1961 werden zwei neue Glocken auf den Kirchturm gebracht. Das Bild zeigt die kleine Glocke samt dem gekröpften Stahl-Glockenjoch.
Die drei Glocken im Steinbächer Kirchturm, links die Mauritiusglocke, rechts die kleine Michaelglocke und in der Mitte die Angelus-Glocke, die von Pfarrer Meinolf Jünemann gestiftet wurde. Foto: P. Anhalt.
Von Peter Anhalt
Die Geschichte der Glocken in Steinbach ist geprägt von Kriegsereignissen und auch vom Überlebenswillen der Steinbächer. So wurde Beginn des Dreißigjährigen Krieges, im Jahr 1622, eine Glocke gegossen - ein weitsichtiger Schritt, da in den folgenden Jahren durch Kontributionen und Plünderungen alle Münzen verloren gingen. Die Glocke blieb jedoch im Kirchturm erhalten und überdauerte die schweren Zeiten.
Im Ersten und auch im Zweiten Weltkrieg mussten Glocken für die Rüstungsindustrie abgeliefert werden. Obwohl die historische Glocke von 1622 Bestandsschutz genoss und im Kirchturm verbleiben konnten, fiel sie 1929 einem tragischen Kirchturmbrand zum Opfer. Nun gab es einige Jahre überhaupt keine Glocke mehr.
Die große Mauritius-Glocke
Die heutige große Glocke ist 1931 gegossen worden und war damals die kleine Glocke. Es ging zu jener Zeit die Angst vor einer erneuten Inflation um, Deutschland befand sich in eine Wirtschaftskrise und so wurden bei der Glockengießerfirma Petit & Edelbrock Gescher/Westf. zwei neue Glocken bestellt, obwohl es noch keinen Kirchturm gab. Die Glocken wurden für einige Jahre vor der Kirche in einem offenen Glockenstuhl geläutet.
Die damalige kleine Glocke hatte im 2. Weltkrieg Bestandsschutz und so blieb sie bis heute erhalten. Das war ein Glücksfall.
Die größere Glocke hatten zwei Brüder Reimann aus Amerika erheblich mitfinanziert und folgerichtig war sie nach deren Namen, die aber keinen weiteren Bezug zu Steinbach hatten, dem hl. Johannes dem Täufer und dem hl. Karl Borromäus, geweiht. Sie hatte einen Durchmesser von 1.040 mm und wog 660 kg.
Die kleinere Glocke jedoch erzählt mit ihrer Inschrift die Geschichte Steinbachs und ist deshalb von besonderer Bedeutung. Sie ist auf den Ton a‘ abgestimmt, hat einen Durchmesser von 920 mm und ein Gewicht von 451 kg. Ihre Inschrift lautet:
S. Mauritius o.p.n. (heiliger Mauritius, bitte für uns)
1622 nata in bellios (entstanden im Krieg)
1929 denata in flommis (zerstört in Flammen)
1931 renate in pressuris (wiedererstanden in Bedrängnis)
Diese Glocke ist außerdem ein Umguss der zerstörten Glocke und bewahrt so nicht nur in ihrer Inschrift Geschichte, sondern auch durch die verwendete Bronze. Ihre Herstellung kostete 799 RM.
Am Freitag vor der großen Kirmes (25. Oktober) holte Stellmachermeister Heinrich Rittmeier die neuen Glocken von Heiligenstadt ab. Er stellte sie zunächst in der Pfarrscheune unter. Bald danach wurde vor dem Chor der Mauritiuskirche ein Glockenstuhl aufgebaut. Am 18. Juni 1932, morgens um 8 Uhr, fand die Glockenweihe statt. Die Gocke wurde dem Kirchenpatron Mauritius geweiht. Nachdem mit ihr geläutet wurde, sang die Gemeinde drei Strophen des Mauritiusliedes. Dann folgte die Weihe der großen Glocke auf die Heiligen Karl Borromäus und Johannes. Nach dem Läuten wurden zwei Strophen vom Johannes-Lied gesungen. Den Schluss bildeten einige Strophen vom „Großer Gott wir loben dich“.
