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Eisfelder Amtsblatt
Ausgabe 11/2024
Nichtamtlicher Teil
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Pfarrer für einen Tag

Nach Hildburghausen hat nun auch die Werkstatt für angepasste Arbeit (Wefa) in Eisfeld den bundesweiten Aktionstag „S(ch)ichtwechsel“ absolviert. Anders als bei den Kollegen ist hier jedoch nicht die Verwaltung das erklärte Ziel gewesen.

Eisfeld - Unerschrocken erklimmt Tanja Rommel den Eisfelder Kirchturm. Auf ausgetretenen Steinstufen geht es steil empor. Zugig ist es, der Herbst zeigt, was er kann. Doch der Ausblick über die Dächer von Eisfeld entschädigt für den Aufstieg. Stolz lässt die 34-Jährige ihren Blick an der Seite von Eisfelds Pfarrer Steffen Pospischil über die Stadt schweifen. Nur die Werkstatt für angepasste Arbeit (Wefa) hat sich gut versteckt - Tanjas Arbeitsplatz; und auch der von Pfarrer Pospischil an diesem Tag. Denn mit ihm wird sie die Wirkungsstätte tauschen.

Ursprünglich sei ein Kindergottesdienst geplant gewesen, den Tanja Rommel gemeinsam mit Pfarrer Steffen Pospischil hätte vorbereiten und gestalten sollen. Doch aus organisatorischen Gründen habe man sich kurzerhand entschlossen, den Kirchturm zu besteigen, so Pospischil. Er berichtet Tanja von den Aufgaben eines Pfarrers - und die sind vielfältig und gar nicht langweilig, wie die Wefa-Beschäftigte schnell merkt. Neben Gottesdienst, Abendmahl und der Verkündung von Gottes Wort beschäftigen sich Pfarrer mit Bibeltexten, interpretieren sie in den Predigten und stellen Bezüge zum Leben der Gemeindemitglieder und zu aktuellen Themen her. Hinzu kommen Seelsorge, Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Trauerfeiern, die sie vorbereiten und abhalten. Jede Menge Termine, die organisiert und abgesprochen werden müssen. Sie unterstützen Menschen in Lebenskrisen, leiten kirchliche Gruppen, erteilen Konfirmandenunterricht und sind mancherorts als Religionslehrer an Schulen tätig. Und auch der Verwaltungsapparat einer Kirchgemeinde will organisiert sein, wozu beispielsweise Mitarbeiterführung, Organisation der ehrenamtlichen Arbeit in der Gemeinde, Verwaltung des Kirchenhaushalts sowie die Veranlassung von Instandhaltungs- oder Restaurierungsarbeiten an den Kirchengebäuden gehören. „Jede Menge Telefonate, Sitzungen, Gespräche mit anderen sind wichtig und nötig, um eine Kirchgemeinde aktiv zu gestalten und lebendig zu halten“, betont Pfarrer Pospischil. „Und für die ganz wichtigen Dokumente gibt es das Siegel der Kirchgemeinde Eisfeld, das normalerweise nur ich als Pfarrer benutzen darf“, verrät er und fügt schmunzelnd hinzu: „Doch da heute ein ganz besonderer Tag ist, darf die Begleitpfarrerin Tanja Rommel auch einmal das Siegel verwenden.“ Und das tut sie aufgeregt und stolz. Aufregend ist auch das Ankleiden mit dem Talar, den ihr Pospischil fachgerecht überhängt und das Beffchen befestigt. So eine Chance bekommt nicht jeder, stellt Tanja fest und ist beeindruckt von der Zahl der Aufgaben.

In küchengerechte Kleidung schlüpft dann gegen Mittag Pfarrer Steffen Pospischil in der Eisfelder Wefa, denn Tanja Rommel arbeitet in der Hauswirtschaft der Werkstatt und ist gemeinsam mit dem Küchenteam für die Versorgung ihrer Kollegen zuständig. Das Frühstück an diesem Tag haben sie ohne die 34-Jährige schaffen müssen. Doch bei der Ausgabe des Mittagessens - Kürbiscremesuppe mit Hackbällchen - kann man jede helfende Hand gebrauchen. Also schnell ins weinrote Küchen-T-Shirt geschlüpft, Hände waschen, Handschuhe an und ran an die großen und schweren Suppencontainer. Geduldig erklärt Tanja Rommel die einzelnen Arbeitsschritte, die nacheinander zu vollziehen sind. So werden die von der Schulküche Crock gelieferten Behälter zunächst ins Wasserbad gebettet, bevor die Suppentemperatur gemessen wird. Schließlich sollen die Wefa-Beschäftigten kein kaltes Süppchen vorgesetzt bekommen. Gemeinsam brechen sie das Brot und bereiten alles für die Essensausgabe vor. Zwischendurch schickt Tanja den Pfarrer an die Spüle, um gleich die Sachen zu reinigen, die nicht in die Spülmaschine passen. Und Pfarrer Pospischil kommt der Aufgabe gerne nach, erfüllt die Anweisungen der Hauswirtschaftskraft sorgfältig, konzentriert und zuverlässig. Die Beschäftigten haben sich schon sehr gefreut, dass der Pfarrer das Essen ausgeteilt hat und ihn herzlich begrüßt.

Nach den beiden Essensausgaben - in Eisfeld wird in zwei „Schichten“ gespeist - und den Aufräumarbeiten ist Pfarrer Steffen Pospischil ein bisschen geschafft, doch voller Respekt für die Arbeit von Tanja Rommel. „Das ist hier schon was Anderes als zu Hause den Tisch zu decken“, fasst er zusammen. „Hier müssen alle Arbeitsabläufe aufeinander abgestimmt sein und in der richtigen Reihenfolge geschehen, sonst fehlen am Ende beispielsweise die Schöpfkelle oder Teller. Aber Tanja hat alles im Blick und versorgt ihre Kollegen zuverlässig mit der nötigen Stärkung“, sagt er anerkennend.

Info: Der Aktionstag „S(ch)ichtwechsel“ wurde von den Berliner Werkstätten und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Berlin entwickelt und bietet Menschen mit und ohne Behinderungen die Möglichkeit, für einen Tag ihren Arbeitsplatz zu tauschen. So lernen sie neue Perspektiven kennen und sorgen gemeinsam dafür, dass Offenheit und Vielfalt in der Arbeitswelt gestärkt werden. Die wenigsten Menschen haben eine Vorstellung von den Leistungen, die in den Werkstätten erbracht werden. Es existieren immer noch viele Klischees über Werkstätten und die dort arbeitenden Menschen mit Behinderungen. Beim Aktionstag „S(ch)ichtwechsel“ soll damit aufgeräumt werden. Über das verbindende Thema Arbeit schafft der Aktionstag Raum für neue Perspektiven und hilft, Vorurteile abzubauen.