Teil 2
von Wolf-Marcus Haupt
2025 jährt sich der Bauernkrieg zum 500sten Mal. Vor acht Jahren wurde der Beginn der Reformation gefeiert, eine Zeit, die zu zahlreichen Umbrüchen geführt hat. Hier wären die Wiedertäufer, die Bilderstürmer und die Bauernkrieger zu nennen. Zahlreiche Bürger der Region haben sich diesen Bewegungen angeschlossen und waren teilweise sogar ihre Anführer. Ein Ereignis, das heute fast vergesssen ist, war der "Creuzburger Kirchenstreit". Im Mittelpunkt des Konfliktes standen der Pfarrer Georg Spenlein, der sächsische Amtmann Georg v. Harstall und die Creuzburger Bürgerschaft, der mit der Vertreibung Spenleins im Jahr 1543 endete. Anlass des Streites waren beleidigende Aussagen Spenleins über einzelne Creuzburger Bürger und Zünfte. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Neubesetzung der "Creuzburger Pfarre" im Jahr 1529 und die Ursachen des "Creuzburger Kirchenstreits". Es sei in diesem aktuellen Zusammenhang an die 12 Artikel der Bauernkrieger von 1525 erinnert. Besonder Artikel 1 beschäftigt sich mit der Ein- und Absetzung von Pfarrern. Im Gegensatz zu Luther beanspruchten die Aufständischen auch das Recht für sich, Pastoren und Geistliche wieder absetzen zu können.
Spenlein kommt nach Creuzburg
Auf der Grundlage des Briefwechsels zwischen Melanchthon und Myconius lassen sich folgende Abläufe skizzieren. Es lässt sich schlussfolgern, dass der damals amtierende Creuzburger Pfarrer Simon Neige durch die im Jahr 1528 durchgeführte Visitation abgesetzt worden ist. Ende 1528 ist die Creuzburger Pfarrstelle noch nicht besetzt. Im Dezember 1528 schreibt Melanchthon von Eisenach aus an Myconius in Gotha: „[2] Da der als Pfarrer von [Großen]lupnitz vorgesehene Prediger von Creuzburg [NN] noch nicht dort ist, soll Myc. mit Brief an den Schösser [= Schultheiß] von Eisenach [Hans Bahner] zu den Feiertagen den David [NN] oder einen anderen [Kaplan] entsenden.“17
In den Anmerkungen ist dann zu lesen, dass Melanchthon sofort einen Pfarrer für Creuzburg gesucht hat. Im Mai/Juni 1529 ist Spenlein eindeutig in Creuzburg zu verorten, was durch einen Brief Melanchthons an Myconius vom Mai 1529 aus Wittenberg belegt werden kann:
„Sofort nach seiner Rückkehr [am 14. Mai] besorgte M. den Überbringer Georg [Spenlein] als Pfarrer für Creuzburg. Myc. soll den Amtsvorgänger Simon [Neige] zum Auszug, den Rat von Creuzburg zur Einweisung Georgs in Haus und Amt veranlassen. Luther ist wohlauf; neulich wurde seine Tochter [Magdalena] geboren. Myc. soll wegen Eisenach schreiben und Georg die Reisekosten erstatten lassen.“18
Eine wichtige Rolle im „Creuzburger Kirchenstreit“ haben die Visitatoren gespielt. Als Visitatoren werden zu dieser Zeit hauptsächlich Christoph von der Planitz, Friedrich Myconius und Justus Menius genannt. Im Verlauf des Konfliktes ist nur noch von Myconius und Menius die Rede. Aufgabe der Visitatoren war die Überprüfung der jeweiligen kirchlichen Verhältnisse direkt vor Ort.
Das umfasste die Amtsausübung der Geistlichen sowie die finanzielle und materielle Ausstattung der Kirchen. In der nachreformatorischen Zeit spielten die Visitationen eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der „neuen Lehre“ und ermöglichten auch eine Neustrukturierung einzelner Gemeinden. Visitationen waren schon immer an der Tagesordnung. Die erste größere Visitation in der Region wurde durch den Eisenacher Prediger Dr. Jakob Strauß im Jahr 1525 durchgeführt. Im Ernestinischen Gesamtarchiv ist ein Brief und Befehl Herzog Johanns von Sachsen aufbewahrt, dem zur Visitation in die Ämter Wartburg, Hausbreitenbach, Salzungen, Creuzburg und Gerstungen abgeordneten Dr. Jakob Strauß, Prediger zu Eisenach, Gehorsam zu leisten.19 Im Brief wird dann von falschen Predigern unter den guten berichtet, die eine „falsche Lehre“ unter das Volk bringen wollen.
