Alois Gries mit einem kunstvollen Schleifstein als Relikt der Zigarrenherstellung in Heyerode.
Der Arbeitsplatz eines Zigarrenmachers in der Heimatstube Heyerode.
Von Reiner Schmalzl
Heyerode. Wie ein Kunstwerk mutet der gelblich schimmernde Sandstein an, den Alois Gries geradezu ehrfurchtsvoll in den Händen hält. Als der Heyeröder vor Jahren auf den sonderbaren Fund auf dem Dachboden gestoßen war, wurde zunächst gerätselt. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass es sich dabei um einen Schleifstein für Messer der Zigarrenmacher handelte. Denn in dem Haus der Familien Gries und Müller in der Franzstraße in Heyerode befand sich einmal die Zigarrenfabrik J. A. Stützer. „Wir kennen das alles nur vom Erzählen“, verweist der 79-jährige Alois Gries. Allzu gern wüsste er auch, wie es anschließend in der dort eingerichteten Strickerei wohl zugegangen sei.
Vor 100 Jahren erlebte die Zigarrenmacherei mit 15 kleineren und größeren Betrieben in Heyerode ihren Höhepunkt. „Es gab noch Petroleumleuchten und die Räume waren ganz schwarz von Rauch und Staub. Erst 1913 bekamen wir elektrisches Licht. Wir arbeiteten an den Wochentagen von 7 bis 19 Uhr und samstags von 7 bis 16 Uhr“, schilderte der Tabakarbeiter Friedrich Peterseim seine Erlebnisse in der 1964 erschienenen Chronik. Oftmals saßen ganze Familien bis spät in die Nacht zu Hause zusammen, um die Tabakblätter zu entrippen.
So lässt sich heute nur noch ansatzweise die beschwerliche Arbeit der Tabakarbeiter einst in vielen Dörfern des Südeichsfeldes und der Region Eisenach nachvollziehen. In der Heyeröder Heimatstube befindet sich beispielsweise der Arbeitstisch eines Tabakmachers mit den entsprechenden Utensilien. Und in einem dort ausgestellten Korb boten Frauen und Handelsleute früher die Zigarren an, wie Dieter Herold als Vorsitzender des Heimatvereins erläutert.
Im Jahr 1892 hatte die Firma I. H. Bruns aus Eisenach mit ihren damals 18 Filialen auch die erste Niederlassung auf dem Tanzsaal der Gaststätte „Grüner Rasen“ in Heyerode eröffnet. Auf einem schmuckvollen Briefkopf von 1900 ist beispielsweise der damalige Betrieb in der Karlstraße abgebildet. Darin befindet sich heute das Hotel „Zum Eichsfelder Fleischer“. Welchen Umfang allein jene Filiale hatte, erinnerte vor geraumer Zeit Gisela Funke als Tochter des dort wirkenden letzten Zigarrenmeisters. Bis zu 167 Menschen hatten dort einmal gearbeitet, während die Familie im Dachgeschoss des Fabrikgebäudes wohnte. In Heyerode gabe es zudem Filialen der Firmen Martin Brinkmann (Treffurt), Eisenhardt (Mühlhausen) und Gebrüder Caspers (Hitdorf am Rhein).
Auch Franz Marx (1907-1978) zählte vor dem Zweiten Weltkrieg zu den gefragten Zigarrenmeistern in Heyerode. Und dessen Tochter Ursel Stützer (87) war bis zu Wende 1990 in dem damaligen Betriebsteil des VEB Tabak Nordhausen (Werk Treffurt) insgesamt 20 Jahre als Lohnbuchhalterin beschäftigt. Dass sie auf ihre Weise der einst so traditionsreichen wie beschwerlichen Branche der Zigarrenmacherei treu geblieben war, sei nicht unbedingt gewollt gewesen. „Ich konnte es manchmal nicht mehr hören, denn es wurde zu Hause nur von Zigarren gesprochen“, blickt die Seniorin dennoch dankbar auf die Arbeit in ihrem Heimatort zurück.
In Diedorf begründete bereits 1871 Christoph Mehler die Zigarrenherstellung mit bis zu 30 Arbeitern. Im Jahr 1906 sind in einem umgebauten Pferdestall beim alten Schulzen für die Treffurter Filiale von Bremer Herstellern Zigarren gerollt worden. Die Höchstleistung sollen 55.000 Stück jährlich gewesen sei. Wegen der Konkurrenz durch die Strickereien und mangelnder Arbeitskräfte wurde die Zigarrenproduktion in Diedorf dann um 1928 aufgegeben. In Heyerode und Treffurt hielt sie sich noch bis zur Wende 1989/90.
Die Firma von Albert Dathmann, Vernheim und Schmidt aus Leipzig wiederum hatte eine Filiale für Zigarrenherstellung in Faulungen. Diese befand sich über dem Saal der Gaststätte Theresia Völker. Im Volksmund war es unter „Hallans“ in dem Dorf ein Begriff, wie Margareta Mühr vom Heimatverein erinnert. Während eines Heimatabends zu Pfingsten hatten die Faulunger die Zigarrenmacherei einmal thematisiert, schwärmt Margareta Mühr noch heute über die damit verbundenen humorvollen Episoden. Um 1950 habe es noch etwa 15 Beschäftigte gegeben, bevor die Strumpfwarenfabrik Esda Diedorf dort einen Betriebsteil bezogen hatte.
Dass man das einst so prägende Handwerk der Zigarrenherstellung in Heyerode und in der Region tiefgründiger erforschen müsste, sind sich Dieter Herold und Ortschronistin Bernadette Mainzer einig.