ein letztes Mal gestalte ich hier die Informationen des Bürgermeisters. Seit meiner Ankündigung zur Rückgabe des Amtes ist nun einige Zeit vergangen. Ich habe dabei einen notwendigen Abstand zum Wirken der vergangenen fast vier Jahre und einen Blick von „oben“ auf das ganze Treiben eingenommen.
Während ich diese Zeilen an Sie, die Leser des Bürger Echos, schreibe, habe ich ein weiteres Mal Max Webers abgedruckten Vortrag „Politik als Beruf“ in den Händen. Max Weber gilt als der bedeutendste deutsche Soziologe sowie als Klassiker der gesamten Kultur-, Sozial- und Geschichtswissenschaften. Den Vortrag hielt er 1919 - in einer Zeit, die sicher nicht ganz mit der unseren heute zu vergleichen ist, jedoch durchaus Parallelen in den chaotischen Zuständen zulässt, in denen sich Politik von „ganz oben“ bis zu uns „ganz unten“ behaupten muss.
Dass ein Bürgermeister sich in einem massiven Spannungsfeld zwischen
Erwartungen, engen Grenzen der Gesetze, vor einem riesigen „noch zu erledigen“- Berg und besonders guten Ratschlaggebern wiederfindet, sollte jedem bewusst sein, der sich um dieses Amt bewirbt.
In der letzten Sitzung des Kreistages wies der Landrat in einer ergreifenden Dankesrede für den scheidenden Bürgermeister der Gemeinde Gerstungen und meiner Wenigkeit auf einen besonderen Umstand um dieses Amt hin:
Es gibt keinen Bürgermeister „auf Probe“, sprich: Ab dem Tag des Amtsantritts geht es scharf. Da es auch keine Stellenbeschreibung für einen Bürgermeister gibt, möchte ich gerne meine Erfahrungen für die Entscheidungsfindung all derer, die sich berufen fühlen, bereitstellen:
Was sollte ein Bürgermeister mitbringen?
Als allererstes: das Bewusstsein, dass sich das Leben vollkommen verändern wird! Das persönliche Umfeld, Freunde, ehemalige Schulkameraden werden nicht mehr die Gleichen sein. Auch das private Leben wird vor massiven Veränderungen stehen - Familie, Kinder und Freundschaften werden mit viel weniger verfügbarer Zeit zurechtkommen müssen und stehen plötzlich im Fokus des öffentlichen Interesses - und das mal mehr, mal weniger im Guten.
Interesse am Gemeinweisen - also an den Interessen aller Bürger, gerade denen, die man nicht hört und sieht. Diese schweigende Mehrheit verlässt sich auf das weise Handeln und Entscheiden für alle - nicht bloß für Interessenvertreter oder kleinen, lauten Gruppen.
Juristische Grundkenntnisse - Affinität zum Lesen von Gesetzestexten, Paragrafen und Kommentierungen. Damit der eigene Handlungsrahmen bekannt ist, ausgefüllt und nicht überdehnt wird, denn nach der Dienstherrenhaftung kommt auch immer die persönliche Haftung.
Strategisches Denken und nicht „umfallen“ - Situationen schnell erfassen können und mit einer langfristigen Idee von Gemeinde abgleichen können. Netzwerke aufbauen, Kontakte knüpfen und in die Idee einbinden. Dabei den Mut zu notwendigen Entscheidungen haben und diese auch gegen gut gemeinte Ratschläge beizubehalten, auch wenn alle dagegen sind.
Abschalten und loslassen können - das gilt für Probleme und Ideen gleichermaßen.
Wer nicht abschalten kann, wird alle Gedanken auf das Amt ausrichten und auch im Privaten, beim Autofahren nach Gehwegborden oder dem Pflegezustand von Grünanlagen sehen, beim Spaziergang nach Beschilderungen, dem Zustand von Treppenanlagen oder der Baumpflege schauen oder in den unpassendsten Momenten plötzliche Ideen von „da kann man was draus machen“ bekommen. Loslassen können, wenn etwas nicht ganz so läuft, wie man es geplant hat oder ständig immer wieder aufs Neue diskutiert und kritisiert wird.
