Freitag, 16. Juli 1965 Wahlstraße 4 Einlegerei/Gärtnerei Krumbein (Reiterhof Anhalt) mit Blick zu den Gewächshäusern und zur Scheune Hugo Früh
Samstag, 17. Juli 1965 an der Rasewegsbrücke besehen Landbesitzer Oskar Stedeld sowie Helmut Tröstrum die Flurschäden
Samstag, 17. Juli 1965 Langensalzaer Straße 21 am Spittel Treffpunkt der freiwilligen Helfer aus nah und fern
Samstag, 17. Juli 1965 Langensalzaer Straße mit altem Sportplatz und Feldscheune Richard Döbel (Neubau Familie Klein)
Nach Aufzeichnungen von Richard Rümpler war am 16. Juli 1965 durch Gewitter und eine niedergegangene Wasserhose zwischen Mülverstedt und Flarchheim Hochwasser in unserem Dorf. In der Langensalzaer Straße, Burggasse und Knoblauchspittel stand das Wasser bis 1 m hoch. Die Keller waren voll Wasser gelaufen und mussten von der Freiwilligen Feuerwehr mit Motorspritzen leergepumpt werden. Das Wasser war auch bis in die Korngasse vom Raseweg gelaufen.
Der 16. Juli 1965, ein Freitag, war ein schwülwarmer Tag. Bereits in den Vormittagsstunden türmten sich am Himmel farbige Wolkengebilde. Besorgt blickten nicht nur die Einwohner der Hainichdörfer. Auch in Großengottern ahnten die Bewohner nichts Gutes. Ein Gewitter lag in der Luft, welches sich in den Nachmittagsstunden als Unwetter mit voller Wucht und mit Niedergang einer Wasserhose zwischen Mülverstedt und Flarchheim entlud.
Gewaltige Wassermassen strömten durch die Rasewegsbrücke und setzten nicht nur Flur, Langensalzaer Straße, Sportplatz, Spittel, Reitbahn und Knoblauchsspittel, sondern auch das Unterdorf unter Wasser.
In der Mülverstedter Straße 1A wurden Walter und Inge Drieseberg, geb. Keyser, im hinteren Bereich ihres Gartens durch ein plötzliches Rauschen überrascht. Durch die Rasewegsbrücke wälzte sich eine bräunliche Wasserflut. Eiligst wurden die beiden Pferde, die bereits knöcheltief im Wasser standen, sowie die Karnickel in Sicherheit gebracht. Das Wasser verschonte zwar das Wohnhaus, suchte sich aber an der Scheunenecke seinen Weg Richtung Sportplatz (Edeka), Langensalzaer Straße, Spittel und Reitbahn. In der Feldscheune von Karl Went auf der Reitbahn verendeten sämtliche Hühner durch das Wasser.
Da es keinerlei Unwetterwarnungen bzw. Vorhersagen gab, mussten die notwendigen Rettungsmaßnahmen schnellstens von statten gehen, denn nicht nur Goldner Ring und Wahlstraße auch die am Bach gelegenen Straßen und Häuser waren betroffen. Der Suthbach führte innerhalb kurzer Zeit Hochwasser. An seinen Brücken gab es Überschwemmungen. Das Wasser drückte in den Straßen die Gullydeckel hoch. Eine Folge des Hochwassers war auch, dass der Strom abgestellt wurde. Die gottersche Bevölkerung war durch die immer wieder kehrenden Hochwasser bereits „erprobt“. In den Häusern Goldener Ring stand das Wasser bis 1,40 m und in der Goethestraße 1,00 m hoch. Es blieb kaum Zeit, das Vieh in Sicherheit zu bringen. Das ganze Dorf befand sich auf den Beinen.
An das Hochwasser 1965 erinnerte sich der damalige 26-jährige Feuerwehrmann Heinz Stephan (gebürtig aus Ammern). Er war mit seinen Kameraden vorwiegend im Bereich Goldner Ring und Wahlstraße mit zwei Motorspritzen im Einsatz. Wohngebäude, vollgelaufene Keller und Brunnen mussten ausgepumpt werden.
Die Fässer bzw. Halbstücke der Gurkeneinlegerei Krumbein suchten sich den Weg, wie bei jedem Hochwasser, durch die Gärten und Gehöfte Goldner Ring. Die Wassermassen rissen alles mit, was nicht befestigt war.
