Der stellvertretende Nationalparkleiter Rüdiger Biehl, Projektleiterin "Wilde Weide" in der Nationalpark-Verwaltung Madlen Schellenberg und Anke Trautmann von der Gemeinde Hörselberg-Hainich (r.) schneiden das rote Band zur Eröffnung des Aussichtsturmes Wilde Weide durch.
Die Besucherinnen und Besucher des Nationalparks Hainich dürfen sich über ein neues Wandererlebnis freuen! In den letzten Jahren wurden im südlichen Nationalpark, im Bereich des sogenannten Kindel, Weideprojekte etabliert, die nun für unsere Gäste erlebbar gemacht wurden.
Ein Beobachtungsturm, kreativ von der Firma Künstlerische Holzgestaltung Bergmann GmbH gestaltet, ermöglicht einen Rundumblick auf die Weiden von Rindern und Pferden sowie Schafen und Ziegen, zu den Buchenwäldern im nördlichen Nationalpark, zum Thüringer Wald und der Wartburg. Der eigentliche Erlebnispfad Wilde Weide richtet sich mit zahlreichen Sitzmöglichkeiten und Erlebnisstationen insbesondere an Familien mit kleinen Kindern und Menschen, die eine kleine Runde laufen möchten. Beides wurde am 29. April, pünktlich vor dem ersten Mai, vor Christi Himmelfahrt und Pfingsten, mit einer Eröffnungsveranstaltung der Öffentlichkeit übergeben.
„Ich freue mich sehr, dass wir mit dem neu entstandenen Erlebnispfad Wilde Weide, dem Aussichtsturm und auch dem mit Informationstafeln und Sitzmöglichkeiten aufgewerteten Nachtigallenweg am Kindel unseren Gästen eine ganz andere Seite des Nationalparks, das Offenland, präsentieren können“, so der stellvertretende Nationalparkleiter Rüdiger Biehl.
Als Buchenwald-Nationalpark mit UNESCO-Welterbetitel ist der Nationalpark über die Grenzen Thüringens und Deutschlands hinaus bekannt. Doch die Flächen ohne Wald beherbergen ebenfalls thüringen-, deutschland- und europaweit selten gewordenen Lebensraum und sind Heimat für zum Teil vom Aussterben bedrohte Tierarten. Daher sind sie Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes NATURA 2000. Für deren Schutz und Erhalt trägt die Nationalpark-Verwaltung Verantwortung und hat daher Wilde Weide-Projekte auf einer Fläche von mehreren hundert Hektar etabliert. Weidetiere sorgen nun dafür, dass die Flächen ihren Offenlandcharakter behalten.
Wo Menschen und Weidetiere wie auch zahlreiche sehr störanfällige, scheue Wildtierarten zusammenkommen, sind für ein gutes Nebeneinander einige Regeln einzuhalten:
| - | Besucherinnen und Besucher werden ausdrücklich gebeten, auf den ausgewiesenen Wegen zu bleiben. |
| - | Hunde dürfen wie im gesamten Nationalpark nur angeleint mitwandern. |
| - | Die Weidetiere dürfen weder angelockt noch gefüttert werden. Es besteht die Gefahr von Koliken! |
Der Erlebnispfad Wilde Weide startet ebenso wie der drei Kilometer lange Nachtigallenweg vom Wanderparkplatz Kindel. Dieser befindet sich an der B84 zwischen Behringen und Großenlupnitz.
Der Hainichbus (Linie 150) verkehrt wochentags und am Wochenende regelmäßig zwischen Eisenach und Bad Langensalza und hält direkt am Wanderparkplatz.
Kenndaten
| Länge Erlebnispfad Wilde Weide: | — 600 m |
| Ausstattung des Erlebnispfades (in der Reihenfolge): | |
| Strauchwildnis (Kletterelement) | — Ruhestation Rind |
| Aussichtsturm Wilde Weide mit Sitzraufen |
| Schleusentor auf die Schaf-Ziegenweide |
| Ruhestation Ziege |
| Besuchertor zum Verlassen der Weidefläche |
| Ruhestation Metamorphose |
| Infopavillon |
| Baukosten Erlebnispfad inkl. Turm: | — 200.000 Euro |
| Höhe des Aussichtsturms: | — 9,5 m |
| Beauftragte Firma: | Künstlerische Holzgestaltung Bergmann GmbH |
Hintergrund NATURA 2000
Der Nationalpark Hainich verfolgt seit seiner Gründung das Ziel, den Südteil des Hainich von menschlichen Einflüssen weitgehend freizuhalten und die laufenden natürlichen Prozesse zu sichern (Prozessschutz). Durch die Meldung des Nationalparks als Teil des gleichnamigen Flora-Fauna-Habitat (FFH)- und Vogelschutzgebietes (SPA) besteht zudem die europarechtliche Verpflichtung, die im Nationalpark vorkommenden Lebensraumtypen (LRT) und Arten gemäß Anhang I und II der FFH-Richtlinie sowie Vogelarten gemäß Anhang I bzw. gemäß Art. 4 Abs. 2 der
Vogelschutzrichtlinie in einem günstigen Erhaltungszustand zu sichern. Bei den nutzungsabhängigen Lebensraumtypen (LRT) und Arten ergibt sich folglich ein Zielkonflikt. Als Lösung dieses Zielkonfliktes wurde die Grundsatzentscheidung getroffen, dass künftig rund 10 % der Nationalpark-Fläche als Offenland erhalten werden sollen, um hier die sich aus den Natura 2000-Vorgaben ergebenden Verpflichtungen zu realisieren. Dafür wurde nun ein entsprechendes Beweidungsmanagement etabliert.
