Urkunde zur Verleihung des Ehrenbürgerrechts der Stadt Dingelstädt vom 6.6.1887
Wahlergebnis der Reichstagswahl am 10.1.1874 in den „Eichsfelder Volks-Blätter“ vom 22.1.1874
Todesmeldung im „Eichsfelder General-Anzeiger“ vom 13.1.1894
In der Stadt Vreden im Münsterland fand der ehemalige Leiter des Stadtarchivs Vreden, Herr Hubert Krandick, bei einer Haushaltsauflösung eine Urkunde über die Verleihung des Ehrenbürgerrechts durch die Stadt Dingelstädt am 6. Juni 1887 an den Amtsgerichtsrat Eduard Strecker. Da diese Urkunde für die Stadt Vreden nicht interessant ist, bot er diese Urkunde unserer Stadt Dingelstädt an.
Wer war dieser Amtsgerichtsrat Eduard Strecker? Man findet in der „Geschichte der Stadt Dingelstädt“, die Aloys Schaefer 1926 herausgab, keinen Hinweis! Selbst in dem Standardwerk „Gestalten des Eichsfeldes“ von Bernhard Opfermann ist der Name nicht erwähnt!
Es gibt aber einen Wikipedia-Eintrag zu diesem Juristen und Reichstagsabgeordneten, der von 1872 bis zum Jahre 1884 den Wahlkreis Heiligenstadt-Worbis als Abgeordneter des Zentrums vertrat. 1872 wurde er in einer Nachwahl - für den aus gesundheitlichen Gründen zurück-getretenen Abgeordneten Dr. Conrad Zehrt - zum ersten Mal in den Reichstag gewählt. Seit 1870 war er bereits Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses. Bei den nachfolgenden Reichstagswahlen in den Jahren 1874, 1877, 1878 und 1881 verteidigte er jedes Mal dieses Mandat mit deutlichem Vorsprung. Er war also in den Jahren des Kulturkampfes gegen die Katholische Kirche der Vertreter des Eichsfeldes im Reichstag und damit als Mitglied der Zentrumsfraktion auch jemand, der die Rechte der katholischen Bevölkerung vertrat.
Umso erstaunlicher ist, dass man in der Eichsfeld-Literatur so gut wie nichts über ihn findet. Lediglich in einem Beitrag von Dr. Ulrich Hussong in der Heimatzeitschrift „Eichsfeld“, Heft 3/2002, ist eine kurze Lebensbeschreibung von ihm enthalten.
Philipp Anton Eduard Strecker wurde am 14.9.1822 als Sohn des Kreisrichters Johann Christoph Strecker in Heiligenstadt geboren. Der Vater wurde 1783 in Dingelstädt geboren.
Christoph Strecker wurde Gerichtsdirektor in Osterwieck und sein Sohn Eduard besuchte dort das Gymnasium in Halberstadt. Danach studierte er in Göttingen und Bonn Jura. Nach juristischen Praktika in Osterwieck, Magdeburg und Berlin wurde er 1853 Kreisrichter in Wanzleben und 1858 Gerichtskommissar in Hötensleben.
In Dingelstädt heiratete er am 20.9.1853 die am 1.5.1828 in Dingelstädt geborene Margarita Mathilde Kunckel, eine Tochter des Fabrikanten Johannes Wilhelm Kunckel.
Von 1868 bis 1879 war er Mitglied des Kreisgerichts und Grundbuchrichter in Worbis. Ab 1879 ging er als Amtsgerichtsrat nach Stendal. Dort verstarb am 12.5.1882 seine Ehefrau, die ein beträchtliches Vermögen hinterlassen hat, welches für die Verleihung des Ehrenbürgerrechts in Dingelstädt noch von Bedeutung war.
Am 17. Mai 1883 heiratete er in Berlin Auguste Antonette Ammelt, die seine 1. Ehefrau die letzten zwei Jahre vor ihrem Tod gepflegt hatte.