(Sozial-)Wissenschaftliche Grundkenntnisse - Da sozial erstmal nichts anderes bedeutet, wie Gesellschaft, in deren Mitte man plötzlich steht und für sie entscheiden soll, sind wesentliche Grundkenntnisse unabdingbar, um verstehen zu können, warum Menschen handeln, wie sie handeln und richtige Schlüsse daraus zu ziehen.
Starkes familiäres System - Die eigene Familie sollte vollkommen hinter der Entscheidung um das Amt stehen. Sie ist der wichtigste Verbündete, der ehrlichste Ratgeber und in schwierigen Momenten Stütze und Hilfe zugleich. Sie hilft, zu unterscheiden.
Und zu guter Letzt: Eine gute Ausbildung oder Studium!
Um nicht an das Amt gefesselt zu sein, steuerbar oder gar unter Druck gesetzt zu werden, um jederzeit sich selbst treu bleiben und aussteigen zu können.
Natürlich geht es auch ohne all diese Faktoren, dann sollte man aber über eitlen Geltungsdrang und Rücksichtslosigkeit verfügen. Was sich allerdings dann daraus entwickelt, muss jeder sich selbst gegenüber be- und verantworten.
In all den Diskursen der letzten vier Jahre wird Webers Unterscheidung in Politik als Beruf deutlich: „Wir müssen uns klarmachen, dass alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann „gesinnungsethisch“ oder „verantwortungsethisch“ orientiert sein. Nicht dass Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede.“
Die Gesinnungsethik, eines „bei uns ist nie was passiert“ und deshalb müssen wir jetzt mit Druck das verteilen, was noch da ist, war mir selbst immer zuwider. Ohne den Blick in die Zukunft, im Hier und Jetzt Geschenke zu verteilen, ist für mich persönlich töricht und gefährlich.
Vielmehr wollte ich immer dem verantwortungsethischen Grundsatz gerecht werden und auch die Wirkung des eigenen Handelns in die Zukunft mit einbeziehen, u.a. deshalb hat auch der Nachhaltigkeitsbeschluss in seiner bestehenden Form grundlegende Bedeutung für die Zukunft unserer Gemeinde und dem Gestaltungsrahmen kommender Generationen.
Ich möchte mich bei allen konstruktiven und wohlgesonnenen Mitstreitern bedanken, ganz besonders bei den Heimat- und Dorfvereinen, die in beispielhafter Zusammenarbeit so viel dörfliches Leben wieder erweckt und gemeinsam Projekte in den Dörfern angeschoben haben. Besonderer Dank gilt den Kindergärten und den Erzieherinnen, die jeden Tag für die Zukunft unserer Dörfer arbeiten und mit dem ThEKiZ Hörselberg-Hainich eine großartige Begleitstruktur zur Seite bekommen haben. Ich danke auch ganz besonders den Bürgerinnen und Bürgern der schweigenden Mehrheit in unserer Gemeinde. Es war mir eine Ehre und Verantwortung, ihre Interessen bis hierher zu wahren und zu verteidigen. Im immerwährenden Streben.
All denen, die meine Freundeshände und die gemeinsame Arbeit für unsere Gemeinde so vehement zurückgewiesen haben, verweise ich auf deren Verantwortung für das Zukünftige, bedanke mich aber für jede Herausforderung, die mich stets besser gemacht hat.
Ich wünsche Ihnen allen eine frohe und segensreiche Weihnachtszeit. Kommen Sie gut und wohlbehütet in das neue Jahr 2024, was mit vielen Herausforderungen und Wahlen aufwartet. Wählen Sie bitte weise!
Auf einen letzten Gruß als Ihr Bürgermeister
Christian Blum