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Vom Kuckuck und Esel (Guxhagen-Körle)
Ausgabe 15/2025
Aktuelles aus Körle
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Aktuelles aus Körle

In diesem Jahr jährt sich das Ende des 2. Weltkrieges zum 80. Mal. Für die Menschen in unserer Region waren die letzten Märztage des Jahres 1945 eine bewegte und aufregende Zeit, als die Front von Westen näher rückte und die letzten versprengten deutschen Truppen von den Amerikanern zurückgedrängt wurden. Die Chronik der Körler Schule lässt einen interessanten Blick auf die Geschehnisse am Ende des 2. Weltkrieges zu. Verfasst wurden die nachfolgenden Zeilen von Lehrer Dietrich Stöber, der als Hauptlehrer von 1930 bis 1956 in Körle tätig war. Der Gemeindeverwaltung liegen aus dieser Zeit bzw. der unmittelbaren Nachkriegszeit leider keine Bilder vor. Sollten sie Aufnahmen z.B. der zerstörten Fuldabrücken haben, wären wir sehr dankbar, diese für unser Gemeindearchiv kopieren zu können.

Hier nun der Bericht aus der Schulchronik:

Das Osterfest 1945 wird allen, die die Schrecken des Krieges miterlebt haben, unvergesslich bleiben. Um den feindlichen Vormarsch zu hemmen, wurden alle Brücken im Land gesprengt. Am Ostersonnabend und in der folgenden Nacht flogen so die Fuldabrücken bei Melsungen, Röhrenfurth, Lobenhausen, Wagenfurth, Grebenau, Guxhagen, die Autobahnbrücke bei Guxhagen und die Eisenbahnbrücke in die Luft. Häuser- und Dachschäden waren überall die Begleiterscheinungen. Am Vormittag des Ostersonntags griffen feindliche Flieger wieder unser Dorf an und warfen Brandbomben auf Häuser und Gehöfte. Benzin- und Phosphorkanister verursachten vielerorts Brände, die aber fast alle erstickt werden konnten. Nur der Wernersche Hof – Nürnberger Str. 25- (im Volksmund Glasewalds Hof) brannte bald lichterloh; er war von besonders großen Brandbomben getroffen worden. Trotz aller Gefahr –die Menschen wurden immer wieder mit Bordwaffen beschossen- tat die Feuerwehr, die nur noch aus alten Männern, Knaben und Frauen bestand, ihren Dienst. Den vereinten Anstrengungen gelang es, das Wohnhaus zu retten; auch das Vieh konnte geborgen werden. Die Wirtschaftsgebäude brannten nieder. Die Besetzung des Dorfes durch die heranrückenden amerikanischen Truppen wurde stündlich erwartet. Manche Bewohner flüchteten mit dem nötigsten Gepäck in die Wälder, andere bereiteten sich auf die Flucht vor. Die meisten bewahrten aber Ruhe und blieben in ihren Häusern. Gang vorsichtig fühlten sich die feindlichen Truppen heran und waren an den Waldrändern des Quiller zu beobachten. Da keinerlei Widerstand mehr vorhanden war und da auch die ständig kreisenden amerikanischen Flieger keine deutschen Soldaten mehr feststellen konnten, kamen nach Eintritt der Dämmerung die feindlichen Panzer den Schlangenweg über Lobenhausen herunter. Patrouillen erkundeten die Furten, die Fulda bot kein Hindernis. Bald rollten die Panzer durch den Fluss, die Zerstörung der Brücken war nutzlos gewesen.

Nun begann die Zeit der Besetzung. Die Bewohner durften nur an bestimmten Tagesstunden, zuerst von 9-17 Uhr, ihre Häuser verlassen. Ein Mann namens Koch, ein Evakuierter aus Kassel, wollte schnell einmal in ein Nachbarhaus gehen. Er wurde auf der Straße erschossen. Bei einem kleinen Scharmützel, das eine kleine deutsche Nachhuttruppe bei der Körler Mühle mit einer amerikanischen Abteilung führte, fielen mehrere Amerikaner. Am Ostermontag ging ein deutscher Flieger in einer Bruchlandung auf dem Sportplatz (Anmerkung der Redaktion: Der Sportplatz befand sich damals in der Fuldaaue unweit des Bahnhofs) südwestlich von Körle nieder; er wurde von den Eichen her (heute Am Ehrenmal) stark beschossen. Beim Durchqueren der Fulda wurde er mehrfach getroffen und schwer verwundet. Unerschrockene Leute bargen ihn und sorgten für seine Überführung in ein Lazarett. Das Flugzeug wurde getroffen, explodierte und brannte aus.

