Brief Martin Luthers an Georg v. Harstall, 27. Januar 1543, Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Ll 109, Bl. 18r-20v.
Teil 3/Schluss
von Wolf-Marcus Haupt
Teil 3 beschäftigt sich mit dem weiteren Verlauf des "Creuzburger Kirchenstreits". Sämtliche Einigungsversuche waren gescheitert und Spenlein musste sich in Eisenach vor dem Superintendenten Menius und weiteren Würdenträgern verantworten. Spenlein hat Creuzburg Ende 1543 in Richtung Arnstadt verlassen und Konrad Butzbach aus Gerstungen hat die Pfarrerstelle übernommen. Nach seinem Tod im Jahr 1549 kam Michael Schultheiß, der Vater von Michael Prätorius, zum ersten Mal nach Creuzburg.
Georg Spenlein muss sich verantworten
Eine weitere Zuspitzung des Konfliktes entnehmen wir dem Schreiben von Friedrich Myconius an Melanchthon in Wittenberg vom 26. März 1543:
„[6] Myc. hat den Creuzburger [Pfarrer Georg] Spenlein [⇨ 3155] zu sich bestellt; er ist über die Creuzburger, vor allem [den Amtmann Georg v. Harstall], empört und vergleicht sie mit denen von Kahla, die Philipp [Schmidt] vertrieben haben [⇨ 3080] und jetzt Thomas [Naogeorgus] ertragen müssen.“33
In der Zwischenzeit ist Harstall nach Wittenberg gereist und hat Luther besucht, wie einem Schreiben von Luther (aus Wittenberg) an Menius vom 8. Mai 1543 zu entnehmen ist.
„Der Kreuzburger Amtmann Georg v. Harstall sei bei ihm gewesen, habe sich beklagt über seinen Brief (= unsere Nr. 3844) und die Schuld dem Pfarrer Georg Spenlein zugeschoben. Menius soll die Sache untersuchen und beilegen.“34
Der Konflikt war 1543 schon so weit fortgeschritten, dass er nur von außen, also durch die Einbindung von Visitatoren, gelöst werden konnte. Von „außen“ meint die beiden Visitatoren Justus Menius und Friedrich Myconius.
Am 3. Juli 1543 musste sich Spenlein in Eisenach vor dem Superintendenten Menius und den kursächsischen Räten Brück und Teutleben wegen der Klagen verantworten, die von den Büchsen-schützen und vom Amtmann Georg v. Harstall gegen ihn erhoben hatten.35
Von der Anwesenheit Georg v. Harstalls und Creuzburger Büchsenschützen kann man ausgehen, da sie in gewisser Form Ankläger waren. In den meisten Fällen musste Spenlein die Richtigkeit der Vorwürfe zugeben. Neben einigen anderen Kritikpunkten ist vor allem die Fehde Spenleins mit den Büchsenschützen sehr gut belegt und entbehrt nicht einer gewissen Komik.
Spenlein hielt seine Predigt gewöhnlich am Sonntag von 12.00 bis 13.00 Uhr. Die Büchsenschützen seien aber nicht in die Kirche gegangen, weil sie ihre Schießübungen parallel abhielten, damit sie „mehr Zeit zum Saufen und Schwelgen hätten.“36
Spenlein war darüber sehr verärgert, weil auch viele junge Leute nicht zu seiner Predigt gegangen sind, da sie lieber dem Schießen zugesehen haben. So rief er den Büchsenschützen an der Kirchentür nach: „Hie gehet ein langer Schalk.“ Oder ein anderes Mal „Da läuft ein Schächerer mit der Buchsen furüber und versäumt Gottes Wort und Predigt.“37
Spenlein musste die Vorwürfe eingestehen, sodass auch Menius und die Räte zu der Erkenntnis gekommen sind, dass der Konflikt der Creuzburger mit ihrem Pfarrer nicht mehr gelöst werden kann. Spenlein schien das ebenfalls einzusehen und hat sich mit einer Versetzung abgefunden.
Der Kurfürst teilte Menius mit, dass er seinen Gehilfen Joh. Brambach in Mühlhausen (Kaplan zu St. Blasien-Kirche) nach Creuzburg versetzen wolle. Brambach wandte sich in einem Schreiben an den Kurfürsten, dass er nicht nach Creuzburg gehen wolle, da er erst vor kurzem (1542) nach Mühlhausen gekommen sei. Der Kurfürst stimmte diesem Antrag zu.
Wie bereits von der Creuzburger Bürgerschaft gewünscht, wurde die vakante Stelle mit dem Gerstunger Pfarrer Konrad Butzbach besetzt. Er schrieb am 14. September an Menius, „das ihm eine Versetzung nach Kreuzburg willkommen sein würde, da er infolge seines Leibes Schwachheit die Pfarre in Gerstungen von wegen des Filials, dahin er im Sommer und Winter alle Sonntage laufen müsse, um da zu predigen, länger gar nicht versorgen könne, doch müsse er eine Besoldungs-aufbesserung zur Bedingung machen.“38
Am 02. Oktober 1543 bestimmte der Kurfürst den Konrad Butzbach als neuen Creuzburger Pfarrer, während Spenlein als Superintendent für Joachim Mörlin nach Arnstadt entsandt wurde.