Im Ruhestand verzog er 1889 nach Kassel, wo er am 31.12.1893 verstarb. 1895 heiratete seine Witwe Auguste den in Vreden lebenden und als Arzt dort praktizierend Dr. Alois Cohaus. So erklärt sich auch, dass diese Urkunde nun in Vreden aufgefunden wurde.
Aber warum ist von dieser Ehrenbürgerschaft in Dingelstädt nichts mehr bekannt? Auf diese Frage kann ich bis jetzt, auch nach intensiver Suche im Kreisarchiv, im Zeitungsarchiv, im Strecker-Familienbuch und in der Literatur keine befriedigende Antwort geben! Selbst nach seinem Tod am 31.12.1893 fand ich nur zwei kurze Mitteilungen in den damaligen Zeitungen.
Zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft selbst gibt es aber einige Unterlagen im Archiv. Im Kreisarchiv Heiligenstadt, Bestand Dingelstädt, gibt es die Akte A 2507 – „Strecker’sche Stiftung“. Sie enthält allerdings nur zwei Schreiben des Regierungspräsidenten in Erfurt und die jeweiligen Antworten des Magistrates der Stadt Dingelstädt. Die Regierung forderte im Jahre 1912 das Testament und die Stiftungsurkunde an, die aber die Stadt nicht vorlegen konnte. In dem Antwortschreiben des Bürgermeisters Fromm vom 25.10.1912 an die Regierung in Erfurt heißt es:
„Frau Amtsgerichtsrat Strecker, Mathilde geb. Kunckell zu Stendal, gebürtig von hier, hatte testamentarisch von ihrem Vermögen eine gewisse Summe zu guten Zwecken ausgesetzt und hat ihren Ehemann, den Amtsgerichtsrat Strecker bevollmächtigt die besonderen Zwecke zu bestimmen. In Folge dessen hat derselbe der hiesigen Stadt 22000 M übersandt mit der Bestimmung davon 11000 M zum Neubau des hiesigen Krankenhauses und 11000 M zur Erhaltung pp desselben zu verwenden.“
In weiteren Akten: A 500 – „Stiftungen für das Krankenhaus“ und A 2444 – „Hypothekenbriefe betr. Ausleihung des Stiftungskapitals“ findet man weitere Hinweise.
Daraus geht u.a. hervor, dass der Neubau des Krankenhauses im Jahre 1889 55.000 Mark gekostete hat. Die gesamte Summe wurde durch Stiftungen, Spenden und Sammlungen aufgebracht. Die 11.000 Mark aus der Strecker’schen Stiftung waren die absolut größte Einzelspende. Mit dieser Summe waren 20% der Baukosten abgedeckt! Vor allem Pfarrer Anton Thraen sammelte viele kleinere Beträge für diesen Neubau ein.
Aus der Strecker’schen Stiftung kommt dann nochmal die gleiche Summe von 11.000 Mark zum Unterhalt des Krankenhauses. Das letzte Darlehen, welches in der Akte A 2444 verzeichnet ist, wurde am 1.4.1896 an den Essig- und Senffabrikanten Theodor Gunkel in Leinefelde ausgegeben.
Da die Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Eduard Strecker am 6.6.1887 erfolgte, die Stiftung aber erst nach der Akte A 2507 im Jahre 1888 errichtet wurde, nehme ich an, dass er der Stadt diese Summe in Aussicht gestellt hat und ihm daraufhin die Ehrenbürgerschaft verliehen wurde!
Wie es auch sei, diese damals enorme Summe hat für unsere Stadt – und auch die Dörfer in der Nachbarschaft – eine große Bedeutung gehabt. Von 1889 bis zum Jahre 2002 wurden in diesem Hause die Kranken betreut, gepflegt, geheilt und wenn keine Hoffnung mehr bestand, in ihren letzten Lebensstunden begleitet.
Das Haus aus dem Jahre 1889 wurde 2014 in den Neubau des Altenpflegeheimes „Heilige Louise“ integriert und dient damit noch heute sozialen Zwecken. Das ist auch der Strecker’schen Stiftung zu verdanken! Deshalb sollte man Eduard Strecker und seine Ehefrau Mathilde in Dingelstädt nicht vergessen!
Ewald Holbein