Manfred Dennstedt (85, Obere Kirchstraße 8, langjähriger Traktorist der LPG Typ I „Neuer Weg“) berichtete mir u.a., dass den Genossenschaftsbauern ihr Vieh in dieser Zeit noch im eigenem Stall stehen hatten. Oskar Röth (Wahlstraße 4 Reiterhof Anhalt) trieb seine Kühe in die nahegelegene Obere Kirchstraße 3 in die große Scheune vom Pfarrhaus. Landwirt Edgar Hirt (Wahlstraße 3 Fam. Manfred Hirt) brachte seine Kühe in die Obere Kirchstraße 6 zu Helmut Heß. Anneliese Sänger, geb. Heynert Goldner Ring 13 (Fam. Sänger) hatte oft erzählt, dass zur Rettung der Bullen ein Loch in der Brandmauer ihres Gehöfts vergrößert wurde. Die Tiere wurden durch diesen Ausgang zum Besenmarkt bzw. Hoher Graben getrieben. Es war auch der Fluchtweg der Bewohner Goldner Ring bei Hochwasser. Walter Reinecke (Goldner Ring 14 Fam. Klippstein) brachte seine Kühe rechtzeitig zu Arno Schadeberg (Goethestraße 1 Fam. Manfred Schadeberg) zur Toreinfahrt Brückenstraße. Die Kühe von Familie Haßkerl/Heyer (Goethestraße 7 Fam. Frank Haßkerl) wurden in die Korngasse 8 zur Verwandtschaft Arthur Seebach geführt. Genossenschaftsbauer Edgar Stedefeld, (Obere Kirchstraße 19 Fam. Gerd Stedefeld) hatte die Kühe auf seiner Weidefläche unterhalb der Koppel stehen. Das Unwetter mit heftigen Starkregen ließ den Suthbach sofort stark anschwellen. Ein Rind wurde von der Weide in den Suthbach gerissen. Vom Fenster der Klippmühle (Hoher Graben 11 Karla Sänger) konnte Johanna (Hannchen) Gebhardt beobachten, dass ein Rind im Suthbach Richtung Brücke schwamm. In der Marktstraße 21 bei Gerda Schönmeyer (Fam. Hoffmann) wurde der große kräftige braune Ochse an der Halskette in die Bahnhofstraße 30 zu Fa. Köber Gurkeneinlegerei (jetzt Thomas Schindler/Stefan Schramm) geführt.
Auch der 90-jährigen Helene (Leni) Schadeberg, geb. Martin aus den (Obere Kirchstraße 17 Fam. Müller) ist dieser Vormittag im Gedächtnis geblieben. Mit den LPG-Frauen Typ I „Einigkeit“ war sie zum Hacken am Raseweg eingeteilt. Als das Donnergrollen bedrohlich näherkam, forderte Feldbaubrigadier Werner Schreiber die Frauen besorgt auf, umgehend den offenen Mannschaftswagen aufzusuchen. Die Heimfahrt aus dem Felde mit dem Treckergespann wurde Gott sei Dank noch rechtzeitig geschafft. Unvergessen ist für den 90-jährigen Heino Haßkerl (Goethestraße 7) dieser Sommertag geblieben. Einige Genossenschaftsbauer der LPG Typ I „Neuer Weg“ (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) waren mit ihren Gespannen im Rasenweg im gotterschen Flurstück „Gericht“ tätig. Da das nahende Gewitter mit Blitzen und Donnergrollen immer näher rückte, erkannte Heino rechtzeitig die Gefahr. Er trieb sein Pferdegespann mit der Peitsche zum Tempo mit lautem „KARACHO“ an. Noch rechtzeitig erreichten er und auch Gespannführer Gerd Krebs die Rasewegsbrücke. Die anderen LPG Bauern mussten zur Heimfahrt später notgedrungen den Bahnübergang nähe Nordmar überqueren, der durch den Posten 18 (Schrankenwärterin Elly Reintanz) gesichert war. Der Nordmar ist die Gemarkungsgrenze zwischen Großengottern und Schönstedt.
