Eine Rauchsäule steigt am Bratwurstrost gen Himmel, die ersten Plätze der aufgestellten Biergarnituren werden besetzt, und die Mitglieder des „Herbartswinder Feuerwehrvereins“ stehen hinter ihren Tischen bereit für die ersten Bestellungen.
Es ist der 27.09.2025, ein Samstagnachmittag, auf dem Langen Berg am Wander- und Gedächtniskreuz. Zwar hat sich die Sonne versteckt, doch der Regen blieb aus - ein guter Tag, um 35 Jahre Grenzdurchbruch zu feiern und die Geschichte dieser Zeit lebendig zu halten.
Rottenbach und Herbartswind - zwei kleine Orte, nur knapp zwei Kilometer voneinander entfernt, heute im oberfränkischen und thüringischen Raum liegend. Vor der Teilung Deutschlands bildeten sie einen gemeinsamen, lebendigen Lebensraum. Rottenbach war über Jahrhunderte hinweg Kirch- und Schulgemeinde für die Herbartswinder. Gleiches galt auch für die Orte Heid, Görsdorf und Tremersdorf.
Die Herbartswinder hatten zudem Vermögensanteile am Heiligen Stift zu Rottenbach.
Die Kinder gingen in Rottenbach zur Schule, sie wurden dort getauft, konfirmiert, heirateten und fanden auf dem gemeinsamen Friedhof ihre letzte Ruhestätte, auch wirtschaftlich bestand eine enge Verbindung. Davon zeugt ein noch heute im Wald in Teilen sichtbarer Trampelpfad, den die Herbartswinder damals tagtäglich auf sich nahmen.
Die Folge war die Trennung von Familienverwandschaften, Schulkamera-den, Konfirmanden und Freundschaften.
Nun ist dieser vor 35 Jahren nach 40-jährigem Bestehen abgebaut und der ein oder andere Herbartswinder musste sein Leben neu ausrichten. Die alte Lebensweise blieb Geschichte. Für die Rottenbacher änderte sich der Alltag kaum - außer der Freude über die wiedergewonnenen Be-gegnungen mit Verwandten und Freunden.
Um diese Geschichte mit all ihren Schmerzen und Widrigkeiten zu bewahren und am Leben zu halten, hat sich der „Herbartswinder Feuer-wehrverein“ dazu entschlossen, gemeinsam mit dem „FWV Rottenbach“, eine kleine Gedenkfeier durchzuführen.
Im Zuge dieser Planung war der Ort für die Feier schnell gefunden - der Lange Berg am Wander- und Gedächtniskreuz. Der Hauptinitiator Mario Kieser hatte zudem die Idee, den Platz durch einen Wegweiser und das Erneuern des verwitterten Kreuzes zu verschönern und aufzuwerten. Unterstützt wurde er vom Vereinsvorsitzenden Peter Müller sowie vielen engagierten Vereinsmitgliedern. Das Projekt brachte natürlich Kosten mit sich. Daher stellte Mario einen Förderantrag für das Vorhaben bei der Initiative Rodachtal. Dieser wurde genehmigt und man hat uns mit einem Zuschuss von 500 € bedacht.
Es war kein großes Projekt, aber wie ich finde ein Gelungenes, das mit viel Engagement und so manchem kreativen Vorschlag erstellt wurde. Auch haben uns einige Firmen mit Materialien unterstützt.
Die Feierlichkeit begann mit der Begrüßung aller Anwesenden durch den Vereinsvorsitzenden Peter Müller.
Anschließend hielt der Eisfelder Pfarrer, Herr Pospischil, eine Andacht. Er erzählte eine Bibelgeschichte, die den Schmerz, die Trauer und die damit einhergehenden Folgen unserer Historie widerspiegelte, aber es gibt immer auch Hoffnung die man im Glauben an Gott finden kann, so seine Worte.
Pfarrer Pospischil begrüßte die Initiative der Vereine und ermutigte die Rottenbacher und Herbartswinder miteinander zu sprechen, sich besser kennenzulernen und vor allem die jungen Leute mit dieser Geschichte vertraut zu machen - als Grundlage für weitere Begegnungen und das Wiederaufleben alter Gemeinschaft.
Als weiterer Redner trat der damals 21-jährige Herbartswinder Zeitzeuge und Mitwirkende, Jens Söldner, ans Mikrofon. Er berichtete über die Öffnung des Grenzzaunes durch Herbartswinder und Rottenbacher Bürger. Der Grenzdurchbruch sollte einen Tag vor der Währungsunion am 30.06.1990 erfolgen.
Jens gab rückblickend einige beeindruckende Einblicke über die Situation an der Grenze.
In seinem bisherigen Leben hatte er täglich den Blick auf den Ersten von zwei Grenzzaunanlagen. Zwischen den Zäunen unmittelbar neben dem Kreuz stand ein Kommandoturm mit integriertem Verließ. Ca. 500 m weiter am „Eisfelder Blick“ (auch „Ami Höhe“ genannt) stand ein sogenannter B-Turm. Direkt dahinter auf bayrischer Seite war ein Parkplatz, auf dem ein 4m breites und 1m hohes Schild stand. Auf bayrischer Seite war eine Landkarte, die Thüringens Gemeinden abbildete.
Auf der Seite des Grenzzaunes war der Schriftzug -
- zu lesen.
Beim zitieren dieses Satzes wurde es emotional und Jens konnte seine Tränen kaum unterdrücken. Die täglich patrouillierenden Offiziere und Soldaten waren damit konfrontiert und so mancher wird sich gefragt haben, was tun wir hier eigentlich?
In kurzer Zeit hatten die Rottenbacher- und Herbartswinder Helfer den Zaun im Bereich der Straße abgebaut. Jetzt galt es den Erdwall (Panzer-sperre) zu begradigen. Jens war mit seinem kürzlich erworbenen 34 PS Traktor vor Ort, konnte aber mit seinem Frontlader nichts bewegen. Auf bayrischer Seite waren Horst Maier und Manfred Fischer mit ihren schweren Traktoren angerückt und ebneten die Durchfahrt ein. Walter Fischer überquerte mit seinem Moped als Erster die Grenze.
Ca. 1 Jahr später wurde die Straße K530 grundlegend erneuert und fungiert heute als Autobahnzubringer. Der anfänglich einseitige Verkehr von Ost nach West ist inzwischen ein wechselseitiger geworden.
Die Feier endete am späten Nachmittag bei Kaffee und Kuchen, aber auch herzhafte Leckerbissen wurden angeboten. Natürlich kam auch das ein oder andere Bierchen in die nähere Auswahl.
Einander zuzuhören, miteinander zu reden und sich auszutauschen - das schafft Verständnis, fördert Gemeinschaft und bewahrt uns davor, dass sich die Geschichte wiederholt.
Dieter Beyersdorfer