Abb. 1: Der Bagger bei den Abrissarbeiten
Abb. 2: Ein eleganter Lampenschirm im Abrissstaub
Im 19. Jahrhundert prägten mächtige giebelständige Bauernhäuser das Bild der Dorfstraße. Einige dieser Häuser waren mit charakteristischen Krüppelwalmdächern ausgestattet. Das stattliche Fachwerkhaus in der Dorfstraße 51 wurde über Generationen hinweg von der Bauernfamilie Weinrich bewohnt, deren Name in Steinbach weit verbreitet war.
Als eine Frau aus Reinholterode mit dem Mädchennamen Simon in die Familie einheiratete, erhielt der Hof den Spitznamen „Semms“. Der letzte Weinrich-Bauer wurde daher „Semms Anton“ genannt. In den 1930er-Jahren führte er neben der Landwirtschaft auch eine Handelsgeschäft mit Kunstdüngemitteln und Kohle.
Nach dem Zweiten Weltkrieg diente die geräumige Scheune des Hofes als Lager für das Abgabesoll der Steinbächer Bauern sowie für Saatgetreide.
Nachdem Maria Weinrich, die letzte Bewohnerin verstorben war, blieb das einst prächtige Fachwerkhaus von Ende der 1990er-Jahre bis heute unbewohnt. Zwar wurde es verkauft, doch kein neuer Mieter zog ein und das wertvolle Gebäude verfiel zunehmend.
Am 17. Dezember 2024 wurde das Haus, das wegen seiner Einsturzgefahr bereits für viel Unmut gesorgt hatte, abgerissen. Die Arbeiten führte eine Fachfirma aus. Dem großen Bagger konnte das Gebäude nicht standhalten: Balken, Bauschutt und die letzten Ausstattungsstücke wurden auf einen großen Haufen geworfen.
Einzig am Straßenrand stand eine Windfege - eine Maschine zur Reinigung von Getreide. In ihrem Trichter fanden sich einige alte Quittungen und Rechnungen. Besonders interessant war eine „Verpflichtung“ aus dem Jahr 1948: Aloys Schneider, genannt „Lings Aloys“, ein kleiner Bauer, hatte nach dem harten Winter 1945/46 sein gesamtes Saatgetreide aufgebraucht. Um seine Felder bestellen zu können, kaufte er von der Gemeinde Steinbach 1,5 Doppelzentner Hafer. Die Vereinbarung verpflichtete ihn jedoch, nach der Ernte 1946 zusätzlich zur Pflichtabgabe noch 10 % mehr Hafer zurückzugeben. Andere Quittungen stammten z.B. von der Maschinenfabrik Franz Kühne aus Heiligenstadt, die Holzschneidearbeiten durchgeführt hatte. Elektromeister Adolf Raabe aus Breitenworbis, der übriges in Steinbach viele Arbeiten ausführte und auch Rundfunkgeräte (Radios) verkaufte, hatte 1939 eine Zählertafel und einen Abzweigkasten installiert. Auch diese Investition belegt eine aufgefundene Rechnung. Wohl noch aus der Zeit der Elektrifizierung Steinbachs (1921) stammte ein Lampenschirm mit bemalter Pergamentbespannung. Er hing nun während der Abrissarbeiten einsam in einem der Zimmer.
Die Abrissarbeiten wurden an einem einzigen Tag abgeschlossen. Wer am Abend an der Baustelle vorbeifuhr, erblickte hinter dem Bauzaun nur noch einen großen Haufen Bauschutt. Ein vertrauter Teil des Dorfbildes war endgültig verschwunden.
Die Dorfmitte Steinbachs, einst geprägt von dem stattlichen Fachwerkhaus, wirkt nun leer und unwirtlich. Es bleibt ungewiss, ob und wann an dieser Stelle Neues entstehen wird. Vielmehr scheint es, als würde der Anblick des leeren Platzes und des Bauschutthaufens noch lange das Bild des Dorfes prägen.
Mit dem unvermeidlichen Abriss endet nicht nur die Geschichte eines Hauses, sondern auch ein Stück der kollektiven Erinnerung des Dorfes. Was bleibt, sind die Erzählungen, wenige Fundstücke und Dokumente, die von den Menschen und ihrem Alltag berichten, die einst hier lebten.
Peter Anhalt