Über die Lage vieler Gemeinden entsetzt, veröffentlichte Philipp Melanchthon im Jahr 1528 sein Werk „Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherren im Kurfürstentum Sachsen“ mit einem Vorwort Martin Luthers.20
An der nächsten größeren Visitation in Kursachsen im Jahr 1528/1529 waren federführend Justus Menius und Friedrich Myconius beteiligt, die Spenlein später teilweise in Schutz genommen haben.
Über Georg Spenleins frühe Jahre in Creuzburg ist nicht viel bekannt. Im Ernestinischen Gesamtarchiv befindet sich ein Gesuch Georg Spenleins um Verbesserung seines Unterhalts, was sicherlich auch ein Bild auf die finanzielle Situation der Pfarrer in der Reformationszeit wirft.21
Der „Creuzburger Kirchenstreit“ eskaliert
Wann der Streit zwischen Spenlein und den Bürgern Creuzburgs und den Creuzburger Zünften eskaliert ist, lässt sich zeitlich nur ungefähr einordnen. Aber es scheint ein längerfristiger Konflikt gewesen zu sein. Einen ersten Hinweis finden wir im Schreiben des Creuzburger Bürgermeisters Asmus (bei Braasch auch Asmussen)22 an den Amtmann Georg v. Harstall aus dem Jahr 1542. Hier scheint aber der Konflikt schon seit vier oder fünf Jahren bestanden zu haben. Am 26.09.1542 beschwert er sich über Beleidigungen Creuzburger Bürger durch Spenlein. Asmus, der auch Mitglied der Bäckerzunft war, wollte sich mit Spenlein versöhnen. Dieser war aber unnachgiebig, und hat ihm vorgeworfen, dass er der Schlimmste (allerärgste) und der Anführer der Rädelsführer (Capitäner) wäre, und er solle jenen gehorchen, die schreiben und lesen können.23
V. Harstall hat diesen Beschwerdebrief mit einem Schreiben des Schultheißen (Michael Schelhaß, bei Braasch Schelhase, S. 240 der Pfefferkorn Ahnenliste) und einem Begleitbrief an Justus Menius geschickt. Der antwortet am 29. September 1542, dass sich die Creuzburger an den Kurfürsten (Johann Friedrich I. von Sachsen) wenden sollen. Da der Kurfürst nicht geantwortet hat, schrieben Amtmann Jorge (Georg) v. Harstall, Schultheiß Michael Schelhaß und der Rat zu Creuzburg an die Visitatoren des Landes Thüringen, dass sich Spenlein nicht gebessert habe und „dass er seit einiger Zeit sich derselbigen ungeschickten Weise wiederumb unterfangen“24.
Die Creuzburger Bürgerschaft hatte drei Bewerber für eine Neubesetzung vorgeschlagen, Magistrum Petrum Fuldner (oder auch Füldner oder Fuldener)25, Pfarrherr zu Waltershausen, Konrad Butzbach aus Gerstungen und Johann Wißenn aus Eisenach.
Wie muss man sich damalige Predigten, offensichtlich der Anlass des Konfliktes, vorstellen? Ein wesentlicher Unterschied zu heutigen Predigten war, wie schon angedeutet, die Ausübung des „Strafamtes“. So war es damals üblich und durchaus im Sinne Luthers, die „Sünden“ Einzelner oder von Gruppen wie z.B Zünften, namentlich vorzutragen. Auseinandersetzungen zwischen dem Pfarrer und der Bürgerschaft waren so unausweichlich.
Die Anfangszeit der Reformation hat in vielen Aspekten zu anarchischen Verhältnissen geführt und viele selbsternannte Prediger, wie die Wiedertäufer, hervorgebracht. Selbst wenn man die damalige Sprache mit der heutigen nicht vergleichen kann (siehe auch Zitate von Martin Luther), scheint Spenlein sein „Strafamt“ sehr dogmatisch interpretiert zu haben und er fühlte sich vom reformatorischen Glauben „beseelt“. Dass wir uns ein besseres Bild von der Wortwahl Spenleins und den Ursachen des „Creuzburger Kirchenstreits“ machen können, haben wir Carl August Hugo Burkhardt zu verdanken, der 1866 die Briefe Luthers kommentiert hat.
