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mein Nonnweiler
Ausgabe 49/2025
Allgemeine Nachrichten
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Ein Alltag unter Beobachtung

Nadine, Lena und Heiko Weber beim gemeinsamen Urlaub.

Eine Familie zeigt, was Inklusion wirklich bedeutet

Wenn Nadine und Heiko Weber mit Ihrer Tochter Lena unterwegs sind, haben sie oft das Gefühl, unter einem unsichtbaren Brennglas zu stehen. Menschen schauen hin, dann wieder schnell weg. Manche flüstern, andere beurteilen Lenas Verhalten, ohne ein einziges Mal zu fragen, warum etwas so ist. Das trifft – und es zeigt, wie wenig Verständnis es in unserer Gesellschaft für unsichtbare Behinderungen gibt.

Lena ist 18 Jahre alt, lebt mit frühkindlichem Autismus und einer geistigen Behinderung. Man sieht ihr das auf den ersten Blick nicht an. Und genau das führt immer wieder zu Missverständnissen. Viele verbinden „schwerbehindert“ nur mit einem Rollstuhl. Dass es Kinder wie Lena gibt, die äußerlich kaum auffallen und dennoch in nahezu jedem Moment Unterstützung brauchen, kommt im Bewusstsein vieler Menschen gar nicht vor.

Wenn die Welt zu laut ist

Der Alltag ist für Lena voller Herausforderungen. Ein Piepton an der Supermarktkasse kann für sie ein kaum erträglicher Reiz sein – ihr Gehirn kann diesen Lärm nicht filtern. Wenn sie schreit oder weint, sehen viele nicht das Warum. Sie sehen nur das Verhalten – und urteilen. Kommentare wie „Die hat wohl keine Erziehung“ oder „Solche Kinder gehören in eine Einrichtung“ sind verletzend, unnötig und zeigen vor allem eines: Unwissen. Dabei ist Lena nicht aggressiv. Niemand muss Angst vor ihr haben. Was fehlt, ist Akzeptanz. Und der Mut, einfach mal zu fragen.

Ein Leben voller Liebe, Kämpfe und Entscheidungen

Lenas Diagnose kam früh. Schon mit 15 Monaten war klar, dass sich die Tochter der Webers anders entwickelt. Mit zwei Jahren folgte die Diagnose: frühkindlicher Autismus mit starker Intelligenzminderung. Seitdem hat sich das gesamte Leben der Webers verändert. Sie kämpfen für Therapien, Schulbegleitungen, Unterstützung. Wenn die Integrationshelferin ausfällt, beginnt jedes Mal ein bürokratischer Kampf, der sie zusätzlich schwächt. Sie geben beruflich alles – und fallen doch immer wieder aus, weil das Unterstützungssystem nicht trägt. In zwei Jahren endet Lenas Schulzeit. Danach benötigt sie einen Platz in einer Tagesförderstätte. Doch diese Plätze sind rar und werden meist nur frei, wenn jemand wegzieht oder verstirbt. Eine stationäre Einrichtung kommt für die Webers derzeit nicht infrage. Lena soll soziale Nähe behalten, mitten im Leben bleiben – nicht am Rand.

Zwischen Erschöpfung und kleinen Wundern

Der Alltag der Webers ist oft schwer, manchmal kaum auszuhalten. Wochen voller Meltdowns, Selbstverletzung, Arztbesuchen, Verzweiflung. Und trotzdem gibt es Momente, die sie tief berühren: Menschen, die Lenas Anderssein nicht bewerten, sondern einfach freundlich bleiben. Eine Reiseleiterin, die ihr ein kleines Fähnchen schenkte und damit einen ganzen Urlaubstag verzauberte. Die Delfintherapie, die Lena spürbar stärkte. Fußballevents, Konzerte, ein unvergesslicher Sommerurlaub – Momente, in denen die Webers als Familie einfach sein durften. Diese Lichtblicke tragen die Familie Weber, wenn es wieder Tage gibt, an denen sie nur froh sind, sie zu überstehen.

Wachsende Sorgen in bewegten Zeiten

Gesellschaftliche Entwicklungen bereiten den Webers zunehmend Sorgen. Der Fachkräftemangel im sozialen Bereich, die offensichtlichen Lücken in der Inklusion, politische Tendenzen, die benachteiligte Menschen an den Rand drängen – all das macht ihnen Angst.

Sie haben erlebt, wie unsicher das System ist. Vieles ist fragil. Vieles fehlt. Sie wissen: Eine Garantie gibt es für sie nicht. Sie müssen stark bleiben, für Lena – und meistens auch trotz allem für sich selbst.

Warum die Webers ihren Weg öffentlich teilen

Das Instagram-Account @lenasautismis_ungeschminkt entstand nicht aus dem Wunsch nach Aufmerksamkeit. Er entstand aus Verzweiflung und aus dem Bedürfnis nach Austausch.

Die Webers wollen zeigen, wie ihr Leben wirklich aussieht: Nicht geschönt und auch nicht gefiltert. Mit Meltdowns, Sorgen, liebevollen Momenten, Fortschritten und Rückschritten. Sie wollen kein perfektes Influencerleben präsentieren, sondern Realität zeigen. Weil viele Familien so leben – und sich oft allein fühlen.

Ein Appell an die Gesellschaft

Inklusion heißt nicht, dass alle gleich sind, sondern dass jeder einen Platz verdient. Dass man hinschaut, nicht weg. Fragt, statt urteilt. Empathie zeigt, statt sich abzuwenden. Die Webers haben gelernt: Menschen wie Lena machen die Gesellschaft reicher. Lena zeigt, wie kostbar die kleinen Dinge sind und wie wertvoll Menschlichkeit ist. Nadine und Heiko Weber wünschen sich eine Gesellschaft, in der Kinder wie Lena nicht auffallen, weil sie „anders“ sind, sondern dazugehören, weil sie Menschen sind. Und sie wünschen sich, dass viele diesen Weg mitgehen. (LeWe)