Alle drei Jahre verleiht die Kreisstadt Merzig gemeinsam mit dem Saarländischen Rundfunk in Würdigung von Werk und Lebensgeschichte des bekannten Schriftstellers Gustav Regler, zur Anerkennung literarischer Verdienste um interkulturelle und internationale Verständigung sowie zur Förderung junger Autorinnen und Autoren den „Gustav-Regler-Preis“ der Kreisstadt Merzig und den „Gustav-Regler-Förderpreis“ des SR.
Den „Gustav-Regler-Preis“, der mit 10.000 Euro dotiert ist, durfte in diesem Jahr die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin und Journalistin Katja Petrowskaja entgegennehmen. Sie erhielt den Hauptpreis für ihr Gesamtwerk.
Den mit 4.000 Euro dotierten „Gustav-Regler-Förderpreis 2023“ des Saarländischen Rundfunks (SR) erhielt der Sondershäuser Autor Marty Sennewald für seinen Text „Held“.
Traditionell werden beide Preise eigentlich im Frühjahr, um den Geburtstag Reglers am 25. Mai, verliehen. Der Festakt musste aus organisatorischen Gründen jedoch auf den Herbst verschoben werden und fand nun am vergangenen Sonntag im Museum Schloss Fellenberg statt. Oberbürgermeister Marcus Hoffeld freute sich, dass er neben den beiden Preisträgern auch den Intendanten des Saarländischen Rundfunks, Martin Grasmück, unter den Gästen begrüßen durfte. Herzlich willkommen hieß er zudem die Laudatoren, Ralph Schock und Prof. Alrun Kliems sowie weitere Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft.
Besonders erwähnte Hoffeld ein Mitglied der Jury in Merzig, die mit ihren Angehörigen ebenfalls der Preisverleihung beiwohnte: Frau Regler-Repplinger, die gemeinsam mit ihrer Familie von Beginn an den „Gustav-Regler-Preis“ auf vielfältige Art und Weise unterstützt.
„In der Ausschreibung des heutigen Preises heißt es, dass er zur Anerkennung literarischer Verdienste um interkulturelle und internationale Verständigung verliehen wird“, erläuterte der Rathaus-Chef, „wir setzen damit auch ein wichtiges Zeichen in einer beunruhigenden Zeit - in einer Zeit, in der es, selbst in Regionen, in den es vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war, kriegerische Auseinandersetzungen gibt, in der in Teilen auch unser Kontinent Europa auseinanderdriftet, statt geschlossen für Demokratie und Vielfalt einzutreten. Gleichzeitig erstarkt nationalstaatliches Denken, rückt extremes Gedankengut leider auch in die Mitte unserer Gesellschaft. Den Anfängen zu wehren - dies ist eine Aufgabe, der sich auch unsere Stadt nicht verschließt und der sie sich auch nie verschließen darf!“
Gustav Regler habe alle gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse des 20. Jahrhunderts erlebt, aber auch in sich durchlebt und erfahren. Der Blick auf den Menschen und die Erkenntnis dessen, was mit dem Einzelnen innerhalb von Machtsystemen passiert, war es, der ihn innehalten und umdenken ließ. Sein Leben und seine Widersprüche mahnen, auch die aktuelle Zeit zu beobachten, wachsam zu sein dafür, wie schnell Ideologien erstarken und Menschen vereinnahmen können.
Menschen wie Gustav Regler braucht es: Menschen, die vermeintlich einfache Wahrheiten hinterfragen, die es sich in ihrer Beurteilung der Dinge nicht leicht machen, die auf die Menschen sehen.
Zum Abschluss bedankte sich Oberbürgermeister Marcus Hoffeld für die sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem SR bei Martin Grasmück sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, insbesondere bei Tilla Fuchs, die die Vorbereitungen begleitet hat.
Sein Dank galt weiterhin dem Ministerium für Bildung und Kultur für die Unterstützung der Preisvergabe und den beiden Musikerinnen Anna Sophia Backhaus und Verena Jochum vom Duo „Sovela“, die mit ihren originellen Interpretationen von Liedern von Weill, Gershwin und Holländer die stimmungsvolle, musikalische Begleitung des Vormittags übernommen haben.