In der Weimarer Lutherausgabe von 1947 wird mit Bezug auf die Originaldokumente von Konrad Butzbach aus Gerstungen gesprochen. In anderen Quellen taucht ein Konrad Buchbach auf. (s. Paullini, Heusinger und Thüringer Pfarrerbuch, 3. Band).39
Zumindest kann vor dem Hintergrund der aktuellen Sachlage sein Antrittsbeginn in Creuzburg bzw. sein Abschied in Gerstungen auf Ende 1543 (wahrscheinlich Oktober) gelegt werden, da auch Spenlein zu dieser Zeit in Arnstadt erwähnt wird.40
Butzbach oder Buchbach ist laut Pfarrerbuch kurz vor dem 19. Januar 1549 in Creuzburg gestorben.41
Georg Spenlein geht nach Arnstadt
Wahrscheinlich Im Oktober 1543, eventuell etwas früher, wurde Spenlein in Arnstadt ansässig.42
Auch in Arnstadt kommt es zu Auseinandersetzungen. Ähnlich wie in Creuzburg sollte der dortige Pfarrer Joachim Mörlin aus Arnstadt versetzt werden. Auch hier war der Anlass die konsequente Auslegung des „Strafamtes“, das dort für sehr viel Unruhe gesorgt hat und die Stadt in zwei Lager spaltete.
Mörlin reizte mit seinen Strafpredigten den Arnstädter Rat und die Bürger Arnstadts, hatte aber genauso Befürworter. Klette spricht in diesem Zusammenhang von einer den Thüringern eigenen „eigentümliche (n), zum Widerspruch und zur Kritik geneigte (n) Gemütslage“43 als eine der Ursachen für die Streitigkeiten.
Luther riet Mörlin, Arnstadt zu verlassen, während Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen ihn gerne in Arnstadt behalten hätte. Auf seinen Wunsch sollte Friedrich Myconius in Gotha ein Gutachten erstellen.
Myconius stellte Mörlin ein positives Zeugnis aus und forderte die Einsetzung einer Kommission, die den Fall untersuchen solle. Das bereits erwähnte Dokument ist auf den 16. Oktober 1543 datiert und berücksichtigt auch Spenlein: „wie neulich zu Creuzburg der fein gelert from und trew fleißig man auch entseczt wurd.“44
Also muss die Vertreibung von Spenlein schon vor dem 16. Oktober 1543 stattgefunden haben. Das wird auch durch eine Notiz in der Weimarer Ausgabe (1. Band Briefwechsel) von 1930 bestätigt.45 Dies würde dann auch bedeuten, dass der Gerstunger Pfarrer Konrad Butzbach oder Buchbach schon vor dem Januar 1544 in Creuzburg war.
Der Arnstädter Rat lehnte die Empfehlung bezüglich der Einsetzung einer Kommission aber ab, sodass sich Mörlin wieder an Luther wandt. Mörlin hatte zwei Verteidigungsschriften verfasst, und damit auch Spenlein persönlich angegriffen.46
Mörlin kam in diesen Schriften zum Ergebnis, dass keine Obrigkeit die Macht habe, einen Pfarrer ohne Verfahren durch einen anderen auszutauschen.
Spenlein, der inzwischen als Superintendent und Pfarrer an die Bonifacius-Kirche in Arnstadt berufen worden war, wehrt sich von der Kanzel herab gegen die Vorwürfe. Mörlin beschuldigte Spenlein, dass er dem Volk und der Gemeinde nach dem „Munde predigt“ und sprach ihm seine theologischen Fähigkeiten ab.
Betrachtet man allerdings die Aussagen Spenleins, z.B. über die Creuzburger Büchsenschützen und seine Biographie, sind beide Vorwürfe so nicht nachzuvollziehen.
Sein umfangreicher, theologischer Kontakt zu Luther und anderen und die verschiedenen, kirchlichen Positionen, die er ausgeübt hat, widersprechen Mörlin in dieser Hinsicht.
