Titel Logo
Wabern informiert
Ausgabe 36/2024
Aus dem Rathaus wird berichtet
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Aus dem Rathaus wird berichtet

Das Goldschmidtsche Haus im Homberger Schwenkenweg, welches von Dr. Heinemann Goldschmidt erbaut wurde, einem beliebten Allgemeinmediziner, 1879 in Hebel geboren und SPD-Kommunalpolitiker in der Kreisstadt (Fotografie: Thomas Schattner)

Fotografie aus dem Reisepass von Josef Goldschmidt, der im Jahr 1895 in Hebel geboren wurde (HHStAW, Best. 518, Nr. 11874)

Die Grabplatte von Meier Goldschmidt auf den neuen jüdischen Friedhof in Kassel-Bettenhausen (Fotografie: Thomas Schattner)

Passfotografie der Kennkarte von Mendel Goldschmidt, im Jahr 1886 in Falkenberg geboren, wahrscheinlich 1939 aufgenommen (Gedenkbuch Karlsruhe)

Neues Buch zur jüdische Geschichte Falkenbergs und Hebels

Von Thomas Schattner

Die Goldschmidts sind seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Falkenberg nachweisbar. Heinemann (Chaim) Goldschmidt, der bereits 1778 in Falkenberg geboren wurde, war der Urgroßvater bzw. der Großvater der der beiden Generationen der Goldschmidts, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl in Falkenberg als auch in Hebel lebten. Seine beiden Enkel Heinemann (1844 bis 1906) und David (1846 bis 1930) lebten mit etlichen Nachfahren in den beiden heutigen Waberner Ortsteilen.

Die Familien besaßen in gewißen Wohlstand und konnten ihren Kindern eine gute Ausbildung zu Teil werden lassen. Dadurch konnten sich auch z.T. außerhalb der Heimat eigene, finanziell sichere Existenzen aufbauen, ob in Homberg, Gensungen, Jesberg oder Karlsruhe. Sie wurden erfolgreiche Händler und Kaufmänner, Geschäftsleute oder wie Heinemann ein angesehener Arzt und in der Sozialdemokratie engagierter Kommunalpolitiker in Homberg/Efze.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 veränderte ihr Leben gravierend. Wer Glück in der Familie hatte, konnte in den nächsten Jahren in die USA (Heinemann, Joseph und Bertha) oder nach Argentinien (Julius) fliehen. Andere Schicksale von Familienmitgliedern enden weitaus tragischer in den Todeslagern von Gurs (Mendel), Stutthof (Meiers Ehefrau Selma) oder Auschwitz (Isaak und Pauline). Meier starb an den Folgen seiner Haft in Buchenwald.

Flucht, Vertreibung und der Massenmord an den europäischen Juden, von denen dieses Buch exemplarisch berichtet, sind damit fester Bestandteil der Geschichte von Falkenberg und Hebel. Beide Orte feiern im Jahr 2025 Ortsjubiläen. Falkenberg begeht dann eine 775-Jahrfeier, Hebel eine 1250-Jahrfeier. Knapp einhundert Jahre nach dem Jahr 1933 ergibt sich so eine Gelegenheit, an die jüdische Geschichte dieser beiden Orte, intensiver als bisher geschehen, zu erinnern und diese stärker als in der Vergangenheit ins Bewusstsein der heutigen Dorfbewohner zu rücken. Dazu möchte dieses Buch einen Beitrag leisten.

Die jüdische Geschichte begann in beiden Dörfern bereits vor rund 400 Jahren. „Simon, der Jude“ war der erste Vertreter seiner Religionsgemeinschaft, der im Jahr 1619 in Hebel nachgewiesen werden konnte (Chronik Hebel). Die jüdische Gemeinde in Falkenberg war vermutlich noch älter, ihre Wurzeln gehen möglicherweise ins 14. und 15. Jahrhundert zurück. Der Höhepunkt der Anzahl der jüdischen Mitbürger wurde um ca. 1830 erreicht. Damals lebten zehn Handelsjuden mit insgesamt 71 Familienmitgliedern in Falkenberg. Der Ort hatte damals 419 Einwohner (Losch 1927). Da um 1730 in Falkenberg eine Synagoge entstanden war, war hier der Anteil der jüdischen Minderheit deutlich größer als in Hebel. In Hebel lebten im Jahr 1864 drei jüdische Familien, alle den Nachnamen Rosenblatt tragend, mit 14 Familienmitgliedern bei insgesamt 442 Einwohnern (Chronik Hebel).

Das zuvor weitgehend friedliche Zusammenleben änderte sich in den 1930er Jahren radikal als die Nationalsozialisten die jüdische Minderheit im Deutschen Reich zum Sündenbock und Feindbild erklärten. Bis zum Jahr 1942 hatten sie ihr Ziel erreicht, diese Menschen waren entweder geflohen bzw. vertrieben worden oder in den mehrheitlich in den großen Konzentrations- und Vernichtungslagern auf dem heutigen polnischen bzw. tschechischen Staatsgebiet ermordet worden.

Nachfahren dieser Menschen leben heute in den USA, in Argentinien, England, Südafrika, Israel und Australien, um nur einige heutige Staaten zu nennen. Ihre familiären Wurzeln liegen aber in Falkenberg und Hebel. Sie würden sich sehr freuen, wenn sie wüssten, dass ihrer Vorfahren an ihren Heimatorten gedacht wird. Der Gedenkstein in Falkenberg und die Erweiterung des Kriegerdenkmals auf dem Hebeler Friedhof in den Jahren 2000 und 2001 waren dazu nur ein Anfang. Fünfundzwanzig Jahre später, im Jahr 2025, werden in Falkenberg die ersten Stolpersteine für Mitglieder der Familie Dannenberg verlegt werden. Hoffentlich werden und können weitere Steine folgen. Sie werden einerseits ein sichtbares Zeichen dafür sein, dass das Schicksal der jüdischen Bevölkerung lebendig bleibt. Andererseits bedeuten sie den Nachfahren sehr viel, weil die Steine zeigen, dass die deutsch-jüdische Geschichte nicht anonym ist, sondern Namen und Häuser beinhaltet und so Geschichte nachvollziehbar und begreifbar wird.

Das 308 Seiten starke Buch von Thomas Schattner ist unter dem Titel „Die Falkenberger und Hebeler Goldschmidts im 20. Jahrhundert“ erschienen.