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Amtsblatt des Ilm-Kreises
Ausgabe 6/2025
Nichtamtlicher Teil
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Nichtamtlicher Teil

Valerie Riedesel hat über die Sippenhaft ihrer Familie ein Buch geschrieben.

Es war eine kleine Runde, die sich am 2. April 2025 zur Lesung von Valerie Riedesel in der Kunsthalle Arnstadt im Rahmen der Gedenkwoche anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung des Außenlagers SIII Jonastal einfand. Das allerdings tat der Veranstaltung keinen Abbruch. Im Gegenteil. Im persönlichen Gespräch mit der Autorin kam vieles ans Tageslicht, das weit über die geplante Lesung aus dem Buch „Geisterkinder“ hinausging.

Valerie Riedesel hat die Geschichte ihrer Familie aufgeschrieben, über die sie als junge Frau eher zufällig stolperte. Die heute 61-Jährige ist die Enkelin von Cäsar von Hofacker, der am 20. Juli 1944 am Attentat auf Hitler beteiligt war. Das Schicksal des Offiziers ist wenig bekannt, ebenso wie die Folgen, unter denen die Familien der Beteiligten zu leiden hatten. So war Anna-Luise, die Mutter der Autorin, 14 Jahre alt, als sie gemeinsam mit ihrem 16-jährigen Bruder Eberhard und ihrer Mutter im Juli 1944 in Sippenhaft genommen wurde und nach einer langen Odyssee und verschiedenen Stationen in Gefängnissen und Konzentrationslagern, unter anderem in Buchenwald, im April 1945 in Südtirol freigelassen wurde. Auch die drei jüngeren Kinder, die jüngste Tochter kaum 6 Jahre alt, blieben nicht verschont. Sie wurden in ein Kinderheim nach Bad Sachsa verfrachtet, ohne zu wissen warum und ob sie ihre Eltern jemals wiedersehen würden. Dort internierte man sie zusammen mit über 40 anderen Kindern aus Widerstandsfamilien. Sehr offen sprach Valerie Riedesel, die heute auf Rügen lebt, über ihren Großvater, der ursprünglich rechtsnational war, Ende der 1930er-Jahre in die NSDAP eintrat und lange der Illusion erlegen war, die Partei von innen reformieren zu können, sodass er sich erst spät dem Widerstand anschloss und von Paris aus, wo er stationiert war, die Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg unterstützte. Er wurde von den Nationalsozialisten als Kopf des Putsches in Frankreich angesehen, am 30. August 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 20. Dezember desselben Jahres in Plötzensee erhängt.

Mit ihrem Erstlingswerk hat Valerie Riedesel, die später noch eine Biografie über ihren Großvater Cäsar von Hofacker schrieb, nicht nur wesentlich dazu beigetragen, ein wichtiges Kapitel der NS-Geschichte aufzuarbeiten. Gleichzeitig hat sie durch ihre Recherchen und die tiefgründige Beschäftigung mit dem Thema auch Lücken in den Erinnerungen der Familie geschlossen, denn eine wirkliche Aufarbeitung hat niemals stattgefunden, zu schmerzlich waren die Erlebnisse, zu gern wollte man das Erlebte vergessen. Gesprochen wurde darüber nicht wirklich. So schließt Valerie Riedesel mit ihrem Buch den Kreis und bringt die Erinnerungen der drei jüngeren Kinder aus dem Kinderheim in Bad Sachsa mit den Erlebnissen der beiden älteren Geschwister und ihrer Mutter in Einklang. Dabei greift die studierte Historikerin auf Tagebücher ihrer Mutter, aber auch ihrer Tante Christa zurück, die ihre Eindrücke im Kinderheim schilderte. Sie gibt Einblicke in den Briefwechsel zwischen ihrer Mutter Anna-Luise und deren Vater Cäsar von Hofacker, in denen ihre enge Bindung deutlich wird.