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Amtsblatt der Gemeinden Elxleben und Witterda
Ausgabe 8/2024
Wissenswertes
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Wissenswertes

Zustand 2024 (Foto: Hubert Göbel)

Aufbau 1994 (Foto: Heidemarie Bierwisch)

Heutiger Zustand (Foto: Hubert Göbel)

Am ursprünglichen Standort 1994 unterhalb des Alten Sportplatzes (Foto: Heidemarie Bierwisch)

Heutiger Standort neben der Linde am sog. Roten Kreuz (Foto: Hubert Göbel)

Zustand 1994 bei der Übergabe (Foto: Heidemarie Bierwisch)

Zustand bei Aufstellung 1994 (Foto: Heidemarie Bierwisch)

Zustand 2024 (Foto: Hubert Göbel)

30 Jahre Kunst in der Landschaft Fahner Höhe - Witterda's unverstandene Attraktion

Wer im Internet die Seite des Tourismusvereins Fahner Höhe e.V. (www.unsere-fahner-hoehe.de) aufruft, dem werden als sehenswerte Orte dieses Höhenzuges die „Sieben Gräber“ am Kammweg oberhalb von Gierstädt und der Walschberg (!) angeboten.

Sucht man mit Google nach „Kunst in der Landschaft Fahner Höhe“ - Fehlanzeige. Die seit nunmehr 30 Jahren zwischen Witterda und Friedrichsdorf stehenden Objekte moderner Kunst kennt das sonst allwissende Internet nicht. Für die Fahner Höhen, aber auch für die Stadt Erfurt als Eigentümer und Leihgeber spielen diese Werke international renommierter Künstler offenbar keine Rolle (mehr).

Gedacht war das ganz anders, als im Jahr 1991 das Amt für Museen und Ausstellungen der Stadt Erfurt die Idee einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Landschaft nordwestlich der Landeshauptstadt konzipierte. Nach dem Vorbild der Kunststraße Rhön bei Hünfeld/Fulda nahe der thüringisch-hessischen Grenze sollte der Erlebniswert der Fahner Höhe gesteigert und nicht zuletzt ein anziehendes Ausflugsziel für die Bewohner Erfurts geschaffen werden. Kurz nach der politischen Wende bestand eine Aufbruchstimmung. Es gab neue Ideen und auch Möglichkeiten. „Die neue Zeit hofft auf ihre neuen Zeichen.“, formulierte der Kunsthistoriker und Direktor der Kunsthalle Erfurt, Herbert Schönemann, im Vorwort des Katalogs zur Ausstellung „Objekte in der Diskussion“, die vom 14. April bis 15. Mai 1992 im Haus Dacheröden stattfand. 37 Künstler aus Finnland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, den USA und Deutschland hatten dafür 48 Modelle für das Projekt „Kunst in der Landschaft“ eingereicht, die eine Diskussionsgrundlage bilden sollten für mögliche Realisierungen an speziellen Standorten der Fahner Höhen. Schließlich wurden daraus 6 Modelle ausgewählt und in Auftrag gegeben.

Die Kuratorin der Idee „Kunst in der Landschaft“, Heidemarie Bierwisch, suchte den Kontakt zu den Gemeinden entlang der Fahner Höhe und fand Gehör beim Bürgermeister Paul Blankenburg, CDU, und dem Gemeinderat. Von moderner Kunst waren zwar nur wenige der damaligen Gemeinderäte angetan, aber die Aussicht, etwas in Thüringen Einzigartiges, noch dazu kostenlos, nach Witterda zu bekommen und damit die Anziehungskraft als Naherholungsgebiet zu steigern, ließ sie dem Projekt zustimmen.

Im Frühjahr 1994 wurden schließlich 5 Plastiken auf den vorher gemeinsam mit Vertretern des Erfurter Kulturamtes und der Witterdaer Gemeindeverwaltung ausgewählen gemeindeeigenen Flächen entlang der Friedrichsdorfer Straße aufgestellt. Eine weitere des niederländischen Künstlers Lucien Den Arend sollte später noch folgen.

Am 9. Mai 1994 wurden die 5 Plastiken mit der Unterzeichnung der Leihverträge zwischen dem Erfurter Kulturamt und der Gemeinde Witterda im Rahmen einer kleinen Feier im Beisein der Künstler offiziell der Gemeinde übergeben.