1934 wurde mit der Kirchenerweiterung und dem Bau eines neuen Kirchturms begonnen. Schon am 18. August 1934 konnten die Glocken in ihre neue Stube hinauftransportiert werden. Der bisherige Glockenstuhl fand wieder Verwendung.
Die große Glocke wurde bereits 1942 wieder vom Kirchturm herunter geholt!
Die neuen Glocken nach dem 2. Weltkrieg
In der Nachkriegszeit war die Neuanschaffung von Bronzeglocken schier unmöglich. Die Steinbächer haben es dennoch zustande gebracht. Die von Sachverständigen und der Fima Schilling (Apolda) vorgeschlagenen Stahlglocken wurden empört abgelehnt. Die geschichtsträchtige Glocke sollte unbedingt weiterhin erklingen.
Das Problem war allerdings die Beschaffung der zum Neuguss benötigten Bronze. Das Metall wurde als Kriegsmaterial betrachtet und durfte nicht in die DDR eingeführt werden!
Man erfuhr, dass in Silberhausen eine Glocke mit 300 kg Gewicht den Krieg überstanden hatte. Die 1924 von Petet & Edelbock gegossene Glocke war ein sogenannter Schwirrer, das heißt, dass ihr Ton unrein war und die Glocke nicht in ein Geläut integrierbar war. Es bedurfte langer Verhandlungen, bis Steinbach 1959 die Glocke für 2100 DM erwerben konnte. Zunächst verweigerte sogar das Generalvikariat den Kauf. Die fehlenden restlichen 300 kg Bronze konnte nach der Überwindung vieler Bürokratien doch aus dem „Westen“ geliefert werden. Sie war eine Spende des Bonifatiusvereins.
Für die Finanzierung einer Glocke fand sich wieder ein Steinbächer und zwar Pfarrer Meinolf Jünemann. Er war ein glühender Marienverehrer und besonders der Kapelle in Etzelsbach zugetan. Seine Etzelsbachpredigten begannen stets mit dem Spruch: AVE MARIA; GRATIA PLENA und so sollte die von ihm finanzierte Glocke diese Worte des Verkündigungsengels auch bildlich zeigen, indem die Verkündigungsszene darzustellen war. Die Glocke, die dann auch zum Angelusläuten verwendet wurde, hat den Ton h‘, wiegt 350 kg und hat einen Umfang von 81 cm. Die gesamte Inschrift lautet: „AVE MARIA; GRATIA PLENA - Gewidmet von Meinolf Jünemann“.
Die zweite und kleinste Glocke ist ebenfalls ein wichtiges geschichtliches Zeugnis. Sie ist dem Patron Deutschlands, dem Heiligen Michael geweiht und mit ihrer Inschrift bringt sie in etwas verschlüsselter Form den Wunsch nach der Wiedervereinigung des Vaterlandes zum Ausdruck. Auf der Glocke ist ein Bildnis des Erzengels Michael, sie zeigt ihn als Drachentöter, dargestellt. Die Inschrift lautet: „HEILIGER ERZENGEL MICHAEL; BITTE FÜR UNS UND DIE DEUTSCHE HEIMAT“. Diese kleine Glocke ertönt mit dem Ton d‘‘, wiegt 200 kg und hat einem Durchmesser von 66 cm.
Im heute vorhandenen Glockenbestand ist also ganz nach dem Jesuswort die einstige kleine Glocke die Größte geworden. Das Geläut ergibt den Dreiklang a‘-h‘-d‘‘. Die Glockenweihe nahm Probst Streb am 25. Mai 1961 vor. Geistliche Rat Meinolf Jünemann hat dieses Ereignis leider nicht mehr miterlebt. Er war bereits im September 1958 verstorben.
Seit 1961 erklingt sonntags und an Feiertagen das Steinbächer A-H-D-Geläut. In der am gregorianischen Hymnus orientierten Fachsprache wird der Dreiklang als „Gloria-Motiv“ bezeichnet, da er die Anfangstöne des entsprechenden Gesangs "Gloria in excelsis Deo" (Ehre sei Gott in der Höhe) bildet. Das Motiv des Lobpreises Gottes ist seit 1961 der „Heimatton“ für jeden Steinbächer.