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Amtsblatt der Gemeinde Südeichsfeld
Ausgabe 5/2024
Aus den Ortschaften
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Verschiedenes

Tim Siegmund, Niklas Köthe und Antonio Jäger (von links) haben die Situation zum Ende des Zweiten Weltkrieges auf einer Karte anschaulich dargestellt.

Schüler finden Spuren des Zweiten Weltkriegs

In ihrer Projektarbeit befragen Zehntklässler Zeitzeugen und erstellen Material für Geschichtsunterricht

Von Reiner Schmalzl

Heyerode. Sie mussten als Kinder und Jugendliche die kaum vorstellbaren Schrecken des Zweiten Weltkrieges miterleben. Jetzt haben letzte Zeitzeugen gegenüber der Enkel- und Urenkel-Generation teils zum ersten Mal und auf eindrucksvolle Weise geschildert, wie sich die Flucht aus der Heimat und der Einmarsch der amerikanischen Befreier im Eichsfeld auch noch nach fast 80 Jahren fest in ihren Köpfen eingebrannt haben.

So begaben sich Antonio Jäger, Tim Siegmund und Niklas Köthe aus der Klasse 10 der Thüringer Gemeinschaftsschule Südeichsfeld in Heyerode für ihre Projektarbeit „Das Ende des Zweiten Weltkrieges und der schwere Neuanfang“ intensiv auf Spurensuche, um bislang wenig bekannte Details dieses dunklen Geschichtskapitels zu dokumentieren und dem Vergessen zu entreißen. Entstanden ist zugleich authentisches Lehrmaterial für den Geschichtsunterricht.

„In den Straßengräben überall Teile von Leichen. Es war keine Zeit, die Toten würdevoll zu bestatten. Jeder musste schnell weiterziehen“, schilderte die heute 87-jährige Elfriede Bauer die Flucht ihrer Familie aus dem damaligen Ostpreußen gegenüber Antonio Jäger. Der Opa von Niklas Köthe wiederum, der aus dem schlesischen Großrinnersdorf stammt, kennt das Geschehen nur aus Überlieferungen und wurde 1949 in Mihla eingeschult.

Wie die Heyeröder Bevölkerung am 3. April 1945 die in ihr Dorf vorrückenden Panzer der 3. US-Armee aus Richtung Diedorf und Schierschwende erlebte, war Tim Siegmund mit weiteren Fakten bislang nur aus der Chronik bekannt. Doch von einem Zeitzeugen erfuhr der Schüler, wie sich die Besetzung der amerikanischen Befreier im Detail abgespielt hatte. So musste eine Familie ihr Haus damals binnen zwei Stunden räumen, damit darin etwa 30 Feldbetten für die einrückenden US-Soldaten aufgestellt werden konnten.

An Lebensmitteln wollten die Amerikaner zumeist nur Speck und Eier sowie Geflügel zum Schlachten. Während ihnen die hiesige Wurst unbekannt schien, waren die Soldaten anfangs insgesamt äußerst skeptisch gegenüber der deutschen Bevölkerung. Aber das Spielzeug des Heyeröder Jungen wurde zum Beutegut und muss wohl mit nach Übersee gegangen sein, vermutet der heutige Uropa. Zum Besatzungswechsel im Juli 1945 quartierten sich dann in vielen Häusern des Eichsfeldortes sowjetische Offiziere und Soldaten ein. Die Angst und das Bangen der Leute waren noch lange nicht zu Ende angesichts der ungeklärten Schicksale vieler Kriegsgefangener und Vermisster.

Unterstützt wurden die drei Heyeröder Schüler bei ihren Recherchen auch von der Filmautorin Christa Pfafferott, die mit ihrer Kriegsdokumentation „Die Ecke“ für die entsprechenden Hintergründe und weitere Ansätze zur Aufarbeitung des Kriegsgeschehens hier in der Region lieferte. „Es freut mich auf jeden Fall, dass sich junge Schüler für das Thema begeistern“, sagte die Regisseurin, als sie von der erfolgreich umgesetzten Projektarbeit erfuhr.

Dass die nun schon so lange zurückliegenden Kriegsereignisse noch recht tief im Bewusstsein einiger Dorfbewohner von Oberdorla haften geblieben sind, waren die Filmemacher um Christa Pfafferott immer wieder erstaunt. Ähnlich ging es jetzt auch den drei wissbegierigen 16-jährigen Jungen aus Heyerode. Bewusst wurde ihnen dabei, dass es nur noch sehr wenige Zeitzeugen zum Dokumentieren jenes Geschichtskapitels hier vor der Haustür gibt.

Die Bilddokumentation der Schüler umfasst neben dem legendären Foto des amerikanischen Frontberichterstatters Charles Eugene Sumners (1923 - 2004) mit dem gefallenen Soldaten Robert V. Wynne der US-Armee in der Heyeröder Straße in Oberdorla auch den dort vor 25 Jahren für ihn aufgestellten Gedenkstein. Thematisiert hat Antonio Jäger weiterhin die Kämpfe zwischen Verbänden der US-Armee und der Hitlerwehrmacht um den 7. April 1945 in Struth. Wie die Amerikaner und Sowjets das Nachkriegs-Deutschland gestalteten und über einen Gebietsaustauch verhandelten, erläuterte Tim Siegmund am Beispiel des Wanfrieder Abkommens vom 17. September 1945.

„Krieg müsste es nicht geben. Es ist was ganz Abscheuliches“, blickt die 87-jährige Elfriede Bauer als eines der letzten betroffenen Opfer von Flucht und Vertreibung auf den von Hitlerdeutschland angezettelten Zweiten Weltkrieg zurück. Im Gegensatz zu ihren Eltern sei sie dann ab 1948 in Heyerode heimisch geworden.