Anläßlich der Übergabe sagte der Erfurter Kulturbeigeordnete Rolf Ehrenberg: „Der Skulpturenweg bereichert die Wohn- und Lebensqualität von Witterda als Wohnstandort, als Naherholungsgebiet und vielleicht auch in Zukunft stärker noch als Anziehungspunkt für den Tourismus. Der Gast, der die Kultur von Weimar, Erfurt und Gotha kennenlernen will, findet hier, abseits von dem Lärm der Städte, Erholung und Ruhe. Er kann reiten, spazieren und wandern und sich an den Kunstobjekten von internationalem Rang erfreuen - begegnet der Kunst in entspannter, erholsamer Weise.“

Erläuterungen zu den Kunstwerken hatte das Kulturamt Erfurt in einem farbigen Faltblatt zusammengestellt und der Gemeinde übergeben. Auch die Künstler hatten sich bereit erklärt, ihre Arbeiten im Ort zu erläutern. Zur weiteren Entwicklung des Areals sollte zudem eine Schautafel am Rundweg aufgestellt werden. Zu letzterem kam es nicht, weil eines der Objekte an einem Weg direkt am Waldrand irrtümlich auf privatem Land aufgestellt worden war und dafür ein neuer Standort gefunden werden musste. Die Waldrand und damit auch der angrenzende Weg hatten sich im Laufe der vergangenen 40 Jahre verschoben und mussten erst neu festgestellt werden.

Schlimmer aber wirkte sich der bereits kurze Zeit nach der Übergabe der Kunstwerke einsetzende Vandalismus aus: Eines der Objekte wurde zersägt und musste komplett erneuert werden, zwei weitere wurden aus den Fundamenten gerissen und beschädigt. Der entstandene Versicherungschaden wurde mit insgesamt 150.000 DM angegeben. Es wurde Anzeige erstattet. Der oder die Täter konnten jedoch nicht ermittelt werden.

Zu den Werken im Einzelnen:

4-TEILIGE PROGRESSION

Hellmut Bruch, Jahrgang 1936, lebt und arbeitet in Hall/Tirol

Die unmittelbar an der Straße nach Friedrichsdorf stehende Arbeit besteht aus vier geschliffenen Edelstahlrohren. Sie entsprechen in ihren Maßen einer mathematischen Zahlenfolge, die nach Leonardo Fibonacci, einem bedeutenden italienischen Rechenmeister des Mittelalters, benannt ist. Die Länge eines Rohres ergibt sich dabei aus der Summe der beiden vorangegangenen Längen, hier 2 Meter (1 m + 1 m), 3 Meter (2 m + 1 m), 5 Meter (3 m + 2 m), 8 Meter (5 m + 3 m). Der Betrachter kann in seiner Vorstellung das schnelle Anwachsen in große Höhen ergänzen, ja bis ins Unendliche fortsetzen. Die Zahlen dieser Folge liegen vielen Wachstums- und Bildungsgesetzen in der Natur zugrunde. So findet man die Zahlenverhältnisse zum Beispiel bei spiralförmig angeordneten Blättern und Samenständen von Pflanzen wie etwa der Sonnenblume.

Der Künstler Hellmut Bruch, dessen „Große Kreisform“ aus Edelstahl vor dem Neubau des Katholischen Krankenhauses in Erfurt vielen bekannt sein dürfte, will in seinen Werken auf die Schönheit des Wechselspiels von Natur und Kunst aufmerksam machen und stets die Verantwortung des Menschen für die Natur anmahnen.

WÜRFEL UM EINEN BAUM

Jochen Scheithauer, Jahrgang 1948, lebt und arbeitet in München

Der aus 10 cm x 10 cm Edelstahl-Profil bestehende Würfel umgibt wie eine kostbare Fassung einen freistehenden Baum. In ihren Grundformen, so die Absicht des Künstlers, besitzen weder Baum noch Würfel einen besonderen visuellen Reiz. Erst durch das Zusammenfügen beider entsteht eine neue Spannung.

Bei der Übergabe der Plastik im Frühjahr konnte der Baum nicht mehr gepflanzt werden.

Das wurde im Herbst 1994 nachgeholt. Die Auswahl und Umsetzung der schönen Linde aus einem Windschutzstreifen ist das bleibende Verdienst des damaligen Bürgermeisters Paul Blankenburg.

