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Ausgabe 25/2025
Aus dem Rathaus wird berichtet
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Aus dem Rathaus wird berichtet

Banner mit Margot Friedländer-Zitat am ehemaligen Haus Dannenberg (Fotografie: Rainer Scherb)

Susan Erickson bei ihrem Vortrag, im Hintergrund verlegt Gunter Demnig die Stolpersteine (Fotografie: Susan Schattner)

Künstler Gunter Demnig beim Verlegen der Stolpersteine im Schatten eines Pavillons für die Familie Dannenberg (Fotografie: Rainer Scherb)

Die Dannenberg-Stolpersteine (Fotografie: Rainer Scherb)

Von Thomas Schattner

Waberns Ortsteil Falkenberg beging am letzten Wochenende seine 775-Jahrfeier. Im Rahmen dieser wurde auch an die ehemalige jüdische Bevölkerung des Ortes erinnert. Dies geschah einerseits mit einer Ausstellung zur Geschichte der Synagogengemeinde Falkenberg-Hebel im Café am Gänsemarkt, andererseits mit der Verlegung der ersten fünf Stolpersteine, die an Mitglieder der Familie Dannenberg erinnern, die von 1816 bis 1938 im Ort wohnhaft war. Am Haus selbst hatten die heutigen Bewohner ein Banner mit einem Zitat von Margot Friedländer (1921 bis 2025) befestigt, welches die Intention der Falkenberger Organisatoren wunderbar sprachlich auf den Punkt brachte: „Was war, können wir nicht mehr ändern, aber es darf nie wieder geschehen“!

Zur Verlegung bei sehr heißem und schwülem Wetter waren extra acht Dannenberg-Nachfahren aus den USA angereist: James Dannenberg, ein 80-jähriger Ururenkel von Moses Dannenberg (1819 bis 1906), zusammen mit seiner Ehefrau Susan Erickson aus San Francisco in Kalifornien, die 74-jährige Kerry Schwartz (San Francisco) und ihre 77-jährige Schwester Wendy Schwartz Kane aus Houston (Texas, Ururenkelinnen von Joseph Dannenberg, 1816 bis 1894), die 80-jährige Anne Fausto Sterling (Ururenkelin von Meyer Dannenberg, 1823 bis 1894) aus Wellfleet, Massachusetts und die 88-jährige Marylin Weiner MacKay aus New York (Urenkelin von Joseph Dannenberg, 1816 bis 1894). Zusammen gestalteten sie eine ergreifende Zeremonie zur Verlegung der Steine durch den Künstler Gunter Demnig, der persönlich die Steine in Falkenberg setzte. Schon zu Beginn der Verlegung trugen die Gäste aus den USA die Steine vom Auto des Künstlers zur Verlegestelle. James Dannenberg steuerte zur Veranstaltung einen sehr persönlichen Beitrag bei, nachdem seine Ehefrau zuvor aus dem alttestamentarischen Prophetenbuch Ezekiel auf Deutsch zitiert hatte. Wendy Schwartz trug anschließend auf Hebräisch das jüdische Toten- und Trauergebet „Kaddisch“ vor. Letzteres ging derart unter die Haut, dass sich niemand der ca. 70 Anwesenden dem entziehen konnte.

Verlegt wurden Stolpersteine für den gelernten Buchbinder und Inhaber einer Kinderbuchhandlung in Hannover Meier Heinrich Dannenberg. Der gebürtige Falkenberger (Jhg. 1858) wurde nach seiner Deportation 1942 ins Ghetto Theresienstadt (bei Prag) dort ermordet. Der Lehrer, Rabbiner und Kantor Joseph Dannenberg (Jhg. 1894) wurde ebenfalls in einem Ghetto (Izbica, südöstlich von Lublin) zusammen mit seiner Ehefrau im Jahr 1942 ermordet. Dagegen konnte sein Bruder Siegfried Dannenberg (Jhg. 1900) zusammen mit seiner Ehefrau Rebekka (Rosa) und ihrem Sohn Isfried (Fritz), der im Jahr 1925 in Falkenberg geboren wurde, im Jahr 1938 in USA fliehen. Dort fasste der gelernte Textilhändler aber beruflich nicht mehr so richtig Fuß. Die nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen und die psychischen Belastungen der Vorbereitung der Flucht sowie dieselbe hatten ihre gesundheitlichen Spuren hinterlassen. Er betreib zuletzt einen kleinen „Candy-Store“, dessen Gewinn so niedrig war, dass er keine Einkommenssteuer bezahlen musste. Siegfried verstarb im Jahr 1970, seine Ehefrau war da bereits zehn Jahre tot. Sohn Isfried (Fritz) verstarb im Jahr 2007.

Im anschließenden Teil der Veranstaltung ging Ortsvorsteher Samuel Waldeck auf die Lücke in der Dorfgemeinschaft ein, welche die ehemaligen jüdischen Mitbürger hinterlassen hatten. Die ersten verlegten Stolpersteine sah er in seiner auf Englisch vorgetragenen Rede symbolisch als einen beginnenden Prozess, diese Lücke, auch zusammen mit Nachfahren, wieder zu schließen.

Waberns Bürgermeister Claus Steinmetz stellte ich seiner Ansprache Gedanken zu Toleranz, Vertreibung und dem gesellschaftlichen Miteinander in den Mittelpunkt. Pfarrerin Sabine Koch schloss die zeitlich, aufgrund der Wetterlage etwas gekürzte Veranstaltung, leider auch die erste mit Polizeischutz in der Gemeinde Wabern, mit einer Fürbitte, das Gebet trug sie dabei zweisprachig vor.

Für einen besonderen Ausklang der Verlegung für die Gäste aus den USA sorgte dann der Verein „Anorak21“, der im letzten Jahr das Haus „Dannenberg“, in dem die Familie rund 100 Jahre in mehreren Generationen lebte, gekauft hatte. Die Gäste wurden zu einer Hausbesichtigung und anschließend zu Kaffee und Kuchen in die ehemalige Jugendherberge von Tobias Langmann vom Verein eingeladen, was enorm dankbar und erfreut angenommen wurde. So bekamen die Nachfahren nicht nur einen Einblick in das Gebäude, sondern auch in seine neue Nutzungsform. Die fünf Nachfahren, die zusammen ziemlich genau auf 400 jüdische Lebensjahre zusammenkommen, empfanden die Veranstaltung als besondere Ehre, als eine späte und sehr persönliche Heimkehr ins Dorf ihrer Vorfahren. Die hohe Beteiligung gerade der jüngeren Bevölkerung Falkenbergs an der Verlegung signalisierte ein großes Interesse am Thema und weckt damit die Hoffnung, dass Falkenberg schon bald weitere Stolpersteine bekommen wird.