Beim Ertönen des Sirenengeheuls wurden die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Großengottern zum Einsatz gerufen. In der Neuen Straße 1 stand das Feuerwehrgerätehaus (jetzt Bauhof). Es war das ehemalige Spritzenhaus der Gemeinde Großengottern. Als Feuerwehrmann konnte Heino Haßkerl nicht sofort im Ort helfen, denn das Vieh im eigenem Stall musste erst in Sicherheit gebracht werden. Der 90-jährige Horst Werner (Angerstraße 40 Haus Hugo Heß) weiß noch, dass er an dem Tag einige Ballen Stroh auf den erhöhten Mist gepackt hatte, um die Schweine, die bereits im Stall im Wasser standen, ins Trockene zu bringen. Die Kuh, die an dem Tag kalben sollte, stand auch auf dem Mist. Da das Wasser schnell wieder abgelaufen war, wurden Schweine und Kuh in die Ställe zurückgeführt. Als die Kuh dann kalbte, war Horst bis Mitternacht bei ihr im Stall. Am anderen Tag war er dann wieder als Feuerwehrmann im Einsatz.
Unser Heimathistoriker Peter J. Klippstein (80) berichtete mir, dass an diesem Tag an der Brücke der Kreuzstraße viele Leute standen. Ein Schwein von Herbert Heyer (Kreuzstraße 32 Peter Heyer), welches in Sicherheit gebracht werden sollte, rannte panikartig in den Suthbach. Peter lief einige Meter am Bachweg entlang, bevor er im Suthbach das Schwein an den Ohren greifen konnte. Zur Hilfe kam ihm Erhard Anhalt aus der Angerstraße, der von seinem Garten aus alles verfolgte. Die Männer schleppten das Schwein mit vereinten Kräften in den Garten. Vom Schlachtfest im Herbst gab es für den Retter Peter eine Schlachtschüssel (Gehacktes, Sülze, Leber- und Buntwurst) als Dankeschön.
In der Kreuzstraße 12 bei den Familien Oskar Hirt und Gerd Krebs standen Garten, Hof und Keller unter Wasser. Ute Buchenau, geb. Krebs, erinnert sich daran, dass die Pferde und Kühe in die Kreuzstraße 9 zu Familie Paul Apel (jetzt Fam. Langer) geführt wurden. Auch die Waidmühle stand unter Wasser. Das Wasser bahnte sich durch die Hausgärten seinen Weg durch Scheunen, Ställe, Höfe, bevor es wieder durch die geöffneten Hoftore der Gehöfte in der Marktstraße abfloss. Michael Oelker hat nie vergessen, dass er mit seinem Vater Apotheker Friedrich Oelker in Gummistiefeln im Kolonialladen Olga Zeng (Goethestraße) mit angepackt hatte. Mit weiteren Helfern wurden aus den zahlreichen Regalen die tieferliegenden Schubkästen herausgezogen und hochgestellt, da das Wasser bereits durch die Ladentür flutete. Weiterhin wurde mir berichtet, dass in der Schulstraße das reißende Wasser Kleinmöbel sowie Hausrat wie Körbe, Eimer, Schüsseln mitführte. Die Holzbrücke über den Suthbach wurde von der Strömung mit einem lauten Knall mitgerissen. Auch ein Aborthäuschen trieb dort im Wasser des Suthbachs.
Die Anwohner der Rosengasse hatten aus Leitern eine Sperre errichtet. Davor wurden aus den angefahrenen Schubkarren der Mist gepackt. Der dadurch entstandene Damm sollte als Schutz dienen. Doch es war vergeblich, denn das Wasser rauschte vom Raseweg durch die Gärten der Rosengasse und lief durch die Höfe in die Straße.
Am späten Nachmittag beim Feierabendbier in unseren 7 Gaststätten leerten sich nach Ertönen der Sirene sofort die Tische, denn ein jeder wusste, was bei Hochwasseralarm zu tun war. Jede Hand wurde gebraucht.
Die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Großengottern unter Leitung von Wehrleiter Paul Apel waren tagelang im Einsatz, um alten Menschen zu helfen, Wohnungen, Keller, vollgelaufene Brunnen in den Gehöften sowie die zahlreichen öffentlichen Gemeindebrunnen auszupumpen. Die Nachfrage an Handwerkern bzw. Elektrikern der PGH Elektrometall (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) aus der Neue Straße waren enorm. Nach kurz zuvor erfolgter Ladenrenovierung traf das Hochwasser besonders hart Bäckermeister Ernst Gottschalk (Kreuzstraße 23).
