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Öffentlicher Anzeiger - Stadt Püttlingen
Ausgabe 34/2023
Seite 3
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Wer ist Paul ?

„Anders – sein ist das Normale.

Jeder Mensch ist für den anderen anders.

Und jeder Mensch hat seinen eigenen Zauber.“

(M. Pistorius-Adams)

Paul Aloysius Meyer wurde am 18.08.1923 in Püttlingen in der Derler Str. 36 (heute 44) als Sohn von Katharina Mathilde geb. Mathis und Aloysius Sebastian Meyer geboren. Paul war der Älteste von fünf Geschwistern. Er kam mit dem Down Syndrom (Trisomie 21) zur Welt und war ein lebensfroher, anhänglicher Junge mit einer Lernbehinderung.

Aus den Erzählungen seiner Schwester Mathilde (Jg. 1934) ist zu erfahren, dass Paul ein liebes Kind war, dass er nie böse oder frech war und er oft mit ihr gespielt hat. Er empfand Stolz über sein Buch, das er ihr zeigte. Weiterhin schildert sie, dass ihre Mutter sehr an Paul gehangen, sie immer auf sein Äußeres geachtet und ihn gepflegt hat. Paul war wie alle anderen in die Familie integriert und in der Nachbarschaft akzeptiert. Ein ehemaliger Nachbar, Hans-Josef Karrenbauer erinnerte sich an Paul als einen kräftigen, harmlosen Jungen, der gerne die Nachbarn besuchte. Er schilderte, dass nicht darüber gesprochen wurde, als Paul plötzlich fernblieb. Mathilde, Pauls Schwester, weiß noch wie „die abends mit genagelten Stiefeln kamen, die Treppe hoch gestürmt und sich das Kind geholt haben.“ „Die Mama und ich haben furchtbar geweint und wollten das nicht. ….. und sie haben ihn einfach geholt…. Es waren keine Soldaten, aber Leute von der Partei.!“ Dies ereignete sich am 06.12.1937. Paul wurde im Alter von 14 Jahren aus seiner Familie gerissen und in die „Heilerziehungsanstalt“ Kalmenhof nach Idstein im Taunus/Hessen auf Veranlassung des Reichskommissars deportiert. (Quelle: Archiv des Landeswohlfahrtsverbands Hessen)

In der Broschüre „Die Geschichte des Saarlandes“ wird beschrieben, dass Oppositionelle, Juden, Sinti und Roma sowie „Erbkranke“ zunehmend der Verfolgung durch die Gestapo ausgesetzt waren. Als Diagnose wurde bei der Zwangseinweisung in der „Heilanstalt“ Kalmenhof „erworbener Schwachsinn und mongoloider Idiotie“ angegeben. Seine Schwester erzählt über Pauls Aufenthalt im Kalmenhof folgendes: Mama und Papa durften ihn vielleicht 1 bis 2 mal im Jahr besuchen, wir Geschwister überhaupt nicht…. Man musste ja eine Bescheinigung für Besuche haben ….. Und sie durften ihn nicht mit nach Hause nehmen ….. Weiter erzählt Mathilde, dass später nicht mehr über Paul gesprochen wurde, denn es war schlimm, wenn andere Kinder sagten: “Ihr habt auch so einen Verrückten, so einen Idioten …., das war ein Makel damals.“ Das Kind wurde totgeschwiegen, auch in der Nachbarschaft.“ Aus Erinnerungen und Erzählungen von Pauls Mutter ist zu erfahren, dass sie bei Besuchen im Kalmenhof sehr betroffen war, dass Paul so abgemagert war. Zu Hause hat sie sich dann das Essen vom Mund abgespart und einige Essenspakete zu ihm geschickt. Ob Paul diese erhalten hat, ist jedoch ungeklärt. Auch erzählte sie, dass sie bei jedem Besuch ein schlechtes Gewissen hatte und sehr traurig war. War Paul doch ihr erstgeborenes Kind, an dem sie sehr hing, auch wenn er nicht so war wie andere Kinder. Was genau mit Paul im Kalmenhof geschah, konnte nicht recherchiert werden, da die Krankenakte verschollen ist. Die Familie erhielt eine schriftliche Notiz, dass Paul am 26.09.1940 verstorben ist. Die angegebene Todesursache: Mongoloide Idiotie, Lungentuberkulose, Herzschwäche. Paul wurde am 30.09.1940 in Idstein beigesetzt.

Paul wurde 17 Jahre alt. Er ist ein Opfer der Gräueltaten des Naziregimes. Einer von 70.000 Menschen, die wegen ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen von 1940 bis 1941 (Aktion T4) ermordet wurden. Viele offene Fragen bleiben. Die Familie hat Paul nie vergessen. Paul, war Sohn, Bruder, Nachbar – ein Mensch, der es zu leben verdient hatte.

Der Künstler Gunter Demnig wird am 20. September vor Paul´s Elternhaus im Gedenken an ihn einen Stolperstein verlegen. Denken wir gemeinsam an Paul, der nach seinem Leidensweg endlich wieder zuhause ankommt.

Die Quellen wurden durch Martina Pistorius-Adams und Ute Müller erarbeitet und sie haben die Fotos zur Verfügung gestellt. Sie sind Pauls Nichten und werden die Geschichte ihres Onkels anlässlich der Stolpersteinverlegung erzählen.