Eduard Tryba
Berthold Schneider
von Peter Anhalt
Das Raphaelsheim wurde 1914 in Heiligenstadt als kirchliches Haus für schwererziehbare Kinder und Jugendliche gegründet. Bis in die 1960er Jahre hinein erzog man hier Kinder und gab ihnen eine Schulausbildung. Nach der Ausbildung sorgte die Einrichtung auch dafür, dass die Jugendlichen in normale Familien kamen und möglichst einen Beruf lernten. So kamen auch mehrere Zöglinge dieser Anstalt nach Steinbach. Eine Lebensgeschichte wusste Rita Albrecht (1934-2022) zu erzählen. Sie war die Tochter des Stellmachermeisters Josef Schneider. Ihr älterer Bruder Berthold (1924-1942) erlernte den Beruf des Vaters und sollte später das Geschäft übernehmen.
Mit Berthold zusammen lernte Eduard Tryba (1925-1999) das Handwerk, der vom Raphaelsheim vermittelt wurde. Allerdings kam Eduard bereits 1935 nach Steinbach (mit 10 Jahren). Er muss also auch eine Zeit lang in Steinbach zur Schule gegangen sein?
Beide jungen Männer wurden gleich behandelt und schliefen im gleichen Zimmer. Nur hatte Eduard Tryba einen viel schwierigeren Lebensweg hinter sich. Er war in Hamborn, einer aufstrebenden Stadt bei Duisburg geboren, wo auch viele Eichsfelder arbeiteten. Leider verstarb seine Mutter bereits 1931. Da der Vater bei der Reichsbahn arbeitete und nie daheim war, kümmerte sich eine Tante um ihn und seine jüngere Schwester. Doch sie scheint die zusätzliche Belastung nicht ausgehalten zu haben. Über Eichsfelder Bekanntschaft muss sie den Kontakt zum Raphaelsheim in Heiligenstadt bekommen haben. Beide Kinder kamen nun nach Heiligenstadt. Das Heim vermittelte sie nach einer gewissen Zeit in andere Haushalte, den Jungen nach Steinbach, seine Schwester später nach Wüstheuterode. Das Raphaelsheim hatte aber weiter die Oberaufsicht über sie und in gewissen Abständen besuchten Mitarbeiter die Jugendlichen.
Eduard Tryba schloss seine Lehre ab und musste dann zum Reichsarbeitsdienst. Er wurde in die Normandie verlegt, um beim Bau von Befestigungsanlagen zu helfen. 1943 kam er zur Wehrmacht. Bei der Ausbildung ist er schwer verwundet worden, als ein Ausbilder an einer scharfen Bombe den Zünder erklären wollte. Die halbe Rekrutenabteilung starb, er selbst verlor ein Auge und wurde am Knie schwer verletzt. Er kam nach Weimar und wurde im dortigen Lazarett wieder „Kriegsverwendungsfähig“ gepflegt. Dann musste er wieder in den Krieg, der für ihn mit einer Gefangenschaft endete. Nach Steinbach ist Eduard Tryba nie wieder zurück gekommen. Immerhin lag nun sein Ausbildungsort hinter der Zonengrenze. Es verschlug ihn in die Lüneburger Heide, wo er dann auch eine Familie gründete und zum Protestantismus konvertierte. Tryba arbeitete zunächst als Landwirtschaftsgehilfe, dann als Arbeiter in Soltau. 1999 starb er nur wenige Wochen nach dem Tod seiner Frau.
Berthold Schneider hingegen verlor im Krieg nicht nur ein Auge, sondern sein Leben. Er trat bereits im Oktober 1942 (noch keine 18 Jahre!) in die Wehrmacht ein, kam nach Russland und starb am 23. November 1943 bei schweren Kämpfen am Dnjepr. Sein Grab fand er in Tschernetschie. Im Sterbeandenken heißt es: „Zum frommen Gedenken an unseren lieben, einzigen Sohn und Bruder den Grenadier Berthold Schneider. … Er erlernte das Stellmacherhandwerk bei seinem Vater, um später das Geschäft zu übernehmen.“
Der Stellmacherbetrieb in Steinbach konnte dennoch an die nächste Generation übergeben werden. Ein späterer Lehrling des Meisters heiratete seine Tochter Rita. So hatte die Stellmacherei unter dem Namen Albrecht ihren Fortbestand.
Die Lebenswege der beiden jungen Männer zeigen eindrucksvoll, welche schrecklichen Schicksalsschläge durch einen Krieg ausgelöst werden können.
Quellen: Gespräch mit Rita Albrecht vom 13.09.2017; Mail von Mathias Degenhardt, Wüstheuterode 2017.