Burkhardt schreibt: „Besonders in diesem Jahr hatte Spenlein die Geißel gegen das unordentliche Leben Einzelner geschwungen, und sich Ausdrücke erlaubt, die allerdings selbst gegenüber den rauen Sitten jener Zeit zu stark gewesen sein mögen. So enthielt er sich nicht, die Büchsenschützen, die wegen spätangesetzer Kinderlehre des Sonntags (die Kirche nicht besuchten, weil sie sonst) nicht zum Schießen kommen konnten, und spät noch zechten, mit dem Namen „lange schecher, diebe und verrätherische Bösewichter“ zu delegen (belegen). Er hat in der Predigt „Das Lot (Blei) möchte „hinden zur Buchsen ausfahren und inen maul, nassen und kopf abschießen“, und so solches nicht geschehe, „dass sie gehenden Todes sterben möchten“. Es gab ein ganzes Register solcher Aeußerungen, weshalb sich der Rath veranlaßt sah, den Prediger zu entfernen und um Bestellung eines anderen zu bitten.“26
Spenlein soll Creuzburg verlassen
Es war Luthers Plan, Spenlein nach Gräfenhainichen zu schicken, weil dort die Pfarrstelle unbesetzt war. Am 23. Januar 1543 schreiben Luther und Bugenhagen an die Amtsverweser und den Rat zu Gräfenhainichen.
„Melden Georg Spenlein an, der sich erkundigen will, wie es mit der Pfarre dort steht.“27„Jetzt wollte sich also Spenlein an Ort und Stelle nach den Verhältnissen erkundigen. Er scheint keinen günstigen Eindruck gewonnen zu haben. Vor allem änderte Luther seinen Plan und hieß Spenlein nach Creuzburg zurückkehren und den dorten „Centaurn“ trotzen (Melanchthon an Myconius 29. Januar 1543, CR5, 25).“28
Vorausgegangen war das Schreiben Luthers an Georg v. Harstall vom 27. Januar 1543, in dem er sich entschieden hat, Spenlein nach Creuzburg zurückzuschicken.
„[1] Obwohl M. den Georg [Spenlein] gern in seiner Nähe [in Gräfenhainichen] wüßte, heißt er Luthers Entscheidung gut, der ihn zum Zeichen, dass man die willkürliche Vertreibung der Pfarrer durch den Adel [Amtmann Georg v. Harstall] nicht hinnehme, nach [Creuzburg] zurückschickte [WA B, 10, Band, S. 252 bis 258, Briefnummer 3844]. Dies entspricht zwar der Intention des Kf. [Johann Friedrich von Sachsen], jedoch leider nicht der seiner Hofräte. M. ist so erschöpft, dass er sich eine andere Stelle suchen würde, wenn er nicht zu alt wäre.“29
Martin Luther schreibt an Georg v. Harstall
Neben Melanchthons Briefwechsel ist das zentrale Dokument des „Creuzburger Kirchenstreits“ der erwähnte Brief Luthers an Georg v. Harstall vom 27. Januar 1543. Das Schreiben und die Interpretationen sind u.a. auch der Grund, warum dieser Konflikt weit über Creuzburgs Grenzen bekannt geworden ist.
Der Originalbrief befindet sich im Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv unter folgender Nummer: Reg. LI 109, Bl.18r-20v und in weiteren Ausgaben.30
Es war, wie bereits dargestellt, eine zentrale Frage der Reformationszeit, ob man den Gemeinden und Städten das Recht zugestehen soll, ihren Pfarrer nicht nur selbst zu bestimmen, sondern auch die Möglichkeit einzuräumen, ihren Pfarrer abzusetzen.
Luther, der die Versetzung Spenleins erst gutgeheißen hatte, weil er sich im „Ton vergriffen hätte“, änderte im Januar 1543 seine Meinung, was auch im Brief Luthers an Georg v. Harstall deutlich zum Ausdruck kommt. Erst im Januar 1543 erreichte ihn ein Gutachten von Myconius und Menius bezüglich Spenleins, „dass er sich nicht im Ton vergriffen“ und ihm hinsichtlich Lehre und Lebenswandel kein Vorwurf zu machen sei.
Hier Auszüge aus diesem Brief. Eine durchweg einheitliche Übersetzung des Briefes, konnte ich in den verschiedenen Veröffentlichungen nicht feststellen. Deshalb beschränke ich mich auf die 1904 in St. Louis erschienene revidierte Ausgabe von Walch:
Nr. 2990, Wittenberg, 27. Januar 1543
„An Georg von Harstall, Amtmann und den Bürgermeister und Rath zu Creuzburg. Daß man Seelsorger darum, daß sie öffentliche Laster strafen, nicht absetzen soll.
