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Kahlaer Nachrichten
Ausgabe 20/2023
Vereine und Verbände
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Der Förderverein „Mahn- und Gedenkstätte Walpersberg e.V.“, Sitz Kahla, informiert:

Christine mit einem US-Offizier, Neues Jagdschloss Hummelshain

Christine auf der Leuchtenburg, Sommer 1945

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Christine - von Indien nach Hummelshain

Vor einiger Zeit erhielten wir Post aus Kanada. Wie so oft, war es ein Auskunftsersuchen zu einem Familienmitglied, ehemals im Betriebskrankenhaus der REIMAHG tätig. Im Verlauf dieser Korrespondenz entstand eine abenteuerlich menschliche Geschichte - die Lebensgeschichte von Christine.

Sie war eine zierliche Frau, am 2. Januar 1912 in Kendal, Provinz Java, Niederländisch-Indien geboren. Eine von drei Kindern aus der Ehe eines holländischen Plantagenbesitzers mit einer javanischen Frau. Nach dem Schulabschluss schickten sie ihre Kinder, wie zu dieser Zeit üblich, für eine bestmögliche Ausbildung nach Holland.

Christine und ihre zwei Geschwister wohnten anfangs bei Verwandten in Amsterdam. Später zogen auch ihre Eltern von Indien zurück nach Holland und die Familie wohnte in Den Haag. Nach ihrem Schulabschluss studierte Christine in Leiden Medizin, wurde Ärztin und arbeitete in der Abteilung für Neurologie im Rijngeest Krankenhaus.

Mitte der 30iger Jahre zog sie nach Warschau und war dort als Ärztin tätig. Hier lernte sie ihren ersten Mann, Waclaw Orzechowski, einen polnischen Offizier kennen und beide heirateten. Das Ehepaar bekam zwei Kinder, Stefan (1938) und Emilia (1942).

1944 erreicht der Krieg die polnische Hauptstadt, wo sich die polnische Heimatarmee gegen die deutschen Besatzungstruppen erhebt, der als Warschauer Aufstand in die Geschichte einging. 63 Tage leisten die Kämpfer Widerstand, bevor sie angesichts der aussichtslosen Situation kapitulieren.

Ihr Mann Waclaw kommt ins Konzentrationslager Mauthausen/Österreich. Christine, mit ihren zwei Kindern hatte mehr Glück. Sie besaß Dokumente, die sie als Ärztin auswiesen, wodurch sie zwar einer Deportation entging aber dennoch nach Deutschland geschickt wurde.

Über Umwege kommt Sie mit ihren Kindern Ende September 1944 im Durchgangslager/Erfurt an. Hier bleibt sie einige Wochen und wird am 23. November 1944 als Ärztin ins Betriebskrankenhaus der „REIMAHG“ nach Hummelshain geschickt.

Untergebracht wurde sie im Neuen Jagdschloss. Um arbeiten zu können, werden ihre Kinder von einem polnischen Mädchen, Piasecka Hipolita (1925 - 2022), auch Paula genannt, liebevoll betreut. Paula ist in die Familie so integriert, dass sie auch nach dem Krieg weiter für die Kinder sorgt.

Mitte April erreichen die amerikanischen Truppen Hummelshain. Das Betriebskrankenhaus wird unter ihrer Leitung als „Displaced Persons“ Krankenhaus weitergeführt und von medizinischen Einheiten der US-Armee verwaltet. Mit einigen der Offiziere, die im Neuen Jagdschloss das Krankenhaus betreuen, freundet sich Christine an und besucht mit ihnen die Region um Kahla, auch das KZ Buchenwald/Weimar ist Ziel eine ihrer Reisen.

Am 19. Juni 1945 erhält sie von Oberleutnant Bertram Kupsinel, Verwalter des 76. Armored Medical Battalion, die Genehmigung mit ihren Kinder nach Den Haag zurückzukehren. Der Grund dieser Rückkehr ist höchstwahrscheinlich die Nachricht, dass ihr Mann Waclaw, der vom KZ Mauthausen in ein französisches Armeekrankenhaus in der Nähe von Paris verlegt wurde, am 6. Juni 1945 an Typhus verstarb.

Zurück in Den Haag, heiratet sie später Bernard Bon. Mit ihm geht sie nach Indien und später nach Indonesien, wo sie jeweils als Ärztin tätig ist.

Anfang der 60iger Jahre kehren sie zurück und wohnen in Blaricum, einer niederländischen Gemeinde im Südosten der Provinz Noord-Holland. Dort arbeitet sie von 1962 bis 1986 als Hausärztin. Von ihren Patienten sehr geachtet, nennt man sie allgemein nur „Doktor Bon“.

Bernhard ihr zweiter Ehemann stirbt 1985. Im gesegneten Alter von 98 Jahren folgt ihm Christine am 26.Januar 2010.

Diese Geschichte ist nicht zu Ende. Die kanadische E-Mail, die so viel bewegte, war Grundlage für eine inzwischen tiefe, sehr freundschaftliche Beziehung zur Familie von Christine.

Emilia Orzechowska, die Tochter von Christine lebt heute in Frankreich. Stephan, ihr Enkel lebt mit seiner Familie in Kanada. Nächstes Jahr im Mai, anlässlich die Gedenkfeierlichkeiten, werden wir Emilia und Stephan mit seiner Familie in Kahla begrüßen können.

Diese besondere Geschichte wird am 10. Mai 2024 auf dem Ehrenhain in Hummelshain einen würdigen Abschluss für die Familie bilden. Hier wird in einem restaurierten Portal einer ehemaligen Krankenbaracke die Geschichte des Betriebskrankenhauses dokumentiert. Alle Zwangsarbeiter, die hier ihre letzte Ruhe fanden, werden namentlich aufgelistet, aber auch die Geschichte des Personals, Helfer und Angestellte wird erzählt, wie die von Christine.