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Öffentlicher Anzeiger - Stadt Püttlingen
Ausgabe 29/2022
Bei uns Daheim Püttlingen
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Fahrt ins Psychiatriemuseum Merzig stieß auf großes Interesse

Dipl. Psychologe Ralf Schmitt führte die Köllertaler durch das Psychiatriemuseum. 

Martin Schmitt, Sprecher der Püttlinger Stolpersteinaktivisten, las aufmerksam die Biografien berühmter Politiker, Schauspieler und Schriftsteller, die alle psychisch krank und dennoch erfolgreich waren.

Die Teilnehmer der Fahrt ins Psychiatriemuseum Merzig vor den Toren der einstigen Provinzialirrenanstalt und heutigen SHG-Klinik. Statt einst 1.500 werden hier noch 60-70 Patienten stationär und ambulant behandelt.

Keine Zwangsjacken an der Wand. Keine Elektroschocker in der Vitrine. Kein Horrorkabinett der Psychiatrie. Statt dessen eine sehr feinsinnige, künstlerische Inszenierung des Themas Psychiatrie. Keine ermüdende Dokumentation der Vergangenheit sondern ein Ort der Besinnung, des respektvollen Erinnerns an ein einstmals großes Haus und das Schicksal seiner Patienten. Die Rede ist vom Psychiatriemuseum Merzig, das auf besondere Art an das 1876 als Provinzialirrenanstalt errichtete spätere Landeskrankenhaus Merzig erinnert. Diesen außergewöhnlichen Ort im Dachgeschoss der Klinik besuchten kürzlich 15 Geschichtsinteressierte aus dem Köllertal und hörten erschütternde Details aus dem Klinik- und Therapiealltag aus dem profunden Mund von Dipl. Psych. Ralf Schmitt, der die Besuchergruppe durch die drei Räume mit fünf inszenierten „Bildern“ führte.

So erfuhren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer z.B., dass die Anstalt vor 150 Jahren als autarkes Krankenhaus errichtet wurde, mit eigenem Heizkraftwerk, vielen landwirtschaftlichen und handwerklichen Betrieben, eigener Kapelle, eigenem Pfarrer und eigenem Friedhof. In dem „Raum mit dem leeren Feld“ wird der Patienten gedacht, die nach Merzig kamen und damit für immer ihre soziale Heimat verloren. Viele von ihnen wurden bis 1978 fernab ihres Zuhauses auf dem klinikeigenen Friedhof begraben. „Mehrere mit Erde aus verschiedenen saarländischen Landkreisen gefüllte Quadrate sind auf dem Boden ausgestellt - nur eines ist leer: Es steht für jene Merziger Patienten, die in der Nazi-Zeit deportiert und umgebracht wurden und niemals ein eigenes Grab bekamen. Fast 800 waren es“, erzählt Ralf Schmitt. Der Bereich „Psychiatrie in Raum und Zeit“ weist auf die unterschiedliche Art des Umgangs mit psychisch kranken Menschen hin. Während in der Türkei bereits ab dem 14. Jahrhundert Patienten mit Musik, Düften und Wasserspielen behandelt wurde, versuchten im „modernen Europa“ noch über 500 Jahre später die Ärzte mit der Kalt-Wasser-Schocktherapie ihre Patienten zu heilen.

Besonders beeindruckt zeigten sich die Besucher von der Darstellung „Der kompetente Mensch“. Dass Winston Churchill, Ernest Hemingway oder Nelly Sachs trotz ihrer psychischen Krankheiten Großes, Bleibendes, Beeindruckendes geschaffen haben, hat viele überrascht. „Das hätte ich nie gedacht, dass diese Persönlichkeiten so krank und trotzdem so erfolgreich in ihren Berufen waren“, sagte Martin Schmitt, Sprecher der Püttlinger Stolpersteinaktivisten. Beeindruckt zeigten sich die Besucher auch von den Fotos, Zeitungsausschnitten, Film- und Tondokumenten über die Klinikpsychiatrie in Merzig von der Zeit der Gründung im 19. Jahrhundert bis zur Auflösung am Ende des 20. Jahrhunderts. Besonders der Propaganda-Film aus der NS-Zeit über Erbkrankheiten, den Schüler jüngst auf Youtube gefunden haben, lieferte jede Menge Gesprächsstoff.

Organisiert wurde die Führung von Monika Jungfleisch vom Aktionsbündnis Stolpersteine für Riegelsberg im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ Gefördert wird dieses Projekt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie vom Regionalverband Saarbrücken. Wer Interesse an einer Führung hat, kann sich bei Monika Jungfleisch melden: Tel.: 06806/2355 oder 01577/ 4253072.