Meine eigenen Erinnerungen an diesen Tag:
Wir wohnten im „Baumgardt Haus“ in der Feldstraße 4. Bedingt durch das Hochwasser konnten wir am 16. Juli den Polterabend Hoinkis in der Goethestraße 19 nicht besuchen. Da das Wasser von beiden Richtungen von der Reitbahn und vom Suthbach kam, rauschte es durch die Vorgärten Richtung Knoblauchspittel. Fast alle Männer und Jugendliche vom Anger bis Kittel waren bis in der beginnenden Dunkelheit im Einsatz. In den folgenden Tagen holten wir uns regelmäßig vom Tankwagen Wasser zum Verbrauch, da noch nicht alle Brunnen benutzt werden konnten.
Jahrelang war die Markierungslinie des Hochwassers von 1965 an der Rasewegbrücke zu sehen, die seinerzeit Walter Krumbein (Bergstraße) angebracht hatte. Weite Strecken der Felder und Gärten wurden überschwemmt. Ackerflächen wurden abgetragen. In mühseliger Arbeit mussten teilweise die Felder wieder bestellt werden. Enorme Schäden an Gebäuden, Häusern und Straßen wurden der Deutschen Versicherungsgesellschaft (DVA) gemeldet.
Unterstützt wurden die gottersche Bevölkerung durch Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA).
Trotz des Hochwassers fanden am Samstag, 17. Juli 1965, fanden vier standesamtliche Trauungen in der Marktstraße 33 (ehem. Fa. Bertram) statt. Die jungen Eheleute wohnten im Oberdorf und waren vom Wasser nicht betroffen.
Vergessen haben Christel Radigk, geb. Bischoff, und der Seebacher Jochen Radigk nicht, dass der Polterabend durch das Hochwasser abgesagt werden musste. Die Seebacher Fußballer hatten einen Wagen organisiert und wollten eigentlich in Gottern mitfeiern. Abends kam die Küchenfrau Ella Haßkerl in das Hochzeitshaus Marktstraße 31 (Familie Günter Bischoff). Sie kochte bei Kerzenschein auf dem Küchenherd, beheizbar mit Holz und Kohlen, das Hochzeitsessen. Auf dem Weg zum Standesamt bzw. Rat der Gemeinde (Marktstraße 33) wurde wie in fast allen Häusern aufgeräumt. Geröll, Äste, Schlammberge hatten sich angesammelt, denn das Wasser hatte überall seine Spuren hinterlassen. An die Worte der Standesamtsbeamtin Frieda Weisheit erinnern sich Christel und Jochen genau, denn diese war vom Hochwasser total beeindruckt bei der Trauung. Am Nachmittag fand die kirchliche Trauung mit Brautzug in der St. Martini Kirche im Unterdorf statt. Gefeiert wurde zu Hause mit zahlreichen Gästen.
Vergessen hat Heinz Stephan (86 Goethestraße 16) nicht, dass die gotterschen Feuerwehrleute am Tag darauf im Hochzeitshaus Marktstraße Keller und Brunnen auspumpten. Zum Dank wurden sie mit Kaffee und Hochzeitskuchen bewirtet.
Im Juli 1965 war das letzte verheerende Hochwasser in Großengottern, als zwischen Mülverstedt und Flarchheim eine „Regenhose“ niederging und der Suthbach durch den Trichter bei Heroldishausen nicht mehr aufgehalten werden konnte. Seit dieser Zeit überlegte man im Landwirtschaftsministerium, einen Stausee zu errichten, der gleichzeitig auch für Beregnungszwecke der Landwirtschaft dienen sollte. 1972 wurde mit dem Speicherbau begonnen. Der Probestau erfolgte 1974. Sei dem Bau der Talsperre ist unser Ort vor Hochwasser geschützt. So auch im Dezember 2023 als sich im Unstrut-Hainich Kreis die Hochwasserlage durch starke Niederschläge verschärft hatte. Am Samstag, 23. Dezember 2023, erreichte der Pegel des Staudamms eine Wasserhöhe von 7.70 m. Fast stündlich entschieden der Staumeister der Anlage und sein Team, wie viel Wasser vom Staudamm in den Suthbach abgelassen werden durfte. An den Brücken standen wieder die Anwohner und verfolgten gespannt die Wasserhöhe des Suthbach
Im Dorf wird oft geäußert, dass der Staudamm ein Glücksfall ist, denn dadurch sind wir vor Hochwasserkatastrophen geschützt. Danke für die interessanten mündlichen und telefonischen Überlieferungen zum letzten Hochwasser in Großengottern.
Ingrid Baumgardt
Ortschronistin