Allmählich hörten die Kriegshandlungen auf, der Gefechtslärm verlor sich nach Osten zu.

Die Häuser und Höfe, in denen sich die amerikanischen Soldaten einquartierten, mussten von den Bewohnern innerhalb von 30 Minuten geräumt werden. Möbel und Wäsche mussten in den Häusern verbleiben. So mussten unter anderem die Familien Georg K. Jacob und Otto Jütte aus ihren Häusern heraus. Ihre Wohnhäuser durften sie 3 Tage nicht betreten, doch wurde ihnen gestattet, das Vieh zu füttern. Hinterher fehlte manches, was die Soldaten gebrauchen konnten und auch das Federvieh war stark dezimiert worden, aber das bringt der Krieg so mit sich. Auch in den Schulsälen wurden Soldaten einquartiert. Ihr Führer war ein Lehrer. Ihm ist es wohl zu verdanken, dass das Schulinventar unversehrt blieb. Nur die Bilder von Hindenburg und Hitler waren mit den Gesichtern der Wand zugekehrt. Nach Abzug der amerikanischen Truppen wurde es still im Dorf. Der Eisenbahnverkehr ruhte völlig, da die Brücken zerstört waren: Guntershausen, Melsungen, Malsfeld, Beiseförth usw. Erst im Nachsommer 1945 lief ein kümmerlicher Betrieb über Behelfsbrücken mit vielfachem Umsteigen wieder an. Ebenso erlag die Post.

Nun wälzte sich über die Straßen und durch die Orte ein Menschenstrom in großer Not mit Gespannen, Handwagen, Kinderwagen und zu Fuß. Flüchtlinge aus den Gebieten von der Ukraine bis zur Elbe, die ihre Heimat verloren hatten und nicht wussten, wo sie bleiben sollten. Dazu kamen viele Wehrmachtsangehörige in geliehenen und geschenkten Zivilkleidern, die ihnen in den seltensten Fällen passten. Sie versuchten ihre Heimat zu erreichen, ohne in Kriegsgefangenschaft gebracht zu werden; denn in den provisorisch eingerichteten Kr.-Lagern fehlte es an allem, und die entkräfteten Menschen starben dort wie die Fliegen zu Tausenden, z. B. in dem berüchtigten Lager bei Kreuznach; aber die meisten wurden durch die Wachen und Streifen auf den Straßen gefangen und in die Lager gebracht. Die Bewohner unseres Dorfes - wie überall - suchten die Not zu steuern, wie und wo sie nur konnten, und gaben das letzte Stück Brot, hoffend, daß auch ihren Angehörigen, von denen sie nichts wussten, wo sie waren und ob sie noch lebten, sich eine milde Hand und ein gastliches Haus öffnen möchte. Es fehlten noch Hunderte von Männern unseres Dorfes; waren doch mit Ausnahme der für die Kriegswirtschaft als unabkömmlich (u. k.) Gestellten alle Männer von 17 bis 60 Jahren Soldaten. Zuerst vereinzelt und ganz allmählich kehrten in den nächsten Monaten und Jahren die noch Lebenden aus der Kriegsgefangenschaft zurück; von manchen wurde bekannt, daß sie noch in den schweren Kämpfen der letzten Kriegswochen gefallen waren; andere blieben verschollen. Im Sommer 1946 wurde eine amerikanische Einheit farbiger Soldaten (mit weißen Offizieren) in unserem Dorf einquartiert. Für sie mußten die in 1937/38 erbauten Häuser der Siedlung - gegenüber vom Sägewerk- (Anmerkung der Red.: Gemeint ist das ehem. Sägewerk Schwab, heute Standort des Netto-Marktes) von den Eigentümern völlig geräumt werden, dazu das Haus des Maurermeisters Emmeluth am Bahnhof als Kasino.

Hoffen wir für uns und die folgenden Generationen, daß uns solche Schreckensjahre für immer erspart bleiben!