Andreas Groß am Flügel und André Kudernatsch zur musikalischen Lesung in der Musikschule Ilmenau
Vom 19. bis 26. September drehte sich im Ilm-Kreis alles um das Thema Demenz. In Vorträgen, Lesungen, Ausstellungen und Workshops wurde nicht nur informiert, sondern vor allem berührt, ermutigt und inspiriert. Eine Woche voller Begegnungen - mit Fachleuten, Betroffenen, Angehörigen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Mit ihr fiel der Startschuss auf dem Weg zu einem demenzsensiblen Landkreis.
Mit einem voll besetzten Saal und über 100 Gästen startete die Woche der Demenz im Parkcafé Ilmenau mit dem ersten Fachtag „Menschen mit Demenz in unserer Mitte“.
Nach der Begrüßung durch Landrätin Petra Enders und Tina Rudolph, Staatssekretärin im Thüringer Ministerium für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie, sprach Gerontologin Anja Schollmeyer über demenzfreundliche Lebenswelten - klar, bewegend und praxisnah. Gemeinsam mit ihrem Sohn präsentierte sie außerdem die Schmerzbeobachtungs-App „Betterdembefore“, die Pflegekräfte und Angehörige dabei unterstützt, Schmerzen bei Menschen mit Demenz frühzeitig zu erkennen und besser zu behandeln. Prof. Kathrin Finke vom Universitätsklinikum Jena stellte anschließend die Arbeit der Gedächtnissprechstunde vor. Großes Interesse weckte zudem die Vorführung der Tovertafel, eines interaktiven Spieltischs, der mit Lichtprojektionen Menschen mit Demenz spielerisch aktiviert und miteinander in Kontakt bringt. Außerdem präsentierte Landrätin Petra Enders das Konzept des „Demenzsensiblen Landkreises“, das zum Ziel hat, Barrieren im Alltag abzubauen und eine Umgebung zu schaffen, in der Menschen mit Demenz nicht ausgegrenzt, sondern selbstverständlich Teil der Gemeinschaft sind. Durch die enge Zusammenarbeit von Kommunen, Einrichtungen, Fachkräften und engagierten Bürgerinnen und Bürgern soll eine Kultur des Verständnisses und der Teilhabe entstehen - von der Arztpraxis über öffentliche Räume bis hin zum gesellschaftlichen Miteinander.
Wie betreut man seinen demenzkranken Vater, wenn man so gar nicht weiß, wie. Was macht es mit einem, wenn aus der Autoritätsperson plötzlich ein Mensch wird, der sich nicht an den vorhergehenden Augenblick erinnert, der in seinen lichten Momenten von Verzweiflung gepackt wird?
André Kudernatsch hat es am eigenen Leib erlebt. Anfang 2024 betreut er seinen demenzkranken Vater über einen Zeitraum von vier Wochen. Die Mutter muss zu einer dringenden Reha. Das kleine Örtchen in der Nähe von Wittenberg, aus dem Kudernatsch stammt, ist ihm unvertraut, ebenso wie der Tagesablauf seines Vaters, die schwierigen Momente, denen er sich nun allein stellen muss. Kudernatsch ist überfordert, schreibt Tagebuch, um das Erlebte zu verarbeiten. Später wird ein Buch daraus.
Mit „Das kannst du voll vergessen“ schreibt er seinen ganz persönlichen Demenzreport. Der Erfurter Satiriker, der eher für seine witzigen Geschichten bekannt ist, greift dabei in ein ganz anderes, eher dramatisches Genre. Sensibel schildert er seine Hilflosigkeit, seine Verwirrung, seinen Versuch zu helfen und letztendlich sein Scheitern. Zwischen den Zeilen, in denen trotz aller Ausweglosigkeit immer wieder ein Fünkchen Humor aufblitzt, wird deutlich, wie sehr ihn die Krankheit seines Vaters mitnimmt, von der in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen betroffen sind.
