Steffen Liebendörfer ist neuer Bürgermeister der Stadt Eisenach.
Seit 1. September 2024 ist Steffen Liebendörfer Bürgermeister der Stadt Eisenach und damit - neben seinen weiteren Aufgabenbereichen - schwerpunktmäßig für die Umsetzung der Digitalisierung der Stadtverwaltung verantwortlich. Er erklärt, wie er die Dinge angehen will und warum die Stadt Eisenach keine andere Wahl hat, als sich dem großen Thema umfassend zu stellen.
Herr Liebendörfer, was ist unter dem komplexen Begriff der Digitalisierung der Verwaltung zu verstehen?
Deutschland und Digitalisierung - da ist der „Beziehungsstatus kompliziert“. Der Bund hat mit dem Onlinezugangsgesetz 2.0 jedoch ein Instrument geschaffen, das für den Bereich der öffentlichen Verwaltung wirklich ein Türöffner sein kann. Eine wesentliche Zielstellung ist: Bürgerinnen und Bürger sollen nur einmal ihre Daten eingeben müssen, egal ob sie bei der Stadt, dem Wartburgkreis, dem Freistaat Thüringen oder beim Bund einen Antrag stellen. Das gilt dann nicht nur für Geburtsdaten und Adressen, sondern - und das ist der eigentliche Vorteil - auch für Nachweise und andere Unterlagen.
Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger in Eisenach?
Eisenach realisiert den elektronischen Zugang zur Verwaltung über das System „ThAVEL“ (Thüringer Antragsmanagementsystem für Verwaltungsleistungen“), das es bereits seit einigen Jahren gibt. Die Stadt Eisenach bietet darüber auch schon Leistungen an. Wir schauen uns an, was andere Kommunen da schon mehr anbieten und streben eine Nachnutzung an - anders ausgedrückt: Wo das Rad schon erfunden wurde, bauen wir es nach. Dem Bürger soll es in Zukunft bei allen Verwaltungsleistungen möglich sein, selbst zu entscheiden, ob er dafür körperlich ins Rathaus kommt oder der Verwaltung um drei Uhr früh einen virtuellen Besuch mit seinem Computer abstattet.
Innerhalb der Verwaltung - und das ist die eigentliche Herausforderung - müssen wir dafür sorgen, dass die Daten fließen und mit ihnen gearbeitet werden kann. Man muss sich dafür die einzelnen Arbeitsschritte kleinteilig anschauen und alle Entscheidungen, die gebunden sind, wo es also eine klare „Wenn-Dann-Beziehung“ gibt, automatisieren. Da sieht auch die Digitalisierungsstrategie Thüringens vor. Wichtig ist mir - bei Bürgern wie Mitarbeitern - das Verständnis dafür zu fördern, dass Digitalisierung kein technisches Projekt ist, sondern die Arbeitsweise der Verwaltung ganzheitlich neu ausrichtet.
In diesem Zusammenhang sprechen Sie gerne von einer „Kultur der Ermöglichung“. Was meinen Sie damit genau?
Unsere Gesellschaft ist verfasst in einer Ordnung der Freiheit. Wenn ein Bürger oder Unternehmer diese Freiheit nutzen will, dann ist für die Verwaltung die erste Fragestellung die, wie das erreicht werden kann und nicht etwa „darf der das überhaupt?“ oder gar wie etwas verhindert werden kann. Die Verwaltung führt Gesetze aus und es ist dem Parlament vorbehalten, zu entscheiden, wo die Grenzen individueller Freiheit zu ziehen sind. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in Problemen denken. Der lösungsfokussierte Ansatz sollte immer an erster Stelle stehen.
Ich persönlich bin kein Freund von Formularen. Dass manche meiner Mitmenschen das anders sehen, akzeptiere ich, und sie können ein Hilfsmittel bei der strukturierten Erfassung von Daten sein. Im Digitalzeitalter geht es darum, die Daten zu erfassen und dann mit diesen zu arbeiten. Wie Daten in den Datenverarbeitungsprozess kommen, ist eigentlich egal. Das kann ein Formular sein, möglichst elektronisch, oder ein System, das aus einer E-Mail die notwendigen Daten - und nur die! - ausliest und bei Bedarf automatisch antwortet und abfragt, was noch fehlt. Oder es kann ein Dialog mit einem Chatbot sein.
Was ist ein Chatbot?
Ein Chatbot ist ein technisches Dialogsystem. Wenn es gut trainiert ist, können Dienstleistungen, wie sie beispielsweise die Stadtverwaltung Eisenach anbietet, mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz unkompliziert und passgenau vermittelt werden. So bleibt den Mitarbeitenden mehr Zeit für den direkten Bürgerkontakt. Der bleibt sehr wichtig und soll ausdrücklich nicht abgeschafft werden.
Ich bin davon überzeugt, dass der Markt praxistaugliche Lösungen für eine Vielzahl von Anwendungsszenarien noch in den 20er-Jahren bereitstellen wird. Aktuell sehe ich, dass solche Systeme vorschnell eingesetzt werden. Aber: Ich sehe das Potenzial dieser Technologie und bin davon überzeugt, dass sie bald reif für einen frust-freien Einsatz ist.
In welcher Rolle in Bezug auf die kommunale Familie sehen Sie zukünftig die Stadt Eisenach?
Der Freistaat Thüringen hat die Stadt im Landesentwicklungsprogramm 2025 zum Oberzentrum erklärt. Das öffnet für die gesamte Wartburgregion eine neue Entwicklungsperspektive. Der Freistaat öffnet die Tür - durchgehen müssen wir aber schon selbst. Ich plädiere dafür, diese Entwicklung im engen Verbund mit unseren kommunalen Nachbarn, aber auch der regionalen Wirtschaft, entschlossen anzugehen. Denn die Funktionen eines Oberzentrum erfüllt Eisenach nicht nur für sich selbst, sondern für die Region. Wir profitieren davon gemeinsam, also gestalten wir auch den Erfolg gemeinsam.
Meine Vernetzung aus der Zeit, als ich noch Leiter der Kommunalaufsicht beim Wartburgkreis war, kann die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn erleichtern. Unabdingbar sind Entwicklung und Ausbau eines partnerschaftlichen Verhältnisses auf Augenhöhe, damit Vertrauen wachsen kann.
Was die Arbeit der Verwaltungen betrifft, ist eine engere Zusammenarbeit erforderlich, damit die Aufgaben dauerhaft ordnungsgemäß erfüllt werden können. Dazu gibt es bereits Ideen, auch bei unseren Nachbarn. Um das schon angesprochene Vertrauen zu fördern, werden wir darüber intensiv miteinander sprechen und nicht öffentlich übereinander.