Zumindest eine weitere Arbeit von Jochen Scheithauer dürfte allen bekannt sein, die die B4 nach Erfurt benutzen: seine rote Großplastik am Bindersleber Knie.

GEBROCHENE SCHNEIDE

Helmut Senf, Jahrgang 1933, lebte und arbeitet bis 1994 in Erfurt, seither in Sassnitz/Rügen

Eingebettet in den Wiesenrand scheint die rote, aus Indusriestahl geschweißte Plastik durch ihre Form der Landwirtschaft zugehörig und erweist sich dennoch als eine Kunstform. Den Vorübergehenden bietet sie sich zum Sitzen und Verweilen an.

FÜNF DREIECKE AUS EINEM QUADRAT

Ben Muthofer, Jahrgang 1937, gestorben 2020, lebte und arbeitete in München

Ben Muthofer ist ein international renommierter Künstler, dessen Werke in zahlreichen Museen und auf Freiflächen Europas und den USA zu sehen sind, z.B. im Olympiapark in München.

In Witterda bildete seine pulverbeschichtete weiße Plastik aus Aluminium in 20 mm Stärke mit einer Grundfläche von 2,50 m x 2,50 m und einer Höhe von 3,40 m oberhalb der Böschung in der Kurve der Friedrichsdorfer Straße gleichsam den Anfang des Skulpturenweges. Schon auf der Landstraße von Elxleben war die senkrecht stehende Spitze wie eine Kompassnadel zu sehen. Das wie hochgeklappt wirkende, senkrechte Dreieck gibt den Boden zwischen den beiden liegenden Dreiecken Raum, damit dort die Wiese durchwachsen und so eine Verbindung von Kunst und Natur entstehen kann.

Leider ist dieses Kunstwerk heute nicht mehr zu sehen und der ursprüngliche Standplatz ist inzwischen mit Gebüsch zugewachsen. Nachdem das aufrecht stehende Dreieck mehrfach umgerissen worden war, wurde es bereits Mitte der 1990er Jahre von der Gemeindeverwaltung sichergestellt und verwahrt. Die verbliebenen liegenden Dreiecke „verschwanden“ auf unerklärliche Weise einige Monate später ebenfalls. Wie sich inzwischen herausstellte, sollen sie sich in Witterda befinden. Die Gemeindeverwaltung bemüht sich seit mehr als einem Jahr, bisher leider erfolglos, alle Teile der Plastik wieder zusammenzubringen. Vielleicht gelingt es doch noch, das Kunstwerk an anderer Stelle neu aufzurichten.

VERZAHNUNG

Josef Linschinger, Jahrgang 1945, lebt und arbeitet in Traunkirchen (Österreich)

Die 3,60 m hohe Verzahnung aus lackierten Stahlplatten stand 29 Jahre an weithin sichtbarer Stelle oberhalb der alten Linde auf der Anhöhe zwischen Witterda und Friedrichsdorf. Die gegeneinander gelehnten Flächen verzahnten sich: das Gelbe und das Schwarze, Licht und Finsternis, Tag und Nacht. Wer sich darauf einließ, konnte Vieles für sich daraus lesen, sich aber beim Durchschreiten auch nur an den wunderbaren, farbigen Lichtspiegelungen im Inneren erfreuen.

Heute steht auch dieses Kunstwerk nicht mehr. Im Sommer 2023 hatten sich die schweren Stahlplatten aus unerklärlichen Gründen aus der Vertikalen in südliche Richtung verschoben und waren vermutlich infolge heftiger Stürme im Winter 2023/24 umgestürzt. Sie liegen nun neben ihrem urspründlichen Standplatz und harren ihres weiteren Schicksals.

Auf einer Ausstellung anlässlich „30 Jahre Deutsche Einheit“ im Thüringer Landtag hat der Erfurter Künstler Uwe Steinbrück im Herbst 2020 32 Fotografien der „Verzahnung“ von Josef Linschinger gezeigt. Im Begleittext dazu schrieb er: „Wieder zog sie mich an, wieder lud sie zum Umrunden und zum Hindurchgehen ein. Und wieder suchten unsere Augen beim anschließenden Wandern über die leicht schwingenden Hügel die beiden ineinander verschränkten Stahlflächen, standfest und autonom - KEINEM WIND BEUTE.“ - Drei Jahre später leider doch.

Hubert Göbel, Ortschronist