Als „Punk unter den Historikern“ bezeichnete ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung einst und das nicht von ungefähr. Ilko-Sascha Kowalczuk zählt nicht nur zu den renommiertesten deutschen Experten für die Geschichte der DDR und des Kommunismus, er polarisiert auch mit seinen Thesen und seinem Wesen. Gründe genug, warum seine Lesung in der Stadtbibliothek in Neustadt am 17. September mit Spannung erwartet worden war. 35 Interessierte, nicht nur aus der Orlastadt, waren gekommen, um den Ausführungen von Ilko-Sascha Kowalczuk zu seinem Buch „Freiheitsschock“ zu folgen.
Zunächst verdeutlichte er, was er mit dem titelgebenden Begriff meint: Freiheit sei nie etwas Gegebenes, sondern etwas, was sich eine jede Gesellschaft erarbeiten muss. Wer in einer Diktatur gelebt habe, müsse erst lernen, was Freiheit bedeute. Vielen DDR-Bürgern sei das aber nach der Wiedervereinigung nicht gelungen. Sie hätten daher einen Freiheitsschock erlitten. Mit Passagen aus dem Kapitel „Folgen der Massenflucht“ erläutert der Publizist den Konflikt, dass viele eben nicht aus der DDR geflüchtet seien, um in der Bundesrepublik zu leben, sondern einfach nur um dem politischen System in ihrer Heimat zu entkommen. Einen kurzen Einblick gewährte er darüber hinaus in den frisch erschienenen Gesprächsband „Die neue Mauer“, der in Zusammenarbeit mit Bodo Ramelow entstanden ist.
Die folgende Diskussion machte deutlich, dass nicht alle Anwesenden die kritische Sicht des Historikers auf die DDR teilen. Zu undifferenziert erschien einem Zuhörer Kowalczuks Meinung, ein anderer stimmte ihm nach der Lektüre des Sachbuchs „Die Übernahme“ wiederum in allen Punkten zu. Der Autor selbst konnte mit beidem gut leben: er habe keine absolute Wahrheit zu verkünden, sondern mache lediglich Meinungsangebote.
So gelang mit der letzten Veranstaltung der Lesereihe „Begreifen, was geschieht“, die die Stadtbibliothek dank der Förderung der Partnerschaft für Demokratie im Saale-Orla-Kreis durchführen konnte, noch einmal, was ein wesentliches Ziel sein sollte: ein offener Meinungsaustausch im Rahmen einer demokratischen Debattenkultur.