prioritäre Zielarten und Ziel-LRT sind:
Gelbbauchunke (Bombina variegata):
FFH-RL Anh. II, Rote Liste Deutschland: 2, Rote Liste Thüringen: 1
Skabiosen-Scheckenfalter (Euphydryas aurinia) FFH-RL Anh. II, RLD: 2, RLT: 2
Nördlicher Kammmolch (Triturus vulgaris) FFH-RL Anh. II, RLD: V, RLT: 3
Europäischer Laubfrosch (Hyla arborea) FFH-RL Anh. IV, RLD: 3, RLT: 3
LRT 6210 Kalk-(Halb-)Trockenrasen FFH-RL Anh. I
LRT 6510 Magere Flachland-Mähwiese FFH-RL Anh. I
weitere Zielarten und Ziel-LRT:
Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria) VS-RL Anh. I, RLD: 3, RLT: 3
Neuntöter (Lanius collurio) VS-RL Anh. I
Raubwürger (Lanius excubitor) VS-RL Art. 4 (2), RLD: 2, RLT: 1
Wiesenpieper (Anthus pratensis) VS-RL Art. 4 (2), RLD: 2, RLT: 3
Zauneidechse (Lacerta agilis) FFH-RL Anh. IV, RLD: V
Große Moosjungfer (Leucorrhinia pectoralis) FFH-RL Anh. II, RLD: 3, RLT: 2
Schmale Windelschnecke (Vertigo augustior) FFH-RL Anh. II, RLD: 3, RLT: 2
LRT 3150 Natürliche und naturnahe nährstoffreiche Stillgewässer FFH-RL Anh. I
Die Bestände der Gelbbauchunke (Bombina variegata) und des Skabiosen-Scheckenfalters (Euphydryas aurinia) haben in den letzten Jahrzehnten deutschlandweit drastisch abgenommen.
Beide Arten werden auf der Roten Liste Deutschlands als „stark gefährdet“ geführt und sind als Arten des Anhangs II der FFH-RL „Arten von gemeinschaftlichem Interesse“. In Thüringen und bundesweit werden die Erhaltungszustände der Vorkommen beider Arten als „ungünstig - schlecht“ eingeschätzt. Beiden Arten wurde zudem im „Prioritätenkonzept für FFH-Schutzgüter in Thüringen“ die höchste Handlungspriorität zugeordnet. Da der Nationalpark thüringenweit vergleichsweise große Vorkommen der Gelbbauchunke und des Skabiosen-Scheckenfalters beherbergt, trägt er für beide Arten eine besondere Verantwortung zur Sicherung bzw. Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustands. Die Vorkommen beider Arten im Nationalpark sind zudem wichtige Quellpopulationen, die zur Besiedelung von neu entwickelten Habitaten im Umfeld dienen sollen.
Finanziert werden die Projekte zum einen über das Programm „Förderung von Vorhaben zur Entwicklung von Natur und Landschaft“ (ENL) aus dem Europäischen Fond für Regionale Entwicklung (EFRE). Hier investieren Europa und der Freistaat Thüringen in die ländlichen Gebiete. Zum anderen über das Projekt „Eine Zukunft für den Skabiosen-Scheckenfalter in Thüringen“, finanziert durch den Sonderfond Insektenschutz in Thüringen, aus Mitteln des Freistaats sowie Bundesmitteln. Projektträger ist hier die Naturforschende Gesellschaft Altenburg e.V., mit der eine Kooperation zur Umsetzung von Maßnahmen zur Erhaltung des Skabiosen-Scheckenfalters besteht.
Cornelia Otto-Albers
Pressesprecherin