Mit dem Bestallungsdekret vom 25. Januar 1544 wurde Spenlein als Superintendent und Prediger zu Arnstadt angestellt, während Mörlin nach gehaltener Predigt ab Januar 1544 als Superintendent in Göttingen tätig war.47
Obwohl Spenlein wieder zahlreiche Meinungsverschiedenheiten hatte und der Vertrag auf ein Jahr befristet, war er bis 1553 dort tätig. Meinungsverschiedenheiten meint hier die Vertreibung von Personen aus ihren Ämtern. Nach einem Brief des Arnstädter Leibmedicus Nicolaus Piechler vom 22. November 1550 soll Spenlein folgende Personen vertrieben haben: Caspar Bruschius oder Kaspar Brusch, Bartholomäus Cantor, Caplan zu Sondershausen, Linharthe, M. Kollerus, der Stadtschreiber, M. Frobenius ohne die Pfarrer auf den Dörfern.48
„Spenlein wie seine Diakonen waren Schüler des Senior Lange in Erfurt, und dieser wünschte 1546 dem Bürgermeister Arnstadts Glück, dass der kirchliche Friede hergestellt. Im übrigen durchaus nicht friedlicher Natur, fuhr Spenlein wenigstens fein säuberlich mit den Ratsverwandten, während der Eifer um Gott wohl Mörlin über die Schranken selbst des damals Erlaubten fortriss.“49
Myconius schreibt am 18.11.1544 an Luther: „Es ist alles zufrieden gestellt, gaudio omnium vicinarum ecclesiarum. […] Zum Schluß jedoch bitten wir, sämtliche dir treu ergebenen Pfarrer der Thüringer Kirche, Dich inständigst, anzuerkennen, dass jene Kirche mit Ihrem Pfarrer nunmehr wieder ausgesöhnt ist, und auch den trefflichen und frommen Georg Spenlein als wahren Märtyrer und treuen Zeugen Christi für wert zu erachten mit Deiner vollen Einwilligung dem Joachim, der sich anschickt nach Göttingen abzureisen, in Arnstadt im Amte nachzufolgen.“50
Nach 1553 können wir Spenlein als Pfarrer in Wüllershausen nachweisen, wo er am 6. März 1563 verstorben ist.51
Ich hoffe, dass mit diesem Beitrag ein relativ unbekanntes geschichtliches Ereignis, wie der „Creuzburger Kirchenstreit“ bekannter wird.
Die fortschreitende Digitalisierung von Originaldokumenten bietet viele Chancen, unterschiedliche Quellen zusammenzuführen. So können aus „Fußnoten der Geschichte“ bedeutende historische Begebenheiten werden. Aus der Vertreibung eines Pfarrers in Creuzburg wurde ein theologischer Diskurs der Reformationszeit, unter welchen Bedingungen man einen Pfarrer absetzen kann.
Die Zusammenführung von Ahnen- und Heimatforschung eröffnet hier viele Chancen, und es wäre wünschenswert, wenn Historiker und Heimatforscher, auch zu anderen Themen, diese Möglichkeit nutzen würden.
Anmerkungen:
| 33 | MBW 3205. |
| 34 | vgl. WA B, 10. Band, 1947, a.a.O., S. 309. |
| 35 | ebenda, 1947, S. 314-316. |
| 36 | ebenda, 1947, S. 314. |
| 37 | ebenda, 1947, S. 314 ff. |
| 38 | ebenda, 1947, S. 316. |
| 39 | vgl. Paullini, 1695, a.a.O., S. 657, Schneider, 1786, a.a.O., S. 16. Thüringer Pfarrerbuch, 2000, a.a.O., S. 18, S. 108. |
| 40 | vgl. Klette, Johannes: Superintendent Mörlin in Arnstadt 1540-1544, in: Alt-Arnstadt, Beiträge zur Heimatkunde von Arnstadt und Umgegend, 6. Heft, Arnstadt, 1923, S. 66. |
| 41 | vgl. Thüringer Pfarrerbuch, 2000, a.a.O., S. 108. |
| 42 | vgl. Klette, 1923a, a.a.O., S. 66. |
| 43 | ebenda, 1923a, S. 58. |
| 44 | ebenda, 1923a, S. 66. |
| 45 | vgl. D. Martin Luthers Werke, kritische Gesamtausgabe, Briefwechsel, 1. Band, Weimar, 1930, S. 622. |
| 46 | vgl. Klette, 1923a, a.a.O., S. 65. |
| 47 | ebenda, 1923a, S. 66. |
| 48 | vgl. Klette, Johannes: Die ersten Rektoren der Arnstädter Lateinschule bis 1550, in: Alt-Arnstadt, Beiträge zur Heimatkunde von Arnstadt und Umgegend, 6, Heft, Arnstadt, 1923, S. 86. |
| 49 | vgl. Einert, Emil, Graf Günther der Reiche von Schwarzburg: ein Beitrag zur Geschichte der Reformation, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, 8. Band, Heft 1 und 2, Jena, 1892, S. 45. |
| 50 | vgl. Klette, 1923a, a.a.O., S. 68. |
| 51 | vgl. Thüringer Pfarrerbuch, 2000, a.a.O., S. 411. |
Abkürzungen
| a.a.O. | = | am angegebenen Ort |
| MBW | = | Melanchthons Briefwechsel |
| Nr. | = | Nummer |
| Reg. | = | Registratur |
| u.a. | = | unter anderem |
| S. | = | Seite oder Seiten |
| v. | = | von |
| vgl. | = | vergleiche |
| WA B | = | Weimarer Ausgabe Briefwechsel |
| z.B. | = | zum Beispiel |