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Ausgabe 26/2025
Aus dem Rathaus wird berichtet
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Aus dem Rathaus wird berichtet

Die jüdische Kennkarte von Isaak Wertheim aus dem Jahr 1939 (Stadtarchiv Kassel, Best. A "Volkskartei - Sonderkartei J")

Amy Bentham, Eleanor Ashley, Barbara Ashley, Michel Ashley und Cathy Ashley am Falkenberger Gedenkstein für die ehemalige Synagoge (Fotografie: Thomas Schattner)

Barbara und Cathy Ashley am Grab ihrer Großmutter bzw. Urgroßmutter Berta Wertheim auf dem neuen jüdischen Friedhof in Kassel (Fotografie: Thomas Schattner)

David Ashley, Isaak Wertheims Ururenkel und heutiger britischer Botschafter im Süd-Sudan, im Jahr 2025 (Fotografie: Cathy Ashley)

Von Thomas Schattner

Eine Woche nach den Feierlichkeiten zur 775-Jahrfeier bekam Falkenberg erneut Besuch von Nachfahren ehemaliger jüdischer Mitbürger. Drei Generationen von Nachfahren kamen am letzten Samstag in den Geburtsort von Isaak Wertheim I, der 1871 in Falkenberg geboren wurde, nachdem seine Eltern im Jahr 1868 in Falkenberg geheiratet hatten.

Wertheim verzog später nach Kassel, wo er seit 1906 als Kaufmann und Pferdehändler beruflich aktiv war. In Kassel gründete er eine Familie, aus der drei Kinder hergingen: Sohn Jacob-Heinz wurde 1913 geboren, ein Jahr später Tochter Gertrud und Tochter Käthe kam im Jahr 1917 zur Welt. Isaaks Ehefrau Berta verstarb im Alter von nur 53 Jahren bereits im Jahr 1934, sodass der Witwer nicht nur geschäftlich, sondern auch familiär voll gefordert war.

Aufgrund der antisemitischen Repressalien der Nationalsozialisten flohen im Jahr 1939 seine drei Kinder nach England. Vater Isaak blieb aber im Deutschen Reich. Isaak Wertheim wurde am 7. September 1942 von Kassel aus über Chemnitz in das Ghetto Theresienstadt deportiert, von dort wurde er am 29. September 1942 ins Vernichtungslager Treblinka verschleppt und am gleichen Tag 71-jährig ermordet.

Isaaks Sohn Jacob-Heinz Wertheim nannte sich in England James Wilson und heiratete 1940 auf der Insel. 1947 ging er mit seiner Familie in die USA, wo er im November 1975 in New York verstarb. Seine Schwester Gertrud Wertheim heiratete noch im Jahr 1939 den gebürtigen Guxhagener Isfried Katz in England. Im Jahr 1946 ging die Familie ebenfalls in die USA, wo Gertrude Katz im Jahr 2005 in Queens, New York, verstarb.

Käthe Wertheim, Isaaks drittes Kind, heiratete 1941 in London Rudi Horst Joachimsthal. Da aus Joachimsthal bald Johnston wurde, lebte Käthe bis zu ihrem Tod im Jahr 1969 als Kate Johnston in London.

Aus der Ehe von Kate und Randolph entstammt Tochter Barbara Ann (Jhg. 1941), Isaaks Enkeltochter. Sie besuchte am letzten Wochenende zusammen mit anderen Familienmitgliedern erstmals den Geburtsort ihres Großvaters. Mit dabei war ihre Tochter Cathy Ashley (Jhg. 1965), Isaaks Ururenkelin und Cathys Tochter Amy Bentham (Jhg. 1997). Dazu kamen mit der Grundschullehrern Eleanor Ashley (Jhg. 1991) und Michael Ashley (Jhg. 1992), einem Kundenberater bei einer britischen Bausparkasse, eine Nichte und ein Neffe von Cathy mit nach Deutschland.

