde gespielt. Man versuchte auch, die Älteren im Dorf mit dem Rauchen nachzuahmen.
Wir Kinder gingen sonntags mit 6 oder 7 Jahren in die Hütte an der Arbeitsdienststraße und spielten dort, das Kinder-Kartenspiel „Leben oder Tod“, man sagte auch "Leben abspielen". Ein Kartenspiel wurde von zuhause mitgenommen. Meistens war es ein altes abgelegtes Kartenspiel, welches niemand mehr in der Familie nahm. Man legte die Karten umgekehrt auf den Tisch, einer nahm die erste Karte vom Stapel und deckte sie auf, nun nahm der andere die nächste Karte und wer die höhere Zahl oder Figur hatte, nahm die zwei Karten zu sich. Wer am Ende die höchste Punktzahl erreichte, hatte gewonnen. Ich kann mich auch noch an meine Kindheit erinnern, als mein Bruder und ich in den dreißiger Jahren mit unserem Großvater vom Ingelheimtal quer durch das Firnis auf einem Fußweg gegangen sind. Im Firnis waren die Kiefern und Fichten nur etwa 1-2 Meter hoch. Zu jener Zeit wurden außer Klafter Brennholz noch die Reisighaufen (Riserhaufen), 1 Meter breit und ½ -1 Meter hoch mit einer Länge von 4-5 Metern, von den Waldarbeitern aufgearbeitet. Das dicke Holz wurde als Brennholz vom Großvater mit der Axt vom Buschwerk getrennt. Die Büsche waren dann die Backewellen für den großen Backofen zuhause. Auch gab es die Erbsenbüsche (Erwestbüsche) für den Garten zur Stabilisierung vom Erbsenkraut.
Diese Reisighaufen wurden nach dem Krieg nicht mehr eingeschlagen. Das Buschwerk bleibt heute liegen und man kann durch Selbstwerbung die stärkeren Äste als Brennholz aufarbeiten. Zum Teil bleibt das Buschwerk auch liegen, damit es später dem Waldboden als Humusdünger dient.
Noch etwas zu den "Riserwellen", diese Wellen wurden mit Draht, welchen man auch zum Binden von Reiserbesen genommen hat, eingebunden. Das „Riserholz“ wurde auf etwa 70-80 cm Länge und ca. 30-40 cm Durchmesser in die Drähte eingelegt und zu einem Bund eingebunden. Großvater hackte die Reiser, und mein Bruder und ich mussten das gehackte Holz in die Drähte, die Großvater schon ausgelegt hatte, tragen. Diese "Riserwellen" wurden, wenn man das Brennholz aus dem Wald abfuhr, oben auf den Wagen gelegt. Die Wellen wurden draußen in einer Höhe von ca. 2 Meter und mit 2 Meter im Durchmesser aufgestellt. Beim Brotbacken im großen Backofen wurde vom Großvater ein oder zwei Bund Wellen im Backofen angezündet und Mutter, nachdem der Backofen die richtige Temperatur hatte, schob das Brot hinein.
In den dreißiger Jahren waren die Fichten- und Kieferpflanzen im Firnis etwa 1 Meter hoch. Wahrscheinlich wurde die Fläche im Firnis 1930-1932 von Hutefläche in Nutzwald umgewandelt.
Aus alten Niederschriften habe ich entnommen, dass in den Huteflächen im Firnis 1891 Brennholz eingeschlagen wurde. Für das Scheitholz wurde für die Waldarbeiter 45 Pfg. und für Reiserhaufen 69 Pfg. gezahlt.
Für Neuanpflanzungen im Wald wurden die Pflanzen von den Forstgenossenschaften vom Keimling bis zur Pflanze in einem Kamp selbst gezogen. Anfang der dreißiger Jahre wurden noch Pflanzen aus dem Kamp entnommen. Später wurden die Fichten-, Buchen- und Eichenpflanzen aus einer Züchtung oder vom Forstamt Escherode gekauft und geliefert. In den siebziger Jahren konnte man noch vereinzelte Pfähle vom Kamp sehen.
Da Großvater von 1906 bis 1923 Rechnungsführer und im Vorstand der Forstgenossenschaft tätig war, hatte er später noch Interesse an dem Kamp im Genossenschaftswald und wir gingen öfters zu diesem Kamp, und er erklärte uns den Vorgang vom Keimling bis zur Pflanze.
Der Kamp der Forstgenossenschaft Landwehrhagen befand sich an der Straße nach Münden an der Gehrenstraße. Dieser Kamp war wesentlich größer und war bis in die siebziger Jahre noch gut erkennbar.
Zurück zu Rocholls Koppel: der Gastwirt Karl Gerwig kaufte seine Rauch- und Tabakwaren beim Händler Rocholl in Kassel. Auch nach dem
Verkauf der Waldfläche wurde bei Rocholl gekauft. Dieses Verhältnis Rocholl und Gerwig muss freundschaftlich gewesen sein. Rocholls besuchten die Gerwigs in Nienhagen. Die Tochter oder Bekannte von Rocholls heiratete den Arzt Dr. Oskar Stephan aus Kassel. Dieses Arztehepaar war oft in Nienhagen und war von der Lage und Umgebung des Dorfes sehr angetan. Stephans mieteten 1925 eine Ferienwohnung bei Familie Hermann Hesse, Hs. 1. Aus dieser Ferienwohnung entwickelte sich mit der Familie Dr. Stephan und der Dorfbevölkerung
Nienhagens ein sehr gutes menschliches Verhältnis.
1938 baute Dr. Stephan ein Wohnhaus in der Feldmark in Richtung Nienhäger Wald auf der Waldkoppel. Das Grundstück mit einer Größe von über einem Hektar, hatte Frau Werner, die nach Kassel verzog, Dr. Stephan verkauft.
Fortsetzung folgt