Pfr. Roth (3.v.l.) mit Weihbischof Hugo Aufderbeck (4.v.l.) bei der 1. Wallfahrt 1971
Das Grabmal auf dem Steinbächer Friedhof
Früher habe ich gern zugehört, wenn die Älteren Geschichten über ehemalige Pfarrer der Gemeinde erzählten. Vor rund 40 Jahren stand in der Mauritiuskirche in Steinbach ein Sarg: Pfarrer Hermann Josef Roth wurde zu Grabe getragen. Viel ist bisher nicht über ihn berichtet worden - nun möchte ich in die Rolle der Alten schlüpfen, in meinen Erinnerungen kramen und das Wichtigste aufschreiben.
Ich hatte bei Pfarrer Roth Religionsunterricht, diente als Messdiener und war später auch Lektor. Damals war ein Pfarrer noch eine echte Respektsperson. Wenn er durch die Straßen ging, gab es für uns Kinder zwei Möglichkeiten: schnell hinter dem Hoftor verschwinden - oder ihm entgegengehen, die Hand reichen und mit einem ehrfürchtigen „Grüß Gott, Herr Pfarrer“ grüßen.
Roth war gebürtiger Berliner, und manchmal berlinerte er auch. Besonders gern erzählte er von „Eulalia Zuckerstengel und Fritz Dünenbier“ - Figuren, die für den einfachen Menschen standen. Eigentlich aber war er in Weimar groß geworden. Musik lag ihm im Blut, er war ein begabter Musiker und fing auch an Musik zu studieren. Doch dann kam der Krieg mit seinen Grausamkeiten. Die Erfahrungen des Krieges führten den jungen Mann schließlich in den Dienst der Kirche. Seine Ausbildung erhielt er im Priesterseminar in Fulda, das damals für Thüringen zuständig war. Dort wirkte übrigens auch viele Jahre die barmherzige Schwester Gottfrieda Weber (1888-1957) aus Steinbach - so entstanden wohl erste Verbindungen nach hier.
1951 wurde Roth im Hohen Dom zu Fulda zum Priester geweiht. Es folgten Kaplansjahre in Apolda und Heiligenstadt (St. Marien). 1958 wurde er Pfarrkurat in Allstedt, und 1964 kam Roth schließlich nach Steinbach.
Die kleine Gemeinde bekam diesen begabten Priester wohl auch deshalb, weil er zuckerkrank war. Mit dem bäuerlichen Leben konnte er allerdings wenig anfangen - das war ihm völlig fremd. Und oft litt er hörbar, wenn der Gemeindegesang durch die Kirche dröhnte: laut, aber ständig von langen Pausen unterbrochen, weil die Leute kräftig Luft holen mussten. Während seiner ganzen Amtszeit versuchte der musikalische Pfarrer, den Gesang zu verbessern.
Zu Hilfe kam ihm dabei, dass damals ein neues Gesangbuch eingeführt wurde. Zunächst erschien ein sogenanntes „Interimsgesangbuch“, und vor jeder Heiligen Messe wurde mit der Gemeinde ein neues Lied eingeübt. Die damals modernen Lieder werden übrigens heute noch mit mehr Schwung und Freude gesungen als manche der alten, traditionellen Weisen.
Pfarrer Roth war die Würde der Liturgie von Herzen wichtig. Die Messdiener erhielten von ihm persönlich eine gründliche Ausbildung. Das „Suscipiat“ zum Beispiel, sollte so laut und deutlich gesprochen werden, dass - wie er meinte - selbst der Organist hinten auf der Empore jedes Wort verstehen könne. Noch heute gehen mir die Worte mühelos über die Lippen: „Suscipiat Dominus sacrificium de manibus tuis, ad laudem et gloriam nominis sui …“
Auch sonst wurde alles genau eingeübt: Kniebeugen, das aufrechte Sitzen, das Falten der Hände, das würdevolle Schreiten. So entstand in Steinbach bald eine Art „Elitetruppe“ von Messdienern. Nicht jeder Junge wollte diese Strenge mitmachen, und die Reihen lichteten sich.
In den Schülermessen, die morgens vor der Schule stattfanden, sang zusätzlich eine kleine Schola. So bekamen selbst die Werktagsgottesdienste einen feierlichen Charakter.
Vor den Hochfesten gab es für uns Messdiener immer zusätzliche Proben. Die Abläufe mussten sitzen, denn besonders die Kar- und Ostertage stellten hohe Ansprüche. Kurz vor der Messe, in der Sakristei, war mit Pfarrer Roth allerdings nicht mehr zu spaßen: Fragen der Messdiener duldete er dann nicht, er war ganz auf die Feier konzentriert.
