Eine kleine Übersicht
Wenn man etwas weiter zurück schaut in die europäische Geschichte, dann zeigt sich, dass der 9. November keinesfalls nur mit der deutschen Geschichte in enger Verbindung steht.
Der nach dem französischen Revolutionskalender als 18. Brumaire bekannte Tag, an dem 1799 die Alleinherrschaft Napoleons begann, fiel auf den 9. November.
Zehn Jahre nach der Erschießung Blums wurde in über 400 deutschen und vielen nicht-deutschen Städten vom 8. bis zum 10. November 1859 der 100. Geburtstag des "Freiheitsdichters" Friedrich Schiller gefeiert. Dem radikalen Umsturz von Staat und Gesellschaft in Russland war die Niederlage des Zarenreichs im Krieg gegen das Deutsche Reich und seine Verbündeten vorausgegangen. "Schicksalhaft" war der Zusammenbruch der Hohenzollernmonarchie aber ebenso wenig wie das Ende des Zarenreichs im Jahr zuvor: Kriegsniederlagen und die damit einhergehende Unzufriedenheit der Bevölkerung sind Nährboden für revolutionäre Umbrüche. Dass aber die revolutionäre Bewegung ausgerechnet am 9. November 1918 Berlin erreichte, war reiner Zufall.
Adolf Hitler und der 9. November
Ein "Schicksalstag" war aber auch der 9. November 1923 keineswegs, denn er war geprägt von den Akteuren auf der politischen Bühne. Deren Kulisse bildete eine von rechtsgerichteten Kreisen um den bayerischen Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr einberufene Protestversammlung im Münchner Bürgerbräukeller, auf der am Vorabend des fünften Jahrestags der "marxistischen Novemberrevolution" mit der Berliner Reichsregierung "abgerechnet" werden sollte. Hitler, der sich kurz zuvor von den Planungen der politischen Elite in Bayern zum Staatsstreich gegen die Republik ausgebootet sah, wollte die Veranstaltung im Bürgerbräu nutzen, um sich handstreichartig wieder ins politische Spiel zu bringen.
Auch dass Hitler danach als Festungshäftling in Landsberg mit allen möglichen Privilegien überschüttet wurde und geradezu ideale Voraussetzungen für die weitere Umsetzung seiner politischen Ziele vorfand, hatte er nicht dem "Schicksal", sondern ganz wesentlich dem Leiter der Landsberger Haftanstalt und den bayerischen Justizbehörden zu verdanken. Gegen 21 Uhr übermittelte ihm ein Bote, dass der zwei Tage zuvor von einem 17-jährigen Juden in der deutschen Botschaft in Paris angeschossene Ernst vom Rath seinen Verletzungen erlegen sei. Die Ausschreitungen wurden von ihm selbst - nach Absprache mit Hitler - angestiftet und vor allem von Mitgliedern der SA und SS nur allzu bereitwillig ausgeführt. Die Polizei war gehalten, keine Juden oder deren Läden zu schützen, die Feuer der in Brand gesteckten Synagogen oder Gebetsstuben durften nicht gelöscht werden. Dort aber gingen die Nationalsozialisten mit einem fast noch mörderischerem Hass gegen die Juden vor. Erst lange nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft rückte das Attentat von Johann Georg Elser auf Hitler in das kollektive Gedächtnis der Deutschen: Elser, ein aus dem Württembergischen stammender Schreiner, war seit dem Münchener Abkommen vom Herbst 1938 entschlossen, Hitler, Göring und Goebbels zu töten, um den für ihn absehbaren Krieg zu verhindern. Während der traditionellen Ansprache Hitlers am Vorabend des 9. November im Keller des Bürgerbräus sollte der Sprengsatz durch einen Zeitzünder zur Explosion gebracht werden. Die Bombe explodierte auch zum vorgesehenen Zeitpunkt, da aber Hitler aufgrund des schlechten Wetters nicht nach Berlin zurückfliegen konnte, sondern den Zug nehmen musste, verkürzte er seine Ansprache und verließ wenige Minuten vor der Explosion den Bürgerbräukeller. Durch die Wucht der Explosion wurden acht Teilnehmer der Veranstaltung getötet und über 60 verletzt. Und da nicht sein konnte, was nicht sein durfte, hatte man auch hier schnell eine griffige Erklärung zur Hand: Die "Vorsehung" habe Hitler gerettet, hieß es ein ums andere Mal in der NS-Presse. Der wahnhafte Glaube an die "Vorsehung Hitlers" ging bis zum bitteren Ende einher mit dem zum Dogma erhobenen Credo vom "Endsieg" und das immer verzweifeltere Hoffen auf die "Wunderwaffen des Führers".
Diese Grundfesten nationalsozialistischer Ideologie erhielten durch die Bomben der Alliierten auf deutsche Städte erste Risse. Aber erst als große Teile des Landes in Schutt und Asche lagen und Deutschland am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation unterzeichnete, waren die Träume vom "Tausendjährigen Reich" verflogen.
Ermöglicht hatten diesen Glückstag der deutschen Geschichte vor allem Bürger der DDR. Seit Anfang September 1989 demonstrierte jeden Montag eine zunächst nur kleine Gruppe von Männern und Frauen in Leipzig unter der Parole "Wir sind das Volk" gegen die Parteiherrschaft der SED. Die SED lenkte ein, zu der von den Bürgerrechtlern immer wieder befürchteten Eskalation nach chinesischem Muster kam es nicht. Am Abend des 9. November verlas ein SED-Funktionär auf einer Pressekonferenz vor laufenden Kameras eher beiläufig einen kurz zuvor erhaltenen Beschluss des amtierenden Ministerrats: "Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen ... beantragt werden.“ Damit hatte die Mauer ihre Funktion verloren, das Tor zur deutschen Einheit war weit geöffnet. Der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow hatte die Rahmenbedingungen für revolutionäre Veränderungen im Ostblock toleriert, und Millionen von Menschen haben sie genutzt.