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mein Mandelbachtal
Ausgabe 51/2025
mein Herzensthema
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Der kleine Stern, der nicht leuchten wollte

In einem kleinen Dorf am Rande eines tiefen, verschneiten Waldes stand eine alte Tanne, die jedes Jahr als Weihnachtsbaum gewählt wurde. Die Kinder nannten sie „die Große Dame“, weil sie so stolz und gerade in den Himmel ragte. Dieses Jahr war alles anders. Der Schmuck war schon aufgehängt, die Lichterketten blinkten bunt, aber oben auf der Spitze fehlte der Stern.

Der Stern lag noch im Karton im Keller. Er war wunderschön gearbeitet, aus goldenem Glas mit silbernen Streifen, doch er fühlte sich leer. Seit er vor vielen Jahren von einem alten Glasbläser gemacht worden war, hatte er noch nie richtig geleuchtet. Die anderen Sterne am Himmel funkelten jede Nacht, aber er blieb dunkel.

„Ich will nicht oben auf dem Baum sitzen“, murmelte er, als die kleine Lena ihn vorsichtig aus dem Karton hob. „Alle werden mich sehen. Und wenn ich nicht leuchte, lachen sie vielleicht.“

Lena war acht Jahre alt und hatte große, neugierige Augen. Sie hielt den Stern ganz nah ans Gesicht. „Du bist traurig“, sagte sie leise. „Das spüre ich.“

Der Stern schwieg. Er schämte sich.

Lena trug ihn ins Wohnzimmer. Die Familie sang gerade „O Tannenbaum“, und der Kamin knisterte warm. Lena stellte den Stern nicht sofort auf die Spitze. Sie setzte sich mit ihm auf das Sofa, unter die Decke, und erzählte ihm von ihrem Jahr: wie sie im Frühling einen Welpen bekommen hatte, der jetzt schon größer war als sie selbst, wie sie im Sommer mit Opa Pilze gesucht hatte, und wie sie im Herbst Angst gehabt hatte, weil Oma ins Krankenhaus musste. Aber Oma war wieder gesund geworden.

„Ich hab auch manchmal Angst, dass ich nicht genug bin“, flüsterte Lena. „Dass die anderen Kinder schlauer oder schneller sind. Aber Oma sagt immer: Es reicht, wenn du dein eigenes Licht findest. Auch wenn es ganz klein ist.“

Der Stern spürte plötzlich etwas Warmes in sich. Nicht heiß, sondern… lebendig. Als Lena ihn hochhob und ganz vorsichtig auf die Baumspitze setzte, passierte es.

Zuerst nur ein winziger Funke. Dann ein sanftes, goldenes Glühen, das sich langsam ausbreitete. Es war kein grelles Licht wie von den Lichterketten, sondern ein warmes, ruhiges Leuchten, das den ganzen Raum wie mit Honig füllte.

Die Familie hielt inne. Selbst der Hund hörte auf zu bellen.

„Guck mal“, sagte Lenas Papa leise, „er leuchtet.“

Lena lächelte, und eine kleine Träne lief ihr über die Wange. „Er hat nur jemanden gebraucht, der ihm sagt, dass es okay ist, anders zu sein.“

Draußen fielen dicke Schneeflocken. Und hoch oben am Himmel, zwischen all den großen, hellen Sternen, zwinkerte ein ganz kleiner besonders freundlich herunter – als wollte er sagen: „Danke, dass ihr mich gesehen habt.“

In dieser Nacht leuchtete der Baum im Dorf heller als je zuvor. Nicht wegen der vielen Lampen. Sondern wegen eines einzigen kleinen Sterns, der endlich seinen Mut gefunden hatte.

Frohe Weihnachten!