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Werratal Bote Mitteilungsblatt der VG Hainich-Werratal und Stadt Treffurt
Ausgabe 45/2024
Amt Creuzburg
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Historisches

Die Belegschaft der Firma Werstedt bei Kirchners am Anger.

Mit der Ablösung der Lehnverhältnisse und mit der Durchführung der Separation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die wichtigsten Schritte erfolgt, die zur Umwandlung des Bauerndorfes Mihla in ein Industriearbeiterdorf führten. Noch aber fehlten die dafür maßgeblichen Fabriken.

Bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts gab es außer der bereits genannten Wachstuchfabrik und einer Leinenfabrik, die beide mit nur wenigen Beschäftigten und zudem nur kurzzeitig existierten, keinerlei Industrie im Ort.

Lediglich eine Ziegelhütte (Besitzer Baumbach, Flurname „In der Ziegelhütten") arbeitete für den Bedarf im Ort.

Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts setzte sich die bereits in den benachbarten Orten und im Eichsfeld beheimatete Zigarrenindustrie auch in Mihla fest. Ohne Vorläufer zu haben, war dieser Industriezweig typisch für jene Gebiete, die abseits industrieller Zentren lagen.

Hier gab es genügend Arbeitskräfte, die mit wesentlich geringeren Löhnen als in den Industriezentren zufrieden waren.

Am 10.7.1864 ließen die Mihlaer Justinius Wiener und Gottfried liiert die erste Zigarrenfabrik in das Handelsregister eintragen. Justinius Wiener sah darin eine Möglichkeit, rasche Gewinne zu machen. Nachdem er bereits 1851 einen wirtschaftlichen Ruin hatte durchmachen müssen, sollte er diesmal auf die richtige Karte gesetzt haben. 1867 übernahm er noch eine Feuerversicherungsagentur im Ort, sodass sein Geschäft bald guten Gewinn abwarf.

Dem Beispiel der ersten Mihlaer Zigarrenfabrikanten folgten bald weitere.

Eisenacher, Treffurter, Mühlhäuser und später auch Firmen aus Kassel und Bremen ließen Zweigfilialen einrichten.

1880 arbeiteten die Firmen H. Eisenhardt (Treffurt) und Fr. Riedel (Mühlhausen) im Ort.

Schon wenig später entstanden weitere Fabriken. Viele Versuche, meist nur mit den Mitgliedern der eigenen Familie begonnen, gingen schon bald wieder ein; einige jedoch hatten Bestand.

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges arbeiteten zeitweise bis zu 15 Fabriken unterschiedlichster Größe.

Um 1880 entstand auf dem Pfarrmünster die Fabrik der Firma Schrader & Co. Sie entwickelte sich in den nachfolgenden Jahren zur größten Mihlaer Zigarrenfabrik. Der bei Schrader angestellte Zigarrenmeister Johann Adam Lämmerhirt machte sich noch 1880 selbständig und begründete eine eigene kleine Fabrik (Gebäude der „Darlehenskasse").

1898 richtete der Unternehmer Adler in den Nebengebäuden des Bauernhauses Quehl eine weitere Fabrik ein. Die Gebäude der Fabrik (später Wehrstädt) sind noch heute erhalten.

Weitere Zigarrenfabriken entstanden.

So die Fabriken Pook (Karl-Marx-Platz) und Münsterstraße (später Schmidt, Begründer ebenfalls Pook), Triebel (neben dem Hölzerkopfhaus), Böhnhardt (Reiß), die Firmen Landmann und Brinkmann.

Um die Jahrhundertwende hatte das größte Unternehmen, Schrader, bereits über 100 Personen, vor allem Frauen, beschäftigt.

Wie sahen die Arbeitsbedingungen aus?

Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 55 bis 60 Stunden lag der Verdienst bei durchschnittlich 7 Mark, Frauen verdienten weniger, etwa 5 Mark.

Dieser Hungerlohn, der den Fabrikbesitzern großen Verdienst brachte, reichte kaum zum Leben und so wurde sehr oft in Heimarbeit zusätzlich die gesamte Familie beschäftigt. Für einen aufgearbeiteten Tragkorb erhielt man weitere 50 Pfennige.

Zu diesen äußerst harten Lohnbedingungen kamen die schlechten bautechnischen Verhältnisse in den sogenannten „Fabriken". Zunächst hatte man in den Anfangsjahren Nebengebäude, vor allem leerstehende Scheunen in den Bauernhöfen, gemietet und notdürftig eingerichtet.

Es gab daher kaum sanitäre Einrichtungen, die Räume waren eng und schlecht belüftet und belichtet sowie immer feucht. Schon nach kurzer Zeit machte sich die Tuberkulose unter den Mihlaer Tabakarbeitern breit.

Erst in unserem Jahrhundert wurden dann die zum Teil bis heute erhaltenen größeren Fabrikgebäude erbaut.

Die Tabakarbeiter wurden von der bäuerlichen Bevölkerung lange Zeit als „Hungerleider" verschrien. Davon kündet auch ein in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts von besagtem Justinius Wiener verfasstes 84strophiges Gedicht über Mihla „Mihla ist ein groß Revier..."

Erst in der vorletzten Strophe kommt Wiener auf die Tabakarbeiter zu sprechen und tut dies in dem üblichen verhöhnenden Ton:

„Zuletzt sei noch gedacht der Leut,

die Zigarren machen allezeit.

Mancher, mancher arme Held

verdient damit sein schönes Geld“.

Wichtige Zigarrenfabriken in Mihla befanden sich:

-

Fabrik Eisenhardt/Riedel

in der “Ziegelhütten”

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Fabrik Schrader und Co.

Auf dem Pfarrmünster

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Fabrik Lämmerhirt

in der “Darlehenskasse”

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Fabrik Adler/Reiß

bei Quehl, Am Anger

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Fabrik Pook

auf dem “Kleinen Markt”

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Fabrik Schmidt

in der Münsterstraße

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Fabrik Triebel

beim “Hölzerkopfhaus”

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Fabrik Werstedt

bei Kirchner am Anger

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Fabrik Nickol

in der Münsterstraße,

spätere “Konsum”

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Fabrik Reiß

bei Steinhäuser,

“Kleiner Markt”.

Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts hielten sich einige dieser Betriebe in Mihla, dann fielen die letzten der Zigarettenindustrie zum Opfer.

Ortschronist Mihla