Begrüßt wurden die Nachfahren u.a. von Ortsvorsteher Samuel Waldeck und von Rolf Waldeck, der seit vielen Jahren Stammbäume der ehemaligen jüdischen Bewohner Falkenbergs erstellt. Die Gäste aus England saugten alles in Falkenberg auf, was mit der jüdischen Geschichte zusammenhing. Von der aktuellen Ausstellung zum Thema im Café am Gänsemarkt, über die ehemals jüdischen Gebäude und die brandneuen Stolpersteine für die Familie Dannenberg bis hin zu Denkmal am Standort der ehemaligen Synagoge. Später wandelten die Engländer in Wabern auf den Spuren von Isaaks Geschwistern Friedericke und David, die am Waberner Kirchplatz 1869 und 1878 geboren wurden.

Am Sonntag ging es dann auf die familiären Spuren in Kassel. Neben den Denkmälern zum Thema von Horst Hoheisel am Kasseler Hauptbahnhof ging es in die Schillerstraße zur Arnold-Bode-Schule, in deren Vorgängerinstitutionen, den Bürgerschulen, die jüdischen Menschen in den schuleigenen Turnhallen ihre letzte Nacht vor der Deportation zusammen verbringen mussten. Isaak hatte in unmittelbarer Nähe, in der Wörthstraße Nummer 16 (heute Hoffmann-von-Fallersleben-Straße), viele Jahre mit seiner Familie gelebt. Anschließend besuchten die Wertheim-Nachfahren das Grab von Berta Wertheim, Isaaks Ehefrau, auf dem neuen jüdischen Friedhof in Kassel. Mit vielen und neu gewonnenen Eindrücken traten die Gäste aus England dann am Sonntagabend die Heimreise nach London an.

Die Urenkelkinder von Isaak sind heute in England Personen, die nicht unbedeutende öffentliche Ämter bekleiden. Cathy Ashley ist z.B. seit dem Jahr 2004 Geschäftsführerin der nationalen Charity Family Rights Group, einer Kinderhilfsorganisation, in London. Des Weiteren ist sie Wirtschaftsberaterin der britischen Labour-Partei (Schwesterpartei der deutschen Sozialdemokratie) und Schatzmeisterin der Jewish Labour Movement. Dazu war sie sechs Jahre lang, von 2010 bis 2016, Vorsitzende des englischen Holocaust Memorial Day Trust, in dessen Beirat sie weiterhin tätig ist. Für ihre Verdienste um die Holocaust-Erinnerung wurde sie im Jahr 2017 mit dem britischen Verdienstorden OBE ausgezeichnet. Und auch Amy Bentham, Cathys Tochter, tritt in diese Fußstampfen. Sie ist leitende parlamentarische Mitarbeiterin von Kate Dearden, einer Labour-Abgeordneten im britischen Unterhaus.

Leider konnte David Ashley aus beruflichen Gründen nicht mit nach Falkenberg kommen. Cathys Bruder, David William Ashley (Jhg.1968), war von 2020 bis 2024 britischer Botschafter in Madagaskar und den Komoren. Seit Januar 2025 vertritt er das britische Reich als Botschafter im Süd-Sudan. Zuvor war David im Foreign and Commonwelth Office in London tätig. Hier war er maßgeblich für die britische Syrien- und Irakpolitik verantwortlich. Aber auch in Afghanistan, Sri Lanka, Kenia und Serbien war er als britischer Politiker und Diplomat im Einsatz. Dazu hatte er bereits das Amt des stellvertretenden Hochkommissars in

Bangladesch inne. Des Weiteren war David Ashley maßgeblich daran beteiligt, dass Großbritannien dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beitrat. Vor seiner Zeit im diplomatischen Dienst arbeitete David für die Vereinten Nationen zwischen 1992 und 1998 in Kambodscha und für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Kroatien im Bereich der Menschenrechte.

Kurzum: Die familiären Wurzeln dieser außergewöhnlichen Biografien liegen auch in Falkenberg. Wenn das kein Grund ist, als Dorfgemeinschaft auf solche Mitglieder stolz zu sein!