Am 22. September las André Kudernatsch im Rahmen der „Woche der Demenz“ des Ilm-Kreises in der Musikschule Ilmenau aus seinen Erlebnissen. Die sehr gelungene musikalische Begleitung übernahm Pianist Andreas Groß aus Leipzig. Eindrucksvoll schildert Kudernatsch den ewigen Kreislauf aus herumsitzen, herumsuchen und herumstreiten, erzählt von der mental belastenden Situation, berichtet von Momenten großer Verzweiflung, von seiner eigenen, aber auch der seines Vaters, wenn sich die Wolke im Kopf auflöst und der Vater die eigene Situation in aller Tragik erfasst. In einem dieser klaren Momente schlägt Vater Kudernatsch dem Sohn auf die Schulter und sagt: „Gib das Buch heraus, da sind schon ein paar Schmunzler drin“.
Mit „Das kannst du voll vergessen“ macht André Kudernatsch nicht nur sein persönliches Erleben und den Umgang mit der unheilbaren Krankheit öffentlich, er gibt auch anderen Angehörigen von demenzkranken Menschen Halt. Viele suchen im Nachgang das Gespräch mit ihm und berichten von ihren eigenen Erfahrungen.
Im Frauen- und Familienzentrum Großbreitenbach stand am Dienstag alles im Zeichen der Frage: Was bleibt, wenn die Erinnerung geht? In einem inspirierenden Vortrag beleuchtete Gerontologin Anja Schollmeyer, was Menschen mit Demenz trotz der Krankheit bewahren - ihre Persönlichkeit, ihre Emotionen und ihr Bedürfnis nach Sinn und Zugehörigkeit. Die zentrale Botschaft des Abends: Mit der richtigen Haltung und viel Einfühlungsvermögen können wir ihre Selbstbestimmung im Alltag stärken und ihnen ein Leben in Würde und Teilhabe ermöglichen.
Eine Krankheit, die vieles nimmt - und doch Raum lässt für Nähe, Liebe und Humor. Der Regisseur David Sieveking zeigte mit seinem Werk „Vergiss mein nicht“ im Theater Arnstadt einen zutiefst persönlichen Dokumentarfilm über das Leben mit seiner demenzkranken Mutter. Mit leisen Tönen, feinem Humor und großer Ehrlichkeit erzählt der Film vom Verlust der Erinnerungen - und davon, wie Beziehung trotzdem trägt. Im anschließenden Gespräch nahm sich der Regisseur Zeit für das Publikum, sprach über seine Erfahrungen als Sohn und Pflegender, über Überforderung und innige Momente - und darüber, was bleibt, wenn die Erinnerung verschwindet.
Die Eröffnung der Wanderausstellung „Versteh mich doch! Demenz Normal“ im Foyer der Ilm-Kreis-Kliniken Arnstadt bildete am Donnerstagvormittag einen besonderen Höhepunkt der Woche der Demenz. Zentrales Element der Ausstellung sind sieben farbenfrohe Puppen mit goldenen Händen, die jeweils einen realen Menschen mit Demenz verkörpern - mit eigener Geschichte, individuellen Stärken und besonderen Eigenheiten. Sie machen eindrücklich deutlich: Hinter jeder Diagnose steht ein Mensch mit Erinnerungen, Persönlichkeit und Würde. Konzipiert wurde die Ausstellung von Gerontologin Anja Schollmeyer. Ihr Anliegen ist es, Berührungsängste abzubauen, Perspektiven zu verändern und zu zeigen, dass Demenz mitten in unserer Gesellschaft stattfindet - nicht am Rand. Im Anschluss an die Vernissage hielt die Expertin einen Fachvortrag, in dem sie die Inhalte und Ziele der Ausstellung vertiefte und über den Wert von Teilhabe, empathischer Kommunikation und einer respektvollen Haltung sprach.
Pflegende Angehörige stehen oft unter großer Belastung - genau hier setzte der Mitmach-Workshop im Landratsamt Ilm-Kreis mit Gerontologin Anja Schollmeyer an. Mit praktischen Übungen und alltagsnahen Methoden lernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ihre eigenen Kraftquellen zu stärken.