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Amtsblatt der Gemeinde Unstrut-Hainich
Ausgabe 20/2024
Nichtamtlicher Teil
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Nichtamtlicher Teil

Zukunft braucht Erinnerung -

Jahngymnasiasten besuchen Jugendkonzert der Thüringen Philharmonie

„Wie klingt so ein Orchester? Welche Instrumente spielen wohl mit?“ Fragen, die sich Pepe Wägener (6a) an diesem Donnerstagmorgen, dem 19. September 2024, stellt. Auf dem Stundenplan der 6. Klassen steht der gemeinsame Besuch der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach mit den Klassenlehrerinnen Christina Breitbarth (6a) und Ellen Karmrodt (6b), Referendar Tom Sauer und Musiklehrer Matthias Schwarzkopf.

In der Stadthalle Gotha wartet neben den Orchestermusiker*innen auch der populäre Klarinettist Helmut Eisel auf die jungen Gymnasiasten aus Großengottern.

Klangkörper des Orchesters erleben

Für viele Schüler*innen ist dies die erste Begegnung mit einem Sinfonieorchester. Das lebendige Treiben auf der großen Bühne konnten die Schüler*innen aus nächster Nähe verfolgen und so auch die typische Aufstellung der Musikinstrumente des Sinfonieorchesters nachvollziehen: Die hohen und tiefen Streichinstrumente im Vordergrund, die Holz- und Blechbläser samt Schlagwerk im Hintergrund. Sogar eine Harfe stand auf dem Podium.

Ein faszinierender Geschichtenerzähler auf der Klarinette

Der Musiker Helmut Eisel findet sich an diesem Morgen im stetigen Dialog mit dem Orchester. Er, der Solist, improvisiert frei als Gegenspieler des großen Orchesters, das die festgelegte Partitur Eisels spielt. Bei den Improvisationen legt Helmut Eisel den Focus auf das Momentum: Das was gerade wichtig erscheint, drückt er durch die Klangvielfalt seiner Klarinette aus. So entstehen kleinere Geschichten, einer bedeutsamen Unterredung gleich.

Zwischendurch veranschaulicht Eisel dem Publikum markante Klezmer-Kennzeichen und eröffnet den Schüler*innen eine zunächst ungewohnte Klangwelt.

So erklärt Eisel den hebräischen Ausdruck „Niggun“. Er gebraucht diesen Begriff, um eine eingängige Melodie zu charakterisieren. Einen Ohrwurm! Durch seine Improvisationen bringt er so manchen Niggun zum Erklingen - mal traurig, mal fröhlich.

Auch das Genre der Klezmer-Musik („Gefäß des Liedes“, „Werkzeug der Musik“) erläutert der Klarinettist. Gemeinsam mit Kerstin Klaholz führt er kurzweilig durchs Programm. Helmut Eisel versteht den Musiker als eine Art Gefäß, durch das die Musik hörbar gemacht wird. Ein Klezmorim ist also jener Künstler, der die Musik in sich aufnimmt, um sie weiterzugeben. Klezmermusik wurde ursprünglich bei Hochzeiten und Festen aufgespielt. Fröhliche Rhythmen also, die diese feierlichen Feste begleiteten, die Geschichten erzählen, um Menschen glücklich zu machen - egal welcher Kultur oder Religion sie angehören.

„Rhapsody for an Unknown Klezmer“

Helmut Eisel agiert in Personalunion als Komponist und Interpret. Die Themen und Motive seiner „Rhapsody for an Unknown Klezmer“ stammen aus der bewegten Geschichte des Judentums. Er widmet sein Instrumentalwerk den im Holocaust verfolgten und ermordeten Klezmorim. Durch sein Werk lässt er ihr musikalisches Vermächtnis in der Gegenwart weiterleben und erinnert so an das Schicksal jüdischer Musiker*innen zur Zeit des Nationalsozialismus.

In seiner Rhapsodie greift er verschiedene musikalische Gedanken auf - vitale Rhythmen und melancholische Melodien wechseln sich ab und werden miteinander verbunden. So ist man zunächst Gast einer Hochzeit, bei der fröhliche, feierliche Klänge erklingen. Im zweiten Bild dagegen sind vielmehr ruhige Klänge als Kontrast zu vernehmen. Töne, die für einen Traum oder für (inneren wie äußeren) Frieden stehen könnten. Die Schüler*innen können hier frei assoziieren, was Sie hier hören. Während Eisel die Klarinette spielt, singt er zudem in sein Instrument und entlockt diesem mehrstimmige Klänge. Multiphonics heißt diese kuriose Blastechnik.

Ernst und dramatisch kommt der dritte Akt daher. Mit seiner Klarinette imitiert Eisel die Klangfarbe des Schofarhorns, ein altes Naturhorn aus dem Vorderen Orient, gefertigt aus dem Horn eines Widders. Das Blasinstrument hat seinen Ursprung in der jüdischen Religion und ist als einziges Instrument des Altertums noch heute in Synagogen in Gebrauch. In seinem Werk warnt das Signalhorn mit einem Quartmotiv. Marschtrommeln erinnern an den Krieg und verweisen auf die Engstirnigkeit der Menschen. Arabische Trommelrhythmen schlagen gar den Bogen in die Gegenwart und verweisen auf aktuelle Konflikte. In seiner Musik treffen die Kulturen aufeinander. Sie verschmelzen und gehen eine Symbiose ein.

Das Lied vom Phoenix aus der Asche verkörpert die Hoffnung auf Verständigung. Eisel gibt in seiner Musik einen optimistischen Ausblick. Die Uraufführung seines Werkes fand in der internationalen Holocaust Gedenkstätte in Yad Vashem (Jerusalem) statt, der Gedenkstätte für die ermordeten Juden. Mit seiner Musik setzt er ihnen ein musikalisches Denkmal.

ACHAVA Festspiele

Die Zugabe, das 1940 entstandene Lied „Donna Donna“, - ein regelrechter Ohrwurm - nahmen die Schüler*innen auf ihren Altstadtbummel durch den historischen Stadtkern Gothas gern mit. So trugen sie einem Klezmorim gleich, die Musik in die „Welt“ hinaus. Das Konzert fand im Rahmen der ACHAVA Festspiele statt. Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit stehen dabei im Vordergrund. Musik kann laut Eisel ein Bindeglied zwischen den Kulturen sein. Musik kann Brücken schlagen! Ja, vielleicht sogar Grenzen überwinden. Welch friedvoller und großer Gedanke …

Text & Fotos: Matthias Schwarzkopf

(Studienrat für Musik- & Geschichte

am Gymnasium Großengottern)