Patrick Brion, Gerhard Mittelstädt, Dr. Klaus W. Müller
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Am 27. Mai 2024 verstarb Gerhard Mittelstädt in Sutton, Kanada, im Alter von 105 Jahren. Er war der letzte noch lebende Pilot, der 1945 die Me 262 vom Walpersberg nach Zerbst flog.
Gerhard Mittelstädt wurde am 17.09.1918 als eins von 8 Kindern einer wohlhabenden Bauernfamilie in Pommern geboren. Schon in früher Jugend war er mit seinen Geschwistern in die Bewirtschaftung der großen elterlichen Landwirtschaft involviert. Trotz der intensiven Arbeit fand die Familie Zeit sich ihrer musikalischen Leidenschaft, dem Singen und Musizieren zu widmen. Von seinem Vater lernte er als Kind Klavier spielen, die Liebe zur Musik begleitete ihn sein Leben lang. Selbst im hohen Alter von über 100 Jahren sang er noch und spielte dazu auf seinem Akkordeon.
Als Jugendlicher erkannte er, dass die Arbeit in der Landwirtschaft nicht das war, was er wollte, und so meldete er sich 1936 mit 18 Jahren zur Luftwaffe. Die Musterung wurde vom Wehrbezirkskommandeur und der Kreispolizeibehörde durchgeführt, zu dessen Stab ein Hauptarzt, ein zweiter Offizier, Sachbearbeiter der Luftwaffe, Hilfsarzt und Sanitäter Dienstgrade angehörten. Zu den Kriterien der Beurteilung gehörte neben Zähigkeit und Widerstandsfähigkeit eine eingehende Sonderuntersuchung in den Fliegeruntersuchungsstellen der Luftwaffe. Als „Pilot tauglich“ eingestuft und in Quedlinburg ausgebildet, flog er neben anderen auch die He 111, die ihn 1940 zu einer Notlandung zwang, als eins der Triebwerke ausfiel. Er überlebte schwerverletzte, sein Bordmechaniker blieb unverletzt. Nur seine jahrelange Flugerfahrung hatte ihnen das Leben gerettet. Erst ein Jahr nach seiner Genesung erklärte man ihn wieder für flugtauglich. Nun bei den AGO- Werken Oschersleben beschäftigt, flog er als Testpilot 24 Flugzeugtypen zu Kunden. Dazu gehörte auch die Fucke-Wulf 190, die anfangs auch zur Produktion im REIMAHG-Werk geplant war. Ab 1944 testete er Me 262 Prototypen. Gerhard erinnert sich vor allem an den Geschwindigkeitsrausch bei der enormen Startgeschwindigkeit bei dem sein Adrenalienspiegel, wie das Flugzeug selbst in die Höhe schoss.
1945 von den Amerikanern gefangengenommen, nachfolgend in belgischer dann in französischer Kriegsgefangenschaft wird er schließlich nach Deutschland entlassen. Hier wird er mit der katastrophalen Nachkriegssituation konfrontiert, die ihn an ein normales Leben in Deutschland zweifeln lässt. Er wandert nach Kanada aus, um dort als Pilot zu arbeiten, das jedoch an seinen Sprachkenntnissen scheitert. Über Gelegenheitsjobs erhält er eine Arbeit bei einem deutschen Möbel- und Teppichhändler und eröffnet später sein eigenes Geschäft. Heiratet mit 50 Jahren Edith, eine Ostpreußin und nimmt die kanadische Staatsbürgerschaft an. 1985 kauft das Ehepaar eine Farm, zieht nach Sutton und wird Mitglied in der dortigen deutschen Gemeinschaft. 2008 kommt seine Frau bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Trotz des Schicksalsschlags bleibt er unabhängig, ist aktiv und hat selbst mit über 100 nichts von seiner Vitalität verloren, er mäht noch seinen Rasen, pflegt seine vielen Freundschaften und macht regelmäßig Musik in der deutschsprachigen Gemeinschaft. Die für ihn zum 100. Geburtstag, als ein von ihnen sehr geachtetes Mitglied eine große Geburtstagsfeier ausrichteten.
Über viele Jahre, bis zu seinem Ableben, war er ein guter Freund unseres Vereins, mit dem wir uns immer trafen, wenn er in Deutschland weilte. Stets ein Lächeln im Gesicht und mit einem schelmischen Blick aus seinen blauen Augen war er ein Gentleman durch und durch, mit dem man stundenlang reden konnte und dabei nie müde wurde. Bei einen dieser Treffen schenkte er uns sein Flugbuch mit seinen eingetragenen Flügen vom Walpersberg nach Zerbst. Es ist seitdem als Print ein Teil unserer Ausstellung im Stadtmuseum. Bei seinem letzten Besuch erzählte er uns, dass die Zeit mit der Me 262 seinen Lebenswahlspruch prägte, wonach Geschwindigkeit das halbe Leben sei, dennoch war er froh, dass dieser Wahnsinnskrieg zu Ende war und das Beste, was er in seinem Leben getan hätte die Auswanderung nach Kanada war.
Gerhards Flugbuch widerspiegelt eindrucksvoll seine Flugleidenschaft als Pilot. Die handschriftlich geführten, mit Stempeln versehenen Eintragungen verweisen am Ende des Krieges auf eine Karriere mit 1.757 Starts, er flog 37 Flugzeugtypen und hatte 844 Flugstunden, zu seinen Flugzielen gehörten u.a. Italien, Polen, Frankreich, Österreich sowie Deutschland weit.
Wir verabschieden uns an dieser Stelle von einer sehr beeindruckenden Persönlichkeit. Die Erinnerung an ihn und seine Lebensgeschichte werden wir bewahren.