Interessant zu erwähnen ist noch, dass sich die Vögel hier regelrecht auf die große Reise vorbereiten. Ausgelöst wird der ganze Prozess durch die unterschiedliche Tageslänge im Frühjahr und Herbst, die in den Vögeln eine Hormonverschiebung in Gang setzt. Somit machen die Vögel vor jeder Reise eine gewisse Veränderung in ihrer Statur durch. Unter ihrer Haut legen sie, durch die vermehrte Futteraufnahme, eine zusätzliche Fettschicht an, die doppelt so schnell in Energie umgewandelt werden kann, wie die Kohlenhydrate ihrer normalen Nahrung, die die notwendige Kraft zum Fliegen liefert. Die meist kleineren Zugvögel machen vor dem Abflug eine vollständige Mauser durch, sie tauschen also ihr bisheriges Gefieder durch ein neues aus. Mit diesem „Reise-Gefieder“ machen sie sich dann auf den Weg. Startschuss für die Reise ist eine günstige Wetterlage. Ideale Bedingungen sind hier klares Wetter und Rückenwind, was natürlich eine energieschonende Reise bedeuten würde. Oftmals wechselt aber der Wind während einer solchen Reise. Man kann sich schon denken dass solche Konstellationen mit Gegenwind nochmal zusätzlich an den Energiereserven zehren. Wenn man dann bedenkt, dass durch den Klimawandel auch die Wüsten des afrikanischen Festlands sich immer weiter ausdehnen und die Distanzen bis man wieder Nahrung und Wasser auffinden kann sich verlängern, macht das die zukünftigen Reisen noch gefährlicher und schwieriger. Aber auch unabhängig von den gut getroffenen Vorbereitungen was Nahrungsaufnahmen und gute Wetterlage betreffen, gibt es unterwegs auf der Reise viele Gefahren und Hürden die die Vögel nehmen müssen. Hier nur kurz erwähnt seien die Gefahren die leider hauptsächlich vom Menschen ausgehen. Einfach durch die Zivilisation der Menschen ausgehende Gefahren wie z. B. Strommasten und Stromleitungen die oftmals tödlich für die Vögel sein können. Aber auch die Probleme die in Nordafrika auf die Zugvögel warten. Die dort weit verbreiteten Fangnetze um die Vögel dann als Nahrung anbieten zu können. Oder auch die Probleme die durch die dort verwendeten tödlichen Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft entstehen. Bei uns längst verboten da gefährlich, dort legal nutzbar. Die Vögel verzehren Nahrung die durch diese Mittel verseucht sind und verenden daran. Aber das alles müssen diese Vögel auf sich nehmen, um überhaupt eine Überlebenschance zu haben.
Wenn man sich mit dem Thema Vogelzug intensiver beschäftigt, wird einem schnell klar, dass es Arten gibt, von denen man überhaupt nicht dachte, dass sie auch Zugvögel sind, da man sie ja gefühlt das ganze Jahr über sehen kann. Beim Kranich oder dem Weißstorch ist jedem klar, dass es ein Zugvogel ist. Aber auch solche Arten wie Rotmilan, Fischadler, Rotkehlchen, Blaukehlchen, Blau- und Kohlmeise oder auch die Ringeltaube um hier nur einige zu nennen, sind ebenfalls Zugvögel. Man muss das so sehen. Die Individuen dieser genannten Vögel, die bei uns brüten, ziehen im Winter in den Süden. Die bei uns im Winter anzutreffenden Individuen, kommen meistens aus den nördlichen Brutgebieten zu uns und überwintern hier, so lange es die Witterung zulässt. Also sind die Vögel die man dachte das ganze Jahr bei uns zu sehen, im Frühjahr/Sommer andere Individuen als im Winter. Das war mir auch lange nicht bewusst, aber wieder ein Aspekt des Vogelzugs der mich fasziniert.
Spannend bei all dieser faszinierenden Thematik bleibt die Frage, wie wird sich das Zugverhalten der Vögel verändern? Was beeinflusst alles deren Entscheidung zu ziehen oder nicht mehr zu ziehen? Wird es Änderungen bei den Brutvogelarten geben? Kann man in Deutschland tatsächlich im Zuge des Klimawandels andere Arten sehen? Siedeln sich hier neue Brutvögel an? Ist diese Entwicklung nur kurzfristig oder wird sich das Dauerhaft ändern? Wie Anpassungsfähig werden die Vögel bei Temperaturänderungen sein? Ich bin mir sicher, es wird sich hier in den nächsten Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten einiges ändern. Wenn man bedenkt, dass bereits rosa Flamingos im Süden Deutschlands die ersten Brutversuche starten, kann man in etwa sehen, wohin die Reise gehen kann. Oder auch der schöne, farbenfrohe Bienenfresser. Auch dieser wird wohl in Zukunft immer häufiger bei uns brüten.
All das, die bisherigen Verhaltensweisen der Zugvögel, aber auch die Entwicklung in den nächsten Jahren, machen die Faszination Vogelzug aus. Ein Wunder der Natur, das für jeden interessierten Beobachter direkt vor der Haustür zu bestaunen und genießen ist.
Der Autor dieses Artikels, Naturfotograf Marcel Braun, stellt zurzeit im Nalbacher Rathaus unter dem Titel „Vogelfrei“ über fünfzig seiner Vogelfotografien aus. Die Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten des Rathauses zu besichtigen.
Auf Instagram findet man weitere Fotografien von Marcel Braun unter: marcelbraun_photography