Martin Grasmück, Intendant des Saarländischen Rundfunks, richtete ebenfalls einige Worte an die Anwesenden, die Einladung zu dieser besonderen Veranstaltung habe er sehr gerne angenommen. Bewusst fördere der Saarländische Rundfunk mit der Preisvergabe den literarischen Nachwuchs. Zum öffentlich-rechtlichen Auftrag gehöre es ausdrücklich, ein Motor für die Kultur im Saarland und der Großregion zu sein – sie nicht nur sichtbar zu machen, sondern auch in besonderem Maße zu fördern. Dabei sei es wichtig, insbesondere jene zu unterstützen, die die verschiedenen Dimensionen von Kultur aufrechterhalten, weiterentwickeln und in die Zukunft trügen.
Mit ihrer Literatur trügen die Preisträger dieses Tages dazu bei, die Frage zu beantworten, was geschieht, wenn irgendwann niemand mehr aus der eigenen Erinnerung erzählen kann? Dann müsse – wie es in den bei der Preisvergabe ausgezeichneten Werken bereits zu lesen sei – die Literatur an die Stelle der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen treten. Derartige Werke könnten Mittel sein, um der Bilderflut etwas entgegenzusetzen, die uns selbst oft genug der Wörter beraube. Sie gäben uns die Möglichkeit, kurz in Gefühl und Ernsthaftigkeit innezuhalten.
Prof. Alrun Kliems ist Literaturwissenschaftlerin, Slawistin und Hochschullehrerin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie hielt die Laudatio auf den Förderpreisträger. Sennewald, der aktuell für ein Stadtschreiber-Projekt in Burghausen lebt, schreibt aktuell an seinem ersten Roman, der von den Feldpostbriefen Herbert Helds inspiriert wurde, der als 17-Jähriger zur Wehrmacht eingezogen wurde und in der Normandie fiel. Dessen Briefe hatte Sennewald auf einem Dachboden seiner Heimatstadt Sondershausen entdeckt. Die Laudatorin verdeutlichte das Engagement Sennewalds, den dieser Fund und die Frage, wie er als Nachgeborener damit umzugehen habe, nicht mehr losließ und dem es gelänge in seinem Romanmanuskript die schwierige Balance aufrecht zu erhalten zwischen der Ernsthaftigkeit des Themas und der Leichtigkeit seiner Erzählweise.
Der Laudator für den Hauptpreis, Ralph Schock, ist Schriftsteller, Herausgeber, Literaturredakteur und nicht zuletzt ein Mitbegründer des Gustav-Regler-Preises.
Er arbeitet schon seit langer Zeit mit Katja Petrowskaja zusammen und beglückwünschte die Jury zu Ihrer Entscheidung. Anhand der Werke Petrowskajas und ihrem persönlichen Engagement zeigte er Parallelen zwischen ihrem Leben und Werk und dem Gustav Reglers auf und verdeutlichte damit, dass sie tatsächlich, wie es in dem Urteil der Jury heißt, „eine europäische Intellektuelle ist im Sinne der Ideale und Werte, für die Gustav Regler ebenfalls gekämpft und geschrieben hat“. Die Preisträgerin wurde 1970 in Kiew geboren und lebt seit 1999 in Berlin. Hier erst erlernte sie die deutsche Sprache, die wie sie es selbst in ihrem Geschichtenbuch „Vielleicht Esther“ ausdrückte, der eigentliche Held ihrer Geschichten sei. Gerade weil die Worte sich für sie gelegentlich nicht so recht einpassen ließen in den Redefluss, schaffe sie eine besondere und ihr eigene Poetik.
In bewegenden Reden bedankten sich Förderpreisträger und Preisträgerin. Marty Sennewald versprach, die Aufgabe gerne anzunehmen, weiter im Sinne eines Gustav Reglers zu schreiben.
Katja Petrowskaja gab einen sehr persönlichen Eindruck in ihr Leben als Schriftstellerin, das häufig ein einsames sei und das sich nach dem Angriff Russland auf ihr Heimatland sehr verändert habe. Schreiben und Beschreiben ihrer Zeit sei ihr schwer geworden angesichts der „Inflation des Leidens“, die die Menschen erlebten, wenn andauernder Schrecken immer wieder beschrieben werde. In dieser Zeit habe ihr die Anerkennung ihrer Arbeit durch die Preisverleihung neuen Halt gegeben. Dafür bedankte sie sich sehr herzlich bei der Kreisstadt Merzig.
Bereits am Vorabend der Verleihung hatten die Preisträger zu einer Lesung in die Stadtbibliothek eingeladen.
Ein Bericht über die Veranstaltung wird am Mittwoch, 18.10.2023, um 19:15 Uhr in „Literatur im Gespräch“ auf SR 2 KulturRadio zu hören sein.