Naphtali Herz Rosenblatt (1836 bis 1915), Hebels Thoraschreiber und Mann der 304.805 Buchstaben. Er wurde in Hebel geboren, in Frankfurt a.M. ausgebildet und wirkte in Fürth, wo er auch verstarb. (Fotografie: Archiv Max Rosenblatt, Zürich)
William Wallach (1868 bis 1947), ein Enkel des Falkenbergers Wolf(f) Wallach (1789/1790 bis 1867), als Jurist bei der East-India-Company in Bombay (Indien) im Jahr 1921 (Fotografie: Ancestry)
Emerald Joyce Henrietta Wallach (1902 bis 1974), eine Urenkelin von Wolf(f) Wallach. Sie war mit dem griechischen König Georg II. in den 1930er Jahren liiert und verzichtete als Nichtadelige und Jüdin auf den griechischen Thron, damit Georg II. nach dem Kriegsende 1945 König von Griechenland bleiben konnte. (undatierte Fotografie: Ancestry)
Rabbiner Ernst Lorge (l., 1916 bis 1990), Enkel der Falkenbergerin Gietel bzw. Gütel Wallach im November 1945 bei Sabbatgottesdienst in der Kapelle des Hauptquartiers der Dritten Division der US-Armee in Bad Wildungen (Fotografie: US-Holocaust Memorial Museum, Washington)
Die Rosenblatts und Wallachs aus Falkenberg und Hebel
Von Thomas Schattner
In den 1880er Jahren starben vier Mitglieder der jüdischen Familie Rosenblatt, deren Mitglieder über rund zwei Jahrhunderte in Falkenberg und Hebel gelebt hatten: Isaak starb in Jahr 1881, David verstarb 1884, Joseph zwei Jahre später 1886 und Elle Rosenblatt, Isaaks Ehefrau, im Jahr 1888. Alle vier wurden auf dem jüdischen Friedhof in Falkenberg beigesetzt. Damit lebten nun kaum noch Mitglieder der Familie in Falkenberg und Hebel. Die Heirat von Bertha Rosenblatt im August 1902 war das letzte größere Ereignis dieser langen Familiengeschichte. Somit endete eine lange Tradition, die mit Wolf Rosenblatt begann, der um das Jahr 1700 geboren sein könnte.
Wolf Rosenblatt bekam am 16. Juni 1733 einen Schutzbrief vom Graf von Falkenberg ausgestellt. Wolf war Sattler von Beruf und bekam deshalb vom Grafen den Auftrag, die Ausstattung für das Pferdegespann und die Hochzeitskalesche der Tochter des Grafen anzufertigen. Mit dem Ergebnis muss der Graf zufrieden gewesen sein. So blieb die Familie Rosenblatt in der Folge dem Ort mehr als zwei Jahrhunderte erhalten. Aufgrund der Vielzahl an interessanten Biografien, welche diese Familien hervorgebracht hat, kann an dieser Stelle nur auf einige wenige hingewiesen werden. Gemeinsam ist aber vielen von ihnen ihr soziales Engagement.
„Hätte die Familie Rosenblatt ein Wappen gewählt, ihr Leitspruch wäre gewesen ´Gadol Kawod Habrioth´, wörtlich übersetzt ´Groß ist die Ehre der Geschöpfe´. Dieser Spruch war von meinem Großvater, dem Sofer [jemand, der kunstvoll Schreiben kann] Herz Rosenblatt, seinen vier Söhnen mit auf den Weg gegeben worden. Jedem Menschen Ehre zollen, dass bedeutet mehr als Höflichkeit. Höflichkeit aus dem Inneren entsprungen, wird zur Wertschätzung“, so Max Rosenblatt (1910 bis 1991), ein Enkel des Thoraschreibers und Sofers Naphtali Herz Rosenblatt aus Hebel, im Jahr 1986.
Dazu hat auch eine Besonderheit der Ortsgeschichte beigetragen. Falkenberg gehörte ursprünglich zur Landgrafschaft Hessen-Kassel, kam aber 1633 in den Besitz einer Nebenlinie des Kasseler Fürstenhauses, der Linie Hessen-Rheinfels-Rotenburg. Bis zum 12. Januar 1818 mussten jüdische Mitbürger dem Landgrafen von Hessen-Rotenburg noch Schutzgeld zahlen, danach entfiel dieses. Doch auch zuvor war Falkenberg ein attraktiver Wohnort für die Mitglieder der religiösen Minderheit, denn der Zuzug zum Ort war frei, es musste nur ein halber Thaler Einzugsgeld pro Person gezahlt werden. Diese Tatsache hilft zu verstehen, warum Falkenberg überdurchschnittlich viele jüdische Bewohner hatte. Um das Jahr 1830 hatte der Ort 71 jüdische und 348 christliche Bewohner, Unter den Juden befanden sich zehn sogenannte Handelsjuden. Trotzdem gab es im Dorf keine christliche Kirche, dafür aber eine Synagoge. Dafür war es in Hebel umgekehrt.
Die Familie Wallach unterhielt die mannigfaltig verwandtschaftliche Beziehungen zu den Rosenblatts. Sie war vom 18. Jahrhundert an im Ort ansässig. Das letzte Familienmitglied wurde im Jahr 1855 in Falkenberg geboren, die letzte Bestattung der Familie fand im Jahr 1873 ebenfalls in Falkenberg statt. Auch die Wallachs sind deshalb heute nicht mehr im Bewusstsein der Bürger Falkenbergs verankert. Dafür leben heute Nachfahren u.a. in England, in Südafrika und den USA. Auch in Schottland und Indien hat die Familie Spuren hinterlassen, schließlich war ein Nachfahre bei der britischen East-India-Company angestellt. Auch die Wege dieser Familie sind hoch interessant. Hervorzuheben ist zum einen vielleicht Joseph Wallach, dessen Lebensweg von Falkenberg über Australien und Südafrika später zurück nach Deutschland führte. Er war sogar der erste, der sich vom Goldfieber anstecken ließ und sein Glück in Australien suchte. In Südafrika ging er auch die Jagd nach Diamanten, Kimberley, wo Nachkommen von ihm wohnten und lebten, galt als die „Diamantenhauptstadt“ von Südafrika.
Ebenso ist der Lebensweg von Ernst Mordechai Lorge, ein Enkelkind der Falkenbergerin Gietel (Gütel) Wallach (Lorge), die im Jahr 1838 im Ort geboren wurde, für die Wege der deutsch-jüdischen Geschichte markant. Der im Jahr 1936 ausgewanderte spätere Rabbiner kam 1945 als amerikanischer Captain jüdischen Glaubens zurück nach Europa. Als jüdischer Seelsorger der 69. US-Division war er auf Kriegsschauplätzen in England, Frankreich, Belgien und im Deutschen Reich im Einsatz. Er befreite mit seiner Einheit der US-Armee das Konzentrationslager Buchenwald, kümmerte sich um Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz und war nach Kriegsende in Eschwege und in Bad Wildungen als Rabbiner tätig.
Das 433 Seiten starke und reich bebilderte Buch von Thomas Schattner ist unter dem Titel „Die Falkenberger und Hebeler Rosenblatts sowie die Wallachs aus Falkenberg: Skizzen jüdischer Lebensläufe im 19. und 20. Jahrhundert mit Wurzeln in Nordhessen“ erschienen, ISBN-Nr.: 979-8288583001.