Unvergesslich ist mir sein Gesang des Exsultet in der Osternacht. In diesem großen Jubelruf über die Auferstehung konnte er seine musikalische Begabung voll entfalten. Die Worte und die Melodie füllten die ganze Kirche - und ich spüre noch heute etwas von der Feierlichkeit, die damals den Raum erfüllte.
Wenn der Pfarrer abends an der Orgel übte, lohnte es sich, stehen zu bleiben. Er holte alles aus dem kleinen Instrument heraus - ein ganz anderer Klang als die gewöhnliche Begleitung beim Gemeindegesang.
Im Religionsunterricht erzählte er gelegentlich von Udo Jürgens. Er hatte im Fernsehen gesehen, wie dieser am Klavier komponierte und seine Noten gleich notierte. Beethoven aber war sein großes Vorbild: der Komponist, der seine Werke im Kopf entwarf und sie dann eilig auf das Notenblatt brachte.
Einmal, als ich zum Üben einer Lesung in sein Studierzimmer eingeladen war, schlug er den Klavierdeckel auf und begann zu spielen. Dann meinte er bewundernd, dass sein schwarzes Klavier wie ein großer Flügel klinge - und freute sich sichtlich darüber.
Auch den Religionsunterricht hielt Pfarrer Roth persönlich. Ein ausgezeichneter Pädagoge war er nicht unbedingt - Unwissenheit konnte ihn schnell in Rage versetzen -, doch gelernt haben wir unter ihm viel. Er gab uns auch seine andere Sicht auf die in der Schule gelehrten Themen wie Materialismus, Marxismus und Leninismus mit auf den Weg, ein gutes Rüstzeug für das Leben.
Natürlich gehörten auch viele Lieder zum Unterricht, die die Stunden auflockerten. Es war nicht nur Ernstes dabei, sondern auch fröhliche Stücke wie „Antek sitzt in Milchbar drin…“ oder „Tief im Urwald Brasiliano…“, die für Abwechslung und gute Laune sorgten.
Mit dem sozialistischen Staat stand der Pfarrer auf Kriegsfuß, und mit seiner Meinung hielt er nicht hinterm Berg. Er wusste genau, wie gedrückt die Stimmung in seinem Dorf im Sperrgebiet war, und freute sich umso mehr, dass der Wallfahrtsort Etzelsbach - außerhalb der Sperrzone - zu einem Ort der Begegnung zwischen Ost und West wurde.
Einige Begebenheiten und Anekdoten hat Pfarrer Roth in seinen Aufzeichnungen für die Nachwelt festgehalten. Heute sind sie eine wichtige Quelle über seine Zeit in Steinbach. Er selbst meinte seinerzeit, dass er eine gut gefüllte Stasiaktakte habe. Bisher hat sie niemand eingesehen, doch sicher würde sie noch einige interessante Details ans Licht bringen.
Pfarrer Roth war streng, fordernd und manchmal ungeduldig, aber er hinterließ bei jedem von uns den Eindruck eines Mannes, der seine Berufung ernst nahm, der den Glauben lebendig hielt, der Musik liebte und der wusste, wie man Tradition mit Leben füllt. Noch heute klingen seine Lieder, seine Worte und sein Gesang in meiner Erinnerung nach. Einen Brief, den er mir als Soldat schrieb, habe ich aufbewahrt. Pfarrer Roth verließ 1977 Steinbach und ging nach Wiesenfeld. Als Pfarrer in Ruhe, aber im Dienst ist er in Wernshausen (bei Schmalkalden) verstorben.
Pfarrer Roth wurde 1985 auf dem Steinbächer Friedhof begraben, neben dem Erzpriester Leo Franskowski (1883-1948). Ein auferstehender Christus, aus Holz geschnitzt, ziert sein Grab. Den Spruch an der Friedhofskapelle hat Roth selbst auswählt: „Mors Porta Vitae“ - der Tod ist die Pforte zum Leben. Das war seine Überzeugung, sein Glaube, den er sein Leben lang lebte und weitergab.
Peter Anhalt
Ausschnitt aus der Pfarrchronik,
aufgeschrieben von Hermann Josef Roth
Steinbach ist eine Grenzgemeinde. Das hat sich auch hier wie vermutlich in vielen Grenzgemeinden ausgewirkt. Zunächst war nach dem Krieg das Flüchtlingsproblem zu bewältigen. Vorbereitet wurde es schon im Krieg, als die Bombengeschädigten aus dem Rheinland nach Steinbach evakuiert wurden. Wie überall, so hatten diese schwer geprüften Familien auch hier teils verständnisvolle, hilfreiche Aufnahme gefunden, aber auch mürrische, frostige Art. Es gab freigiebige und geizige. Auch solche, die aus der Zwangslage dieser Armen noch ein Geschäft machten.