Seit mehr als 100 jähren gibt es in Thüringen (und seit der Vereinigung der beiden Landeskirchen zur EKM) die Kirchenzeitung „Glaube+Heimat“. Erstmalig schaffte es eine Kantorin auf das Titelblatt und leistet damit einen wichtigen Beitrag zu den Aktivitäten der Stadt Bad Frankenhausen im Gedenkjahr bzgl. Bauernkrieg. Nicht nur für Leser der Kirchenzeitung, sondern auch für geschichtliche Interessenten und Verantwortliche des Gedenkjahrprogamms dürften die Ausführungen von Kantorin Schildmann (die zu diesem Artikel geben wurde) von Interesse sein: „Adventslied vom Schlachtberg“
Gott, heilger Schöpfer aller Stern: Fällt Ihnen spontan die Melodie zu diesem Adventslied ein - nein? Dann wird das Lied bei Ihnen in der Gemeinde wahrscheinlich nicht so oft gesungen. Das sollte sich ändern, meint unsere Autorin.Auch hier in Bad Frankenhausen wird das Lied Nummer 3 aus dem Evangelischen Gesangbuch nicht so oft angestimmt. Und wenn doch, dann ist es eher ein Duett, bestehend aus Kantor und Pfarrerin - falls man das Glück hat und letztere singen kann. Und die Gemeinde? - Die hält sich weitestgehend raus.
Dabei hat Bad Frankenhausen eine enge Beziehung zu Thomas Müntzer, dem Textdichter des Liedes, denn hier hat ja der letzte entscheidende und von Müntzer selbst angeführte Kampf der Bauernschaft gegen die Obrigkeit stattgefunden. Die Bauern wurden am 15. Mai 1525 auf dem Hausberg von Frankenhausen zu Tausenden abgeschlachtet, Müntzer selbst verhaftet und später in Mühlhausen hingerichtet. Noch heute, nach 500 Jahren, ist die Erinnerung daran allgegenwärtig. Welche Stadt hat schon einen „Schlachtberg“ oder eine Straße, die „Blutrinne“ heißt? Wussten Sie, dass Thomas Müntzer als erster einen kompletten Gottesdienst auf Deutsch gehalten hat? Noch vor Luther, nämlich 1523. Damit hat er in der evangelischen Gottesdienstreform eine große Bedeutung. In seiner Allstedter Zeit schrieb er die „Deutsche Messe“.
Alle Messteile wurden ins Deutsche übertragen und mit schon vorhandenen gregorianischen Melodien versehen. In der Musiktheorie nennt man das Kontrafaktur. In der Praxis ist das gar nicht so einfach umzusetzen. Vor einigen Jahren habe ich mit meinen Chormännern Müntzers "Deutsche Messe" einstudiert und aufgeführt. Das war ein schwieriges Unterfangen! Der deutsche Text zusammen mit der alten gregorianischen Melodie - ganz schön sperrig.
In ähnlicher Art hat Müntzer auch "Gott, heilger Schöpfer aller Stern" bearbeitet: Er hat den schon seit dem Jahr 1000 bestehenden Adventshymnus „Conditor alme siderum“ genommen und den bestehenden lateinischen Text ins Deutsche übersetzt. Dabei hat er eigene Akzente gesetzt. Aus dem lateinischen Fokus auf Gott, den Vater im Himmel, hat Müntzer einen stärkeren Blick auf Jesus gerichtet. Man könnte sogar sagen, eine Christushymne ist entstanden: Christus war Gott gleich und wurde den Menschen gleich. Er lebte als Mensch bis zum Tode am Kreuz. Darum hat Gott ihn erhöht, und alle - im Himmel und auf Erden - müssen vor ihm ihre Knie beugen und ihn anbeten. In der fünften Strophe geht es um die christliche Gemeinde. Sie soll den Willen Gottes tun und im Glauben selbst vorankommen.
Eigentlich ist dieses Lied gar kein Adventslied. Nur in den ersten drei Strophen geht es um die Menschwerdung von Christus. Die weiteren Strophen weisen weit über die Adventszeit und Weihnachten hinaus. Für mich steht dieses Lied für die Aufforderung an alle Christen, sich Jesu Maßstab und sein Handeln zu eigen zu machen. Interessant ist, dass Müntzers Lied im vorigen Gesangbuch, dem Evangelischen Kirchengesangbuch, nicht vertreten war. Vielleicht war vielen seine Vorstellung von einer neuen, gerechten Gesellschaftsordnung suspekt? Während der deutschen Teilung hat Müntzer jedenfalls in der ehemaligen BRD wenig Beachtung bekommen, während die DDR ihn hochgeschätzt hat - und für politische Zwecke missbrauchte. Müntzer polarisiert, damals wie heute. Umso froher bin ich, dass „Gott, heilger Schöpfer aller Stern“ heute im Gesangbuch enthalten ist, und hoffe, dass das Lied es auch ins neue Gesangbuch schafft. Ich selbst habe mir fest vorgenommen, das Lied in diesem Jahr in der Adventszeit öfter singen zu lassen. Dann ist die Gemeinde schon einmal vorbereitet auf das nächste Jahr und die Festivitäten zum Jubiläum „DENKjahr 2025 - 500 Jahre Bauernschlacht“ in Bad Frankenhausen.
Vielleicht singen Sie es auch einmal. Es lohnt sich. Und aus dem Duett von Kantor und Pfarrerin könnte mit Ihnen schon ein Terzett werden. Die Autorin ist Kantorin im Kirchenkreis Bad Frankenhausen- Sondershausen.“ (Copyright © GLAUBE + HEIMAT - 2. Advent / 8.12.2024) Diese Zeilen von Laura Schildmann sollen noch mit einer Ergänzung, die nun auch schon „Geschichte“ ist, erweitert werden. 1975 - 450. Bauernkriegsgedenken wurde in der DDR im Sinne einer entsprechenden Politik hochstilisiert. Der damalige Kantor Uthmar Scheidig hatte sich im Vorfeld ein wenig mit der Problematik beschäftigt und zusammen mit dem Superintendenten Dieter Bornschein und anderen Ehrenamtlichen wurde eine „Kirchliche -Thomas Müntzer - Woche“ erarbeitet und wie damals üblich auch vom Rat des Kreises, Referat Kirchenanglegenheiten „abgesegnet“ - war wichtig auch für Druckgenehmigung Plakat/Programme.
Neben der kirchenmusikalischen Ausgestaltung (Konzert mit Werken dieser Zeit, Orgelkonzert, Müntzers „Deutsche Messe“ mit der Pfingssequenz) gab es auch eine geschichtswissenschaftliche Tagung mit dem „Kirchlichen Thüringer Geschichtsverein“ zusammen mit den beiden marxistischen Wissenschaftlern Siegfried Bräuer und Max Steinmetz. Es war damals doch sehr erstaunlich, wie beide Seiten doch im Wesentlichen zu gleichen Ergebnissen kamen.
Festzustellen ist, dass die Kirchgemeinde Bad Frankenhausen und damit der gleichnamige Kirchenkreis (Superintendentur) die Einzigen innerhalb der kirchlichen DDR-Struktur waren, die sich mit Müntzer auseinandersetzten. Für alle andren Landskirchen der DDR war es nicht wert, sich mit Müntzer zu beschäftigen.
Peter Zimmer