Roderich Böhm, der Sohn Heinrich Böhms (rechts), berichtete auch als Zeitzeuge über die Ereignisse in Mihla, hier bei einer Gedenkfeier am Gedenkstein für die hier gefallenen US-Soldaten an der Alten Post in Mihla
— Mittwoch, der 4. April in und um Mihla
Am 4. April 1945 war Mihla der einzige Werraort, indem noch deutsche Wehrmachtseinheiten standen. Erst die Umstrukturierung bei den US-Streitkräften führte dazu, dass sich diese den Nebenschauplätzen zuwandten, die ihren direkten Vorstoß in das Innere Thüringens nicht mehr bedrohten und den nachfolgenden Infanterieverbänden den Befehl erteilten, das nunmehrige Hinterland zu säubern.
Am 3. April war das 259. Infanterieregiment der 65. Division in Creuzburg angelangt.
Aus all diesem lässt sich schließen, dass Soldaten des 2. und 3. Infanteriebataillons des 259. Infanterieregimentes der 65. Division mit Unterstützung von Teilen des 691. TD Bn (Tank Destroyer Bataillon = Panzerzerstörungsbataillon) und des 748. Panzerbataillons sowie des Mechani-sierten Aufklärungstrupps (Ausrüstung mit Jeeps) der Division von Creuzburg kommend in Mihla eindrangen.
Was war seit dem 1. April geschehen?
Am Ostersonntag, dem 1. April, führten die Kämpfe um die Werraübergänge bei Spichra und Creuzburg dazu, dass der Widerstand deutscher Truppen zur Beschießung von Hörschel, Spichra und Creuzburg führte.
Die Orte wurden dabei schwer zerstört und Creuzburgs Innenstadt brannte noch am 2. April.
Noch in der Nacht zum 2. April hatten Pioniereinheiten der US-Armee zwei Pontonbrücken bei Spichra und Creuzburg gebaut, da alle Werrabrücken zerstört worden waren.
Auch starke Luftangriffe auf diese Pontons konnten nicht verhindern, dass die US-Truppen über die Werra setzten und über Krauthausen, Ütteroda und Neukirchen zur Autobahn vorstießen.
In Mihla waren auch alle Brücken gesprengt worden und die vorstoßenden Panzer kamen unter Beschuss der in Mihla stationierten Panzerjäger. Es gab auch in Mihla einige Zerstörungen. Die meisten Einwohner waren in die Hainichwälder geflohen, der Volkssturm hatte sich weitgehend aufgelöst, nachdem man vom Mihlberg aus den Untergang Creuzburgs mitansehen mussten.
Die Feuergefechte über die Werra hielten die gesamte Nacht an und bei einem Spähtruppunternehmen über die Werra in das Sandholz hinein fielen drei deutsche Soldaten, mehrere gerieten in Gefangenschaft.
Ein Vorstoß der Panzerjäger mit drei Jagdpanzern in Richtung Ütteroda in die Flanke der US. Truppen führte am Mittag des 2. Aprils zu einem Panzergefecht bei Hahnroda. Ein deutscher Panzer wurde abgeschossen, drei Panzersoldaten starben in ihrem Fahrzeug, nur Unteroffizier Röther entkam schwerverletzt.
Die deutschen Truppen blieben im Ort und hielten noch am Morgen des 4. Aprils ihre Stellungen in der Mihlaer Bahnhofstraße. Allerdings waren die kampfkräftigen Panzerfahrzeuge am Tag zuvor abgezogen worden.
Vom Lienig her, wo die US-Vorposten die Nacht verbracht hatten, näherten sich die ersten Soldaten gegen 8.00 Uhr am 4. April beidseitig der Straße dem Ortsrand von Mihla. An der Spitze fuhren wohl mehrere Fahrzeuge, vermutlich Spähpanzer vom Typ M3 (Half Truck), und auch Jeeps vom Typ „Willy“.
Während das Steinmetzgeschäft Schlothauer und auch Teile des Bahnhofs ohne auf Widerstand zu stoßen besetzt worden sind, kam der Vormarsch an der deutschen Straßensperre vor der Bahnhofeinfahrt/Haus Familie Wuth zum Stehen.
Hinter der Panzersperre lagen an diesem Morgen noch deutsche Soldaten.
Sie eröffneten das Feuer und trafen das Fahrzeug, vermutlich mit einer Panzerfaust. Denkbar wäre auch, dass der an der Eisenacher Straße stehende deutsche Jagdpanzer in das Feuer eingriff.
Das US-Fahrzeug wurde schwer getroffen, kippte um und brannte völlig aus. Die US-Soldaten erwiderten das Feuer und zogen sich, nachdem sie die Besatzung des Fahrzeuges geborgen hatten, bis hinter den Steingraben in Richtung Buchenau zurück. Zumindest der Unteroffizier John Chrostowski hatte bei diesem Angriff sein Leben verloren, ein deutscher Soldat war durch einen Kopfschuss schwer verwundet worden.
Die wenigen deutschen Soldaten gaben die Panzersperre am Bahnhof auf und zogen sich nach dem Schusswechsel auf die Stellungen an der Mihlaer Post vor der Auffahrt zur Werrabrücke zurück.
Auch zwei Pakgeschütze, einmal gegenüber dem damaligen Polizeihaus vor den Baracken (3,7cm Pak) und die schwere Pak, die an der Gartenstraße gegenüber der als Werkstatt durch die Panzerjäger genutzten Scheune der Familie Uth in einer Erdbefestigung eingegraben war, verblieben schussbereit in ihren Kampfständen.
Das war der Zeitpunkt zu dem sich Postmeister Heinrich Böhm und weitere Mihlaer, alle Mitglieder des Volkssturmes, trafen, um den US-Streitkräften entgegenzugehen, um Schlimmeres für den Ort zu verhindern.
Man beschloss, am Kirchturm erneut eine weiße Fahne in Blickrichtung Westen aufzuhängen. Böhm und einige andere Mihlaer wollten dann den vom Bahnhof her zu erwartenden US-Soldaten mit weißen Fahnen, Bettlaken, die man rasch aus den Nachbarhäusern geholt hatte, entgegengehen und die Übergabe Mihlas anbieten. Ein gefährliches Unternehmen, denn der Versuch der Kapitulation des Ortes war mit dem Kampfkommandanten nicht abgestimmt und deutsche Soldaten lauerten an verschiedenen Stellen auf die ersten US-Soldaten.
Aber zu dieser Aktion kam es zunächst nicht.
Gegen 9.30 Uhr näherte sich entlang der Bahnhofstraße ein weiteres amerikanisches Fahrzeug dem Ort.
Das Fahrzeug hatte vier Mann Besatzung, der Gefreite John H. Boysen, der Sergeant Fred H. Germain und der Leutnant Richard C. Matthis vom 259ten Infanterie-Regiment der 65sten Infanteriedivision der 3. Armee. Hinzu kam vermutlich der Oberleutnant David M. Pringle vom 867ten Feldartilleriebataillon, der wohl als Artillerieaufklärer „vor Ort“ Richtwerte für den unmittelbar bevorstehenden Beschuss von Mihla feststellen sollte.
Gegen 10.00 Uhr erreichte das amerikanische Aufklärungsfahrzeug, vom Bahnhof herkommend, die Kreuzung vor der Mihlaer Werrabrücke.
Hier war auf der Zufahrt zur Brücke eine Panzersperre angelegt, so dass der Jeep halten musste.
Gleichzeitig, so berichten Mihlaer Zeitzeugen, kamen einige der vor der alten Post (westlich des Postgebäudes gab es 1945 keinerlei weitere Bebauung, so dass die dort angelegten Stellungen direkt im Ackerland lagen) in Stellung liegenden deutschen Soldaten aus ihren Schützenlöchern heraus, um sich den Amerikanern zu ergeben. Mit erhobenen Händen gingen sie auf das US-Fahrzeug zu.
Im Gebäude der „Goldenen Aue“ hatte sich auch eine Gruppe deutscher Soldaten eingenistet. Das Gebäude in einer Kurve der Bahnhofstraße beherrschte geradezu die Auffahrt der Werrabrücke.
Vermutlich wurde von dort auf die Jeep-Besatzung geschossen. Dieses Feuer erwiderten die US-Soldaten, vermutlich mit dem auf dem Jeep montierten Maschinengewehr.
Kugeleinschläge waren noch lange Zeit an den Eingangspfosten des Hauses der Familie Möbius gleich gegenüber der „Goldenen Aue“ zu sehen.
In diesem Moment eröffnete die deutsche Pak40 aus ihrer Stellung in der heutigen Gartenstraße heraus das Feuer auf das Spähfahrzeug.
Dieses versuchte im Rückwärtsgang aus der Gefahr zu entkommen, doch eine der ersten Granaten traf und führte zu einer inneren Explosion. Alle vier US-Soldaten wurden auf der Stelle getötet.
Nach dem Beschuss flohen die deutschen Soldaten und auch die Pak wurde mit einem Fahrzeug aus der Stellung abgezogen, während die 3,7cm Pak, die vor dem Polizeihaus in der Feldstraße stand und von der viele Mihlaer glaubten, aus ihr wären die tödlichen Schüsse gefallen, stehen blieb.
In diese schreckliche Lücke stießen nun die mutigen Mihlaer um Heinrich Böhm, die an den abgeschossenen Fahrzeugen und den Toten vorbei mit weißen Fahnen den US-Soldaten entgegengingen. Kein Zweifel, nach diesen Verlusten mussten sie mit dem Schlimmsten rechnen!
Auf der Höhe des früheren Baugeschäftes Schlothauer stießen die Parlamentäre schließlich auf eine Gruppe amerikanischer Soldaten, die, ihre Waffen im Anschlag, auf beiden Straßenseiten langsam auf Mihla vorrückten. Im Hintergrund standen Panzer zum Eingreifen bereit.
Die US-Soldaten benutzten, ohne dass es zu Gesprächen gekommen war, die Mihlaer als lebende Schutzschilder und trieben sie mit Kolbenstößen vor sich her in Richtung Mihla.
Mit Unterstützung des Lehrers Walter Baumbach, der die englische Sprache beherrschte, gelang es, den amerikanischen Offizieren klar zu machen, dass Mihla feindfrei sei und die Bevölkerung den Ort übergeben wolle.
Gegen Mittag des 4. April war es dann soweit.
Amerikanische Panzerfahrzeuge rückten in Mihla ein, Infanterie besetzte alle wichtigen Gebäude und richtete Stellungen an den Straßenkreuzungen ein.
Mihla war gerettet, der Preis war jedoch hoch. Mindestens fünf US-Soldaten und sieben Angehörige der Wehrmacht waren gefallen, Dutzende verwundet.
Die Sinnlosigkeit des Krieges und Gehorsam, Fanatismus und Glaube an das verbrecherische NS-System hatte seine furchtbaren Spuren hinterlassen.
Rainer Lämmerhirt