Gnad und Fried im Herrn, Gestrenger, Weise, liebe Herren, gute Freunde! Ich hab ohnlängst an euch, Hauptmann, geschrieben und gebeten, dass ihr euren Pfarrherrn wolltet in der Güte von euch kommen lassen. Denn ich die Sachen nicht anders vernommen, als hätte er sich vergriffen, und von den Visitatoribus abgesetzt wäre. Nun werde ich von den Visitatoribus berichtet, dass er sich nicht vergriffen, sie ihn auch nicht entsetzt, noch entsetzt haben wollen, sondern ihm Zeugnis geben, dass er reiner Lehre und unsträflichen Lebens sei, allein solltet ihr einen Gram auf ihn geworfen haben, dass er die Laster hart gestraft hat, darum ihr vorhättet ihn wegzudringen. Daraus ich merk, dass hie der Teufel gern wollt Unglück anrichten, und euch in großen Schaden führen, das mich beweget, diese Schrift an euch zu thun, und bitte ganz freundlich, wolltet sie gütlich (wie ich`s treulich meine) zu eurem Besten annehmen. […] Sind doch wohl andere Wege zu finden. Wer den Pfarrherrn nicht hören will, dem stehet die Kirchenthür offen. […] Endlich, das rath ich in Christo, vertragt euch mit eurem Pfarrherrn und lebt friedlich mit ihm: lasset ihn strafen, lehren, trösten, wie es ihm von Gott befohlen ist, und auf seinem Gewissen liegt;“31
Luther bezieht mit diesem Brief eindeutig Stellung und spricht sich gegen die willkürliche Absetzung von Pfarrern ohne Verfahren aus. V. Harstall und Spenlein beschuldigen sich später gegenseitig, den Brief öffentlich gemacht zu haben, so dass Kopien sogar auf dem Reichstag in Nürnberg diskutiert worden sind.
Georg v. Harstall erklärt später in einem Verhör, dass er durch den Brief drei Nächte nicht schlafen konnte und er „den schwindel davon bekommen.“32
Spenlein scheint tatsächlich nach Creuzburg zurückgekehrt zu sein, was durch den weiteren Verlauf des Streits bestätigt werden kann.
Fußnoten
| 17 | MBW 779. |
| 18 | MBW 687. |
| 19 | https://staatsarchive.thulb.uni-jena.de/receive/stat_showcase_00000016 abgerufen am 11.01.2025 20 https://collections.thulb.uni-jena.de/receive/HisBest_cbu_00031072 abgerufen am 11.01.2025 |
| 21 | https://www.archive-inthueringen.de/de/findbuch/view/bestand/24626/systematik/145208/archivgut/3665359/searchall/spenleinabgerufen am 11.01.2025. |
| 22 | Braasch, Ernst-Otto; Ahnenliste Pfefferkorn, in: Hessische Ahnenlisten, Heft 5, Neustadt/Aisch, 1997, S. 421. |
| 23 | vgl. WA B, 10. Band, 1947, S. 253 ff. |
| 24 | ebenda, 1947, S. 253. |
| 25 | vgl. Thüringer Pfarrerbuch, 3. Band: Großherzogtum Sachsen (-Weimar-Eisenach), Landesteil Eisenach, (Schriftenreihe der Stiftung Stoye - 35. Band), bearbeitet von Bernhard Möller, Neustadt/Aisch, 2000, S. 253. |
| 26 | vgl. Dr. Martin Luthers Briefwechsel mit vielen unbekannten Briefen und unter vorzüglicher Berücksichtigung der de Wette'schen Ausgabe, hrsg. von Carl August Hugo Burkhardt, Leipzig, 1866, S. 421 und Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften, Neue revidirte Stereotypausgabe, 21. Band, 2. Teil, hrsg. von Joh. Georg Walch, St. Louis, 1904, S. 2835-2836. |
| 27 | vgl. WAB, 10. Band, 1947, S. 246. |
| 28 | ebenda, 1947, S. 247. |
| 29 | MBW 3155. |
| 30 | Die Signatur wird auch in der WA B, 10. Band, Weimar, 1947, S. 255 angegeben und entspricht der aktuellen Auskunft des Staatsarchives Weimar. Das deckt sich nicht mit dem Fundort bei: Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften, Neue revidirte Stereotypausgabe, 21. Band, 2. Teil, hrsg. von Joh. Georg Walch, St. Louis, 1904, S. 2835. Dort wird als Fundort noch die Signatur-Nummer (Reg. Ll., pag. 39, Nr. 32.1.) erwähnt und scheint zu einem früheren Zeitpunkt überliefert worden sein. |
| 31 | Martin Luthers Sämmtliche Schriften, Neue revidirte Stereotypausgabe, 21. Band, 2. Teil, hrsg. von Joh. Georg Walch, St. Louis, 1904, S. 2835-2840. |
| 32 | Kohlschmidt, Rudolf: Luther in Creuzburg, in: Blätter für Heimatkunde, Beilage der Mitteldeutschen Zeitung, Jahrgang 1929, Nr. 7, Erfurt, S. 26